Drei Bündel roter Nervenzellen verbinden sich

Krankheiten

Epilepsie

Bei einer Epilepsie werden die Nervenzellen im Gehirn überaktiv und lösen unterschiedliche Anfälle aus. Rund 600.000 Menschen in Deutschland sind von diesen Störangriffen betroffen. Die meisten von ihnen können gut mit der Erkrankung leben.

Von Katrin Ewert

Epilepsie – ein vielfältiges Krankheitsbild

Unser Gehirn durchkreuzen Milliarden von Nervenzellen, die sogenannten Neuronen. Ein fein abgestimmtes Zusammenspiel dieses Netzwerks sorgt dafür, dass unser Körper all das tut, was wir ihm vorschreiben: Gehen, lächeln oder den Arm heben und winken zum Beispiel.

Es ist so, als würde ein winziger Dirigent in unserem Kopf hocken und das Orchester aus Nervenzellen anleiten. Bei einem epileptischen Anfall fällt der Dirigent vorübergehend aus. Die Neuronen geraten aus dem Takt und musizieren durcheinander. Dieses Chaos löst verschiedene Anfälle aus.

Epilepsie zählt zu den häufigsten neurologischen Krankheitsbildern. Mehr als eine halbe Million Menschen sind in Deutschland betroffen. Die Anfälle können jeden treffen und in jedem Alter aufkommen.

Auch wenn die Vorbehalte gegenüber den Patienten in den vergangenen Jahrzehnten abgenommen haben, wissen nur wenige Personen über die Erkrankung Bescheid. Epilepsie ist noch immer ein Tabuthema, das Außenstehende mit den stereotypen Darstellungen von schweren Anfällen aus Film und Fernsehen verbinden.

Dabei ist Epilepsie ein sehr vielfältiges Krankheitsbild. Nur einige Patienten erleben starke Anfälle, bei denen sie das Bewusstsein verlieren, zu Boden stürzen und sich der gesamte Körper zusammenkrampft und zuckt. Was Mediziner früher als "Grand Mal" bezeichneten, heißt heute tonisch-klonischer Anfall.

Bei anderen Betroffenen lässt hingegen die Muskelspannung nach und die Beine knicken ein oder das Kinn fällt auf die Brust (atonischer Anfall). Wiederum andere sind lediglich kurz abwesend und schauen ins Leere (Absence). "Das alles sind Beispiele für generalisierte Anfälle, bei denen das gesamte Gehirn betroffen ist", sagt Bernhard Steinhoff, Ärztlicher Direktor der Erwachsenenklinik am Epilepsiezentrum Kehl-Kork.

Die zweite Gruppe ist die der sogenannten fokalen Anfälle. "Dabei ist nur ein bestimmter Bereich des Gehirns überaktiv", so Steinhoff. Wie sich diese Anfälle äußern, ist davon abhängig, welche Hirnregion betroffen ist:
• Motorische Anfälle: Es zuckt beispielsweise ein Arm oder ein Bein.
• Automatismen: Betroffene blinzeln, schmatzen, stammeln oder nesteln an Dingen herum.
• Sensorische Anfälle: Patienten haben Wahrnehmungsstörungen beim Sehen, Hören, Riechen oder Schmecken.
Fokale Anfälle können sich im Laufe der Erkrankung zu einem generalisierten Anfall entwickeln.

Manche Patienten erleben mehrere dieser Störangriffe am Tag, andere nur alle paar Monate oder gar Jahre. In manchen Fällen kündigt sich der Anfall vorher an: Die Betroffenen nehmen zum Beispiel einen bestimmten Geschmack oder ein Geräusch stärker wahr. Bei anderen kribbelt ein Arm oder fühlt sich taub an. Diese Phänomene bezeichnen Ärzte als Aura.

Eine Frau hat das Kinn auf ihre Hände abgestützt und schaut abwesend zur Seite

Bei leichten epileptischen Anfällen ist der Betroffene kurz geistig abwesend

Wie Neurologen die Krankheit feststellen

Erleidet eine nahestehende Person zum ersten Mal einen Anfall, sind Angehörige häufig verunsichert und fragen sich, was dahinterstecken kann. Auch für die Betroffenen ist der Beginn der Erkrankung eine schwierige Situation. Vor allem, wenn sie bei den Anfällen das Bewusstsein verlieren und sich hinterher nicht daran erinnern können. Weil sie zwischen den Anfällen keine Beschwerden haben, denken sie meist, sie seien gesund.

Ein Besuch beim Neurologen verschafft Klarheit. "Es ist hilfreich, wenn der Partner oder ein Freund mitkommt, der den Anfall miterlebt hat", sagt Epilepsie-Spezialist Steinhoff. Dieser kann dem Arzt schildern, was passiert ist – zum Beispiel ein Krampfen des gesamten Körpers oder ein Zucken des linken Arms.

Vermutet der Arzt eine Epilepsie, veranlasst er in der Regel eine sogenannte Elektroenzephalografie (EEG). Dabei misst der Mediziner die elektrischen Hirnströme des Patienten. Bestimmte Muster im EEG deuten auf eine Epilepsie hin.

Anschließend untersucht er seinen Patienten für gewöhnlich im Magnet-Resonanz-Tomographen (MRT), der die Struktur des Gehirns darstellt. In manchen Fällen erkennt der Arzt auf den MRT-Bildern Veränderungen, die die Anfälle auslösen.

Eine Hand zeigt auf einen Kontrollmonitor, der die Gehirnströme von einem Epilepsie-Patienten anzeigt

Bestimmte Muster auf dem Elektroenzephalogramm (EEG) weisen auf eine Epilepsie hin

Die Ursache ist nicht immer eindeutig

Das Rätselhafte an der Erkrankung Epilepsie: Die Anfälle können die verschiedensten Auslöser haben. Dazu gehören beispielsweise Verletzungen des Gehirns – etwa durch einen Unfall, einen Tumor oder einen Schlaganfall.

Eine weitere Ursache sind sogenannte strukturelle Veränderungen im Gehirn, die Epilepsie-Arzt Steinhoff als "Architekturschäden" bezeichnet. Dabei funktioniert das Hirngewebe in der betroffenen Region nicht richtig.

Solche Gewebeschäden können angeboren sein oder durch einen Sauerstoffmangel bei der Geburt entstehen. Auch eine Entzündung der Hirnhaut oder des Gehirns kann einzelne Hirnregionen schädigen. Diese Ursachen können – müssen aber nicht – mit einer geistigen Behinderung einhergehen.

"Die Anfälle können auch genetisch bedingt sein", sagt Christian Bien, Chefarzt des Epilepsiezentrums Bethel in Bielefeld, dem größten Zentrum für Epilepsie-Patienten in Deutschland. Das erkennen Mediziner daran, dass das Krankheitsbild in manchen Familien gehäuft auftritt.

Epilepsie sei jedoch keine klassische Erbkrankheit. Forscher können kein bestimmtes Gen entschlüsseln, das für die Anfälle verantwortlich ist. "Wir gehen davon aus, dass es sehr viele kleine Veränderungen der Gene sind, vielleicht mehrere Hundert, die in Kombination zufällig eine Epilepsie auslösen", sagt Bien.

Ein weiterer wichtiger Punkt: Die Eltern können bei den meisten Arten nur die Neigung zu Epilepsie weitergeben. Erst weitere Umstände wie beispielsweise eine Kopfverletzung oder starker Schlafentzug führen dazu, dass der Sohn oder die Tochter einen Anfall erleidet.

"Trotz der vielfältigen Diagnosemöglichkeiten können wir bei der Hälfte der Patienten keine Ursache finden", sagt Neurologe Steinhoff. Wenn der Patient mindestens zwei Anfälle erlebt hat und der Arzt keinen Auslöser finden konnte, stellt er trotzdem die Diagnose: idiopathische Epilepsie beziehungsweise Epilepsie ohne erkennbare Ursache.

In vielen Fällen sei die Ursache aber weniger entscheidend, so der Mediziner. "Denn – und das ist die gute Nachricht – 70 Prozent der Patienten sind wunderbar behandelbar und können ein normales Leben führen", sagt Steinhoff.

Ein Arzt zeigt mit einem Kugelschreiber auf Bilder eines Magnet-Resonanz-Tomographen (MRT), die verschiedene Gehirnquerschnitte eines Patienten zeigen

Das MRT zeigt eine mögliche Ursache: Strukturelle Veränderungen im Gehirn

Erste Hilfe bei einem epileptischen Anfall

Viele Menschen wissen nicht, was sie tun sollen, wenn sie einen epileptischen Anfall mitbekommen. Der erste Gedanke ist häufig, einen Notarzt zu rufen. Das ist jedoch nicht immer nötig. Nahestehende sollten auf die Uhr schauen und kontrollieren, wie lange der Anfall dauert. Viele sind nach ein bis zwei Minuten vorbei. Sie sollten die Nummer 112 wählen, wenn

• … der Anfall länger als fünf Minuten dauert.
• … sich die Person stark verletzt hat.
• … der Betroffene nicht mehr zu sich kommt.
• … Sie sich unsicher sind, ob Sie dem Betroffenen ausreichend helfen.

Außerdem sollten Nahestehende folgende Punkte bei einem Anfall beachten:

• Ruhig bleiben.
• Die betroffene Person nicht festhalten.
• Es kann sein, dass sich der Betroffene auf die Zunge beißt. Trotzdem sollte man keinen Gegenstand zum Schutz in den Mund stecken.
• Gefährliche Gegenstände in der Nähe wegräumen.
• Wenn die Person zu Boden gestützt ist, ein Kissen oder Kleidungsstück unter den Kopf legen.
• Eventuell enge Kleidung am Hals lockern.
• Für die Person da sein, wenn sie wieder bei Bewusstsein ist. Den Betroffenen beruhigen und weitere Hilfe anbieten.

Mehr bei Planet Wissen

Darstellung: