Maximal mobil – Wohnen im Tiny House

Planet Wissen 08.04.2019 03:10 Min. Verfügbar bis 08.04.2024 ARD-alpha

Wohnen

Zukunft des Wohnens

Die Menschheit wächst stetig. Etwa siebeneinhalb Milliarden Menschen leben auf der Erde, mehr als die Hälfte davon in Städten. Laut UNO wird die Weltbevölkerung bis 2050 um ein weiteres Drittel wachsen.

Von Tobias Aufmkolk und Almut Röhrl

Wo werden all diese Menschen dann unterkommen? Wie wird der enorme Energiebedarf der Megacities gedeckt? Wird es gelingen, die Umweltverschmutzung und den CO2-Ausstoß zu reduzieren? Und welche Folgen hat der Anstieg des Meeresspiegels für die dicht besiedelten Küstenstreifen? Architekten und Städteplaner stehen vor großen Herausforderungen.

Bauen in den Himmel

Schon früh hatten europäische Städte mit Platzproblemen zu kämpfen. Bereits im Mittelalter gab es nicht genügend Wohnraum, um all die Neuankömmlinge aufnehmen zu können, die auf dem Land kein Auskommen mehr fanden.

Mittelalterliche Architekten versuchten deshalb das Problem zu lösen, indem sie in die Höhe bauten. Die Altstadt der schottischen Hauptstadt Edinburgh mit ihren schmalen Hochhäusern ist ein gut erhaltenes Beispiel mittelalterlicher Stadtentwicklung. Doch das Material setzte den Architekten lange Zeit Grenzen.

Erst mit den Erfindungen des Stahlskelettbaus und des elektrischen Aufzugs gegen Ende des 19. Jahrhunderts war man in der Lage, Häuser deutlich höher zu bauen. Das 1885 in Chicago fertig gestellte Home Insurance Building mit seinen zehn Stockwerken und 42 Metern Höhe gilt als das erste moderne Hochhaus der Welt.

Heute hat das höchste Hochhaus der Welt – der Burj Khalifa in Dubai – mehr als 160 Stockwerke und ist 828 Meter hoch. Doch es bestehen schon Pläne, die magische Ein-Kilometer-Marke zu durchbrechen.

Wolkenkratzer Burj Khalifa in Dubai

828 Meter hoch – der Burj Khalifa in Dubai

Derart hohe Wolkenkratzer sind jedoch in erster Linie Prestigeobjekte für ihre Bauherren und Architekten. Als Konzept, um in Zukunft Wohnraum in Städten zu schaffen, eignen sie sich nur bedingt. Bau- und Unterhaltungskosten sind dafür viel zu hoch.

Und dennoch gibt es in Tokio ernsthafte Pläne, eine "Himmelsstadt" in einem Gebäude zu bauen, die groß genug für 36.000 Bewohner und 100.000 Arbeitsplätze ist.

Im Großen und Ganzen ist jedoch ein gegenläufiger Trend zu beobachten: Höhenrekorde sind beim Bau von Wolkenkratzern zu Wohnzwecken out, dagegen gewinnen "grüne" und energieeffiziente Hochhäuser an Bedeutung.

Verdichtung der Städte

In die Höhe zu bauen ist also nur bedingt die Lösung für die Zukunft. Zugleich können Städte in den dicht besiedelten Regionen Deutschlands auch nicht endlos in die Breite wachsen.

Das Ausweisen neuer Baugebiete am Rand von Stadt- und Gemeindegrenzen stößt zudem auf ökologische Bedenken. Die wenigen verbliebenen Freiflächen sollen lieber als Naherholungsgebiete und grüne Korridore erhalten bleiben.

Maximal ökologisch – Bauen in der Lücke

Planet Wissen 08.04.2019 04:51 Min. Verfügbar bis 08.04.2024 ARD-alpha

Deshalb lautet heute in den Städten das Zauberwort: "verdichten". Dieses Prinzip sieht eine deutlich engere Bebauung innerhalb der städtischen Kernzonen vor. Durch eine bessere Ausnutzung der bereits voll erschlossenen, aber noch nicht bebauten Baulücken und Brachflächen soll zusätzlich benötigter Wohnraum geschaffen werden.

Wird eine bereits erschlossene Fläche dichter ausgebaut – sind also Straßen, Kanalisation, Strom, öffentlicher Nahverkehr schon vorhanden –, wird die Bebauung für die Gemeinden billiger. Ballungsräume wie das Ruhrgebiet oder die Großräume Stuttgart und München verfahren bereits weitgehend nach diesem Prinzip.

Neubausiedlung auf freier Fläche.

Bauen im Außenbereich ist out

Bionik – die Natur als Vorbild

Es wird jedoch nicht nur nach neuen Konzepten zur flächenhaften Bebauung gesucht. Auch neue Baumaterialien sind auf dem Vormarsch. Hierbei ziehen Wissenschaftler zunehmend die Bionik zu Rate. Dieser Wissenschaftszweig nimmt sich die Natur zum Vorbild und versucht, ihre Mechanismen technisch zu kopieren.

Ein Beispiel: Wissenschaftler wollten einen Werkstoff entwickeln, der mindestens so stabil, tragfähig und zugleich flexibel ist wie Stahl, darüber hinaus aber um ein Vielfaches leichter.

Das Ergebnis: der technische Pflanzenhalm. Er wurde dem Bambus oder Schachtelhalm nachempfunden. Aus mechanischer Sicht sind diese Pflanzen Leichtbaukonstruktionen, die mit ihren hohlen Stängeln und dünnen Halmwänden erstaunlich stabil sind, was sie im Freiland bei großen Windbelastungen beweisen.

Der technische Pflanzenhalm ist geflochten und imprägniert und ebenfalls extrem leicht und belastbar. Mit seinen Hohlräumen ist er in der Architektur der Zukunft zum Bau von Tragwerkskonstruktionen geeignet.

Auch die selbstreinigende Hausfassadenfarbe ist ein Produkt der Bionik. An Lotus- und Kohlrabiblättern wurde beobachtet, dass Schmutz an ihnen nicht haftet.

Bei Regen reinigt sich das Blatt automatisch und bleibt somit immer sauber. Aufgrund von aufgewölbten Zellen an der Oberfläche, auf denen noch einmal nadelförmige Punkte wachsen, perlt Wasser immer ab.

Lotos-Blatt mit Wassertropfen, die abperlen

Der Lotus-Effekt könnte bei selbstreinigender Fassadenfarbe zum Tragen kommen

Aber nicht nur Pflanzen, auch Tiere dienen den Materialforschern als Vorbild, zum Beispiel der Brandkäfer. Er legt seine Eier in verbranntes Holz. Dafür muss er wissen, wo es im Wald gebrannt hat.

Das wiederum kann er mit einem Infrarotsensor auf viele tausend Meter erspüren. Wissenschaftler haben herausgefunden, wie der Käfer-Sensor funktioniert und dieses Prinzip auf einen neuartigen Rauchmelder übertragen.

Energie und CO2-Ausstoß

Eine der größten Herausforderungen für die Zukunft des Wohnens ist die Frage des Energieverbrauchs. Die Zeit der fossilen Brennstoffe wird früher oder später zu Ende gehen. Zugleich muss der CO2-Ausstoß weltweit drastisch gesenkt werden.

Es geht bei der Zukunft im Wohnungsbau also auch um nachhaltige Energiekonzepte und um Umweltschutz. Häuser müssen ihren Energieverbrauch drastisch reduzieren, im besten Fall sogar Energie produzieren.

Neubausiedlungen mit sogenannten Niedrigenergiehäusern sprießen in Deutschland geradezu aus dem Boden. Diese Häuser dürfen je nach Bauordnung einen nur sehr geringen Energiebedarf an Heizwärme und Warmwasseraufbereitung haben. Das Sparpotenzial wird vor allem durch eine stark verbesserte Wärmedämmung erreicht.

Das Passivhaus hingegen kommt durch ein optimiertes Zusammenspiel von Lüftung, Wärmedämmung und Sonneneinstrahlung auf den Fenstern ganz ohne Heizung aus und gilt als konsequente Weiterentwicklung des Niedrigenergiehauses.

Doch es geht sogar noch besser: Das Plusenergiehaus ist längst keine Zukunftsvision mehr, sondern machbar. Hierbei wird das Haus, das nach dem gleichen Prinzip des Passivhauses beheizt wird, sogar zum Kraftwerk, das überschüssige Energie ins Stromnetz einspeist.

Das Plusenergiehaus produziert mittels Sonnenkollektoren und Wärmespeichern zu 100 Prozent regenerative Energie und läuft als emissionsfreier Betrieb. Und falls einmal zuviel Strom produziert wird, kann er an den örtlichen Energieversorger verkauft werden.

Ein Plusenergiehaus auf dem Burgplatz in Essen

Das Plusenergiehaus ist längst machbar

Innovative Konzepte und kühne Visionen

Globale Klimaveränderungen und die wachsende Armut in den Ländern der Dritten Welt bringen auch neue Formen des Bauens hervor. Manche davon sind schon Wirklichkeit geworden, andere dagegen noch kühne Visionen. Schwimmende Häuser, sogenannte Floating Homes, gehören schon zum Repertoire innovativer Architekten.

Hierbei tun sich besonders die Niederländer hervor, die nach neuen Wegen suchten, der stetigen Hochwassergefahr Herr zu werden.

Also erfanden sie Häuser, die quasi direkt auf dem Wasser gebaut sind und mit dem Hochwasser aufsteigen können. Ganze Siedlungen davon sind schon in Leeuwarden, Maasbommel oder im Amsterdamer Stadtteil Ijburg entstanden.

In der Dritten Welt hingegen kommt es vor allem darauf an, einen Hausbau möglichst kostengünstig zu halten. Nach einem Fest in der honduranischen Hauptstadt Tegucigalpa machte sich zum Beispiel der deutsche Zimmermann Andreas Froese Gedanken darüber, wie man all die weggeworfenen PET-Flaschen wiederverwerten könnte.

Zusammen mit einigen Einwohnern schichtete er die Flaschen systematisch übereinander, füllte sie mit Bauschutt und Erde und vermauerte sie mit Mörtel. Das so entstandene Haus soll sogar mittelstarken Erdbeben standhalten und wäre vielleicht ein Baukonzept für die Zukunft.

Der deutsche Unternehmer Gerd Niemöller hat sich einen anderen günstigen Werkstoff für den Bau von Häusern ausgesucht: Papier.

In einem speziellen Verfahren werden die mit Kunststoff beschichteten Papierwände in eine Wabenform gepresst und sind so sehr stabil. Für den Bau eines 34 Quadratmeter großen Papierhauses mit Küche, Bad und zwei Schlafräumen würde nur das Holz eines Baumes benötigt.

In Zukunft soll das Papierhaus das Bild zahlreicher Slums in der Dritten Welt prägen – so zumindest die Vision von Niemöller.

Bei einem Preis von etwa 4000 Euro pro Haus ist dieser Plan jedoch recht abwegig. Es sei denn, die Regierungen vor Ort beteiligen sich daran oder es finden sich genug Hilfsorganisationen, die für Spenden werben.

Ein Mann hält eine Pappe in Wabenform vor einem Haus aus Papier hoch

Gerd Niemöller vor seinem Haus aus Papier

Quelle: SWR/WDR | Stand: 23.07.2019, 11:50 Uhr

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