Kupferstich von Platon  in der Darstellung "Plato unter seinen Schülern"

Lernen

Geschichte der Erziehung

Von autoritärer Erziehung über die Reformpädagogik bis hin zu demokratischen Verhältnissen zwischen Erwachsenen und Kindern – Ziele und Stile der Erziehung haben sich in den vergangenen Jahrtausenden stark verändert.

Von Claudia Heidenfelder

Anfänge der Erziehung in der Antike

"Die Kinder von heute sind Tyrannen. Sie widersprechen ihren Eltern, kleckern mit dem Essen und ärgern ihre Lehrer!" Ein Satz, der von heute sein könnte. Gesagt hat ihn Sokrates vor fast 2500 Jahren.

In der Antike begann das für das Abendland bedeutsame Denken über Erziehung. Als Grundlage für Erziehung galten Bildung und der Zugang zu Wissen. Lange Zeit blieben Fähigkeiten wie Lesen, Schreiben und Rechnen den herrschenden Schichten vorbehalten.

Griechische Philosophen wie Sokrates, Platon und Aristoteles forderten darum eine umfassende Bildung für alle freien Bürger. Damit legten sie den Grundstein für eine öffentliche Erziehung. Die Ideale der alten Griechen beeinflussten auch die Erziehung im antiken Rom entscheidend.

Mittelalter und Renaissance

Mit der Ausbreitung des Christentums nahm sich die Kirche der Erziehung an. Dom- und Klosterschulen lehrten neben den freien Künsten Grammatik, Rhetorik, Dialektik, Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie vor allem den christlichen Glauben. In den Genuss dieser Bildung kamen hauptsächlich die Mitglieder des Klerus.

Buchmalerei aus dem 13. Jahrhundert, Lehrer und Schüler beim Unterricht

Klöster waren Zentren der Bildung

Im Hochmittelalter verstärkte die Kirche ihre Bildungsaktivitäten und schuf ab dem 12. Jahrhundert wissenschaftliche Studienplätze an Universitäten. Die zu dieser Zeit gegründeten Universitäten von Bologna, Paris und Oxford existieren noch heute.

Auch Klöster waren in dieser Zeit Zentren der Bildung und des Wissens. Die Klöster bildeten in der Regel nur Adlige und Kleriker aus. Die Ausbildung des Volkes war eine Sache der mittelalterlichen Handwerkszünfte.

Das änderte sich erst in der Renaissance, als neben den kirchlichen Schulen sogenannte Bürgerschulen entstanden. Sie vermittelten die für den Handel notwendigen Kenntnisse in Lesen, Schreiben und Rechnen.

Für die breite Masse blieben nur die privat organisierten Winkelschulen. Diese Schulen genossen jedoch wenig Ansehen, weil die Lehrer dort oft schlecht oder gar nicht ausgebildet waren.

Aufklärung

Mitte des 17. Jahrhunderts verlor die Kirche im Zuge der Aufklärung an Einfluss. Die Wissenschaft schob sich zusehends in den Vordergrund. Der Mensch forschte, experimentierte und entdeckte. Die Entwicklung der eigenen Fähigkeiten rückte in den Fokus. So äußerte der englische Philosoph John Locke den Gedanken, dass der Mensch bei seiner Geburt ein leeres Blatt sei, das erst durch seine Erziehung beschrieben werde.

Im Laufe des folgenden Jahrhunderts wurde erstmals Kindheit als ein eigener Lebensabschnitt betrachtet. Davor waren Kinder wie "kleine Erwachsene" behandelt worden. Ein besonderes Augenmerk auf die Erziehung von Kindern richtete Johann Heinrich Pestalozzi. Der Schweizer Pädagoge förderte die ganzheitliche Entwicklung der Kinder und gilt als früher Wegbereiter der Reformpädagogik.

Wilhelminisches Zeitalter

"Wer sein Kind liebt, der züchtigt es!" Nach diesem Motto erzog die patriarchalische Gesellschaft der wilhelminischen Zeit Ende des 19. Jahrhunderts ihre Kinder: Zucht und Ordnung, Befehl und Gehorsam waren die Schlagworte, der Rohrstock ein gängiges Erziehungsinstrument.

Gewünscht waren gottes- und obrigkeitsfürchtige Menschen, gut beschrieben in Heinrich Manns Roman "Der Untertan", der 1914 erstmals veröffentlicht wurde.

Lehrer, Schüler und Schülerinnen um 1900 in einem Klassenzimmer

In den Klassenzimmern der Kaiserzeit herrschten Zucht und Ordnung

Rechtlich gesehen waren Frauen und Kinder Eigentum des Vaters oder Ehemannes. In der Praxis war Kindererziehung allerdings Frauensache: Sie zogen die Kinder im engeren Wortsinn lediglich auf. Wichtig war in erster Linie, dass sie überhaupt heranwuchsen.

Erziehung selbst geschah oft mehr oder weniger unbewusst, durch Beobachten und Nachahmen. So übernahmen Kinder zumeist die Traditionen und Verhaltensweisen ihrer Eltern.

Reformpädagogik

Ende des 19. und zu Anfang des 20. Jahrhunderts wehrten sich einige Pädagogen gegen das autoritäre Denken der herkömmlichen Schulen. Sie wollten den Geist der reinen Lernschule überwinden und riefen ein neue Form der Erziehung ins Leben: die Reformpädagogik.

Berühmte Vertreter dieser Erziehungsrichtung waren der Schweizer Johann Heinrich Pestalozzi, die Italienerin Maria Montessori oder der Brite Alexander Sutherland Neill. Letzterer machte sich besonders durch die Gründung der Internatsschule Summerhill einen Namen.

Ziel aller Reformpädagogen war es, das Kind als Individuum zu achten und seine kreativen Kräfte zu wecken und zu fördern. Wichtige Punkte dieses Erziehungsstils waren die Selbsttätigkeit der Kinder, das freie Gespräch und Lernen durch Handeln.

Nationalsozialismus

Einen gewaltigen Rückschritt in Sachen Erziehung erfuhren die Deutschen während der NS-Zeit. Geprägt vom totalitären Anspruch in allen Lebensbereichen, herrschte auch an der Erziehungsfront bedingungsloser Gehorsam. Eigenständiges Denken und selbstverantwortliches Handeln wurden aus den pädagogischen Konzepten des Nationalsozialismus verbannt.

Andersdenkende Lehrer und Erzieher wurden vom Schuldienst ausgeschlossen. Unterrichtsinhalte verbreiteten ausschließlich das nationalistisch-rassistische Rollenbild von Kindern, Frauen und Männern.

Farbdruck: Jungen beim Aufziehen der Hakenkreuzfahne

Bedingungsloser Gehorsam in der NS-Zeit

Erziehung in Ost- und Westdeutschland

Nach dem Zweiten Weltkrieg stellte sich den Alliierten die Frage, wie sie die NS-Erziehungsideale durch andere Konzepte ersetzen konnten. In den westlichen Zonen bemühten sich die Besatzer um eine demokratische Neugestaltung des Unterrichts. In der sowjetischen Zone sollte eine marxistisch-leninistische Erziehung die Deutschen zu besseren Bürgern machen.

In der BRD sorgte der sogenannte Sputnik-Schock von 1957 für eine Reformierung des Bildungssystems. Die Russen hatten in jenem Jahr den Satelliten Sputnik ins Weltall geschossen. Dass dies gelungen war, wurde einem Vorsprung in der naturwissenschaftlichen Ausbildung zugeschrieben.

Für den westlichen Rückstand gegenüber der Sowjetunion wurde deshalb das Bildungssystem verantwortlich gemacht. Wenige Jahre später stellte der Pädagoge Georg Picht in seiner Artikelserie "Die deutsche Bildungskatastrophe" das deutsche Erziehungssystem in Frage.

Antiautoritäre Erziehung

In der BRD erlangte die antiautoritäre Erziehung der 1960er-Jahre besondere Aufmerksamkeit. Nach Jahren von Drill und Disziplin sorgte die Studentenbewegung für ein Kontrastprogramm: In freien Schulen und sogenannten Kinderläden sollten die Kinder bewusst zu Ungehorsam und Kritikfähigkeit erzogen werden.

Auf die antiautoritäre Erziehung folgte die Antipädagogik der 1970er-Jahre. Sie forderte dazu auf, Kinder in ihrer Entwicklung sich selbst zu überlassen. Die Antipädagogik sah in der Erziehung ein Zeichen von Unsicherheit, eine Art Notwehr von Erwachsenen gegenüber Kindern und betrachtete sie sogar als Gehirnwäsche.

Erziehung heute

Im 21. Jahrhundert sprechen sich Pädagogen in der Mehrzahl für eine demokratische Erziehung aus. Dadurch sollen Kinder lernen, frei zu denken, Entscheidungen selbst zu treffen und sich auf ein gleichberechtigtes Zusammenleben einzustellen. Lehrer und Erzieher sind sich heute allerdings weitgehend darüber einig, dass eine gute Erziehung Kindern auch Grenzen und Regeln mitgeben muss.

Ein Erzieher kümmert sich um Kinder, die gerade Mittag essen

Eine gute Erziehung braucht Grenzen und Regeln

Quelle: SWR | Stand: 19.08.2020, 11:50 Uhr

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