Entwicklungsforschung – Was in Kindern vorgeht

Planet Wissen 16.12.2019 06:01 Min. Verfügbar bis 16.12.2024 WDR

Babys und Kleinkinder

Entwicklung in den ersten Lebensjahren

Babyschwimmen ab dem dritten Lebensmonat, Englisch im Kindergarten, Geige in der Vorschule: Es gibt zahlreiche Kurse schon für Kleinkinder. Aber wie lernen sie überhaupt? Was ist sinnvoll, was ist nutzlos, und was ist womöglich sogar schädlich?

Von Ingo Neumayer

Vieles lernen Kinder ganz von alleine

Viele grundlegende Fähigkeiten, die Babys und Kleinkinder ab einem bestimmten Zeitpunkt beherrschen, erlernen sie von alleine. Ob Sehen, Hören oder Sprechen, ob Krabbeln, Sitzen oder Laufen – all diese Entwicklungsschritte macht ein Kind so gut wie von selbst.

Fördernde Eingriffe von außen sind nicht nötig; eine einigermaßen "normale" Umwelt, in der gesprochen wird und Platz ist, um sich zu bewegen, reicht dazu vollkommen aus. Diese Fähigkeiten sind Teil der Reifung eines Menschen, die nach einem biologisch festgelegten Plan abläuft.

Doch die menschliche Entwicklung läuft zweigleisig. Neben der Reifung kommt die Entwicklung zum Tragen, die abhängig von Erfahrungen ist. Die sorgt dafür, dass sich Kinder in ihrer jeweiligen Umgebung zurechtfinden.

Geografisch – von der Wüste bis zur Arktis. Kulturell – vom Kind südamerikanischer Maisbauern bis zum Sprössling japanischer Computer-Experten. Und auch sozial – als Einzelkind in einer Millionärsfamilie oder als sechster Sohn einer Alleinerziehenden ohne Arbeit. In diesem Bereich der Entwicklung ist Förderung und gezieltes Lernen in Maßen möglich.

Kleinkind spielt Klavier.

Will das Kind Klavier spielen? Oder wollen das die Eltern?

Babys brauchen noch keine Spielkameraden

Sich und ihre Umwelt zu entdecken, ist für Babys spannend genug. Sie brauchen normalerweise kein Lernprogramm, um ihre Fähigkeiten zu entfalten. Allerdings bedeutet das nicht, dass man sich nicht auf verschiedene Arten mit seinem Kind beschäftigen sollte.

Möglichkeiten gibt es viele: Babyschwimmen, Massagekurse, Krabbelgruppen oder eine Teilnahme an einem PEKiP-Kurs (Prager Eltern-Kind-Programm), wo Spiel, Bewegung und die Sinne von Säuglingen angeregt werden.

Die Wirkung solcher Kurse ist eher gering: Auch ohne PEKiP lernen Kinder krabbeln und laufen. Und durch einen dreiwöchigen Urlaub am Meer kann ein vorher wasserscheues Grundschulkind auf dasselbe Schwimmniveau kommen wie sein Klassenkamerad, der seit dem dritten Lebensmonat jeden Samstagmorgen im Becken verbringt.

Im Vordergrund bei solchen Aktivitäten sollte der Spaß an der gemeinsamen Zeit stehen, die Kinder und Eltern zusammen verbringen.

Problematisch wird es, wenn in solchen Kursen Konkurrenz unter den Eltern herrscht oder Druck aufgebaut wird – ob bewusst oder unbewusst. Wer kann sich schon alleine umdrehen? Wer macht die ersten Schritte? Das kann vor allem die Eltern stark verunsichern, deren Babys in ihrer Entwicklung womöglich etwas langsamer sind.

Eltern spielen mit ihren Babys im Rahmen eines PEKiP-Kurses

Bei PEKiP-Kursen tauschen sich Eltern aus

Umgang und Nähe zu Gleichaltrigen spielen anfangs keine Rolle. Im ersten Lebensjahr interessiert sich ein Baby nicht für andere Babys. Es schließt keine Freundschaften und braucht auch keine anderen Säuglinge, um Sozialverhalten zu erproben oder sich Fähigkeiten abzuschauen. Die Eltern genügen ihm vollkommen als Bezugsperson.

Auch im zweiten Lebensjahr beschränkt sich der Kontakt zu anderen Kindern auf das Nebeneinander-Spielen und gelegentliches Auch-Haben-Wollen. In dieser Zeit können sich die ersten Freundschaften herausbilden, allerdings haben sich diese oft auch schnell wieder erledigt.

Wie Kinder spielend lernen

Planet Wissen 17.03.2023 03:33 Min. Verfügbar bis 17.03.2028 WDR

Auf die Interessen des Kindes achten

Für Kleinkinder gilt noch mehr als für Jugendliche und Erwachsene: Lernen muss Spaß machen. Wenn Tätigkeiten und Erlebnisse mit positiven Erinnerungen verbunden sind, prägen sie sich leichter ein.

Wenn ein Kind keinen Sinn sieht und kein Interesse hat, wird es sich nur widerwillig (wenn überhaupt) mit Chinesisch oder Informatik beschäftigten – und das Gelernte schnell wieder vergessen oder gar nicht erst behalten.

Eltern sollten stark auf die Interessen und Vorlieben ihres Kindes eingehen. Wenn es begeistert malt und zeichnet, aber kein Interesse an Musik hat, sollte man es nicht unbedingt zum Klavierunterricht schicken – selbst wenn das der große Traum der Mutter ist.

Generell sollte man im Kindergartenalter vorsichtig sein, das Kind mit Frühförderkursen zu überfordern. Kinderpsychologen betonen immer wieder, dass vor allem in diesem Alter die Grundlage für das soziale Miteinander und die Persönlichkeitsentwicklung gelegt wird.

Kindergartenkinder schärfen ihre Sinne, entdecken ihren Körper und ihre Gefühle, erfahren die Umwelt und müssen lernen, sich in einer Gruppe zurechtzufinden. Das alleine ist schon ein großes und wichtiges Programm, das für den "Erfolg im Leben" entscheidender ist, als möglichst früh erste Computerkenntnisse zu erwerben oder eine Fremdsprache zu erlernen.

Fremdsprachen schon im Kindergarten?

Gerade das Thema Fremdsprachen im Vorschulalter wird seit Jahren kontrovers diskutiert. Es ist zwar wissenschaftlich erwiesen, dass es Kindern in diesem Alter besonders leichtfällt, eine Fremdsprache zu lernen. Dafür muss diese allerdings ständig präsent sein und das Kind auch emotional packen.

Bei Eltern mit zwei verschiedenen Muttersprachen, die konsequent in einer Sprache mit ihrem Kind reden, klappt das sehr gut. Der Spanischlehrer, der donnerstagnachmittags in den Kindergarten kommt, kann dagegen kaum mehr ausrichten, als etwas Interesse an der Sprache zu wecken.

Selbst ein zweisprachiger Kindergarten, in dem eine Erzieherin konsequent Englisch redet, kann keinen sprachlichen Lernerfolg garantieren. Wenn Englisch als aktive Sprache zu Hause nicht präsent ist, wird das Gelernte schnell wieder vergessen. Und wenn das Kind keine emotionale Bindung zu der Erzieherin hat und diese vielleicht sogar ablehnt, wird es auch keinen Gefallen an der Sprache finden.

Auch Lesen, Schreiben und Rechnen gehören nach Meinung vieler Kinderpädagogen nicht ins ständige Programm der Kindergärten, sondern sollten der Schule vorbehalten bleiben.

Langfristig gesehen macht es keinen Unterschied, ob ein Kind diese Fähigkeiten mit fünf oder mit sieben Jahren erlernt. Dieses Wissen lässt sich normalerweise schnell und problemlos später erwerben.

Ältere Kinder als Vorbilder und Lehrer

Untersuchungen zeigen, dass Kinder besonders gut von älteren Kindern lernen und ihnen so das soziale Rüstzeug vermittelt wird.

So haben Psychologen beobachtet, dass ältere Kinder, die mit jüngeren spielen, unbewusst "Entwicklungsbrücken" bauen. Die Jüngeren müssen sich körperlich, emotional und mental "recken und strecken", um diese zu bewältigen.

Und auch die älteren Kinder profitieren vom Spiel mit Jüngeren. Sie sind kreativer und gestalten simple Spiele, die sie schon längst beherrschen und eigentlich nicht mehr interessieren, auf einmal fantasievoller.

Ein Vierjähriger spielt mit einem einjährigen Mädchen

Von den Großen lernt es sich leichter

Besonders geeignet zur kindlichen Entwicklung erscheinen Psychologen und Pädagogen altersgemischte Kindergruppen. Ein Kind kann dort verschiedene soziale Rollen annehmen: Vom Neuling, der zu den Kleinsten und Schwächsten gehört, wird es im Laufe der Zeit automatisch zum Größeren und Klügeren.

Im Gegensatz dazu sind gleichaltrige Gruppen eher statisch. Wer dort einmal seinen Platz im Sozialgefüge gefunden oder zugewiesen bekommen hat, wird ihn in der Regel jahrelang behalten.

(Erstveröffentlichung 2011. Letzte Aktualisierung 19.08.2020)

Quelle: WDR

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