Hitler bei einer Lagebesprechung

Flucht und Vertreibung

Hitlers Krieg im Osten

Nie zuvor wurden so viele Menschen verfolgt, vertrieben und getötet wie im 20. Jahrhundert. Millionen Europäer starben in zwei Weltkriegen und rassistisch motivierten Vernichtungsfeldzügen.

Von Gregor Delvaux de Fenffe

"Ethnische Säuberungen" im 20. Jahrhundert

Mitten im Ersten Weltkrieg kam es zu einer in der Menschheitsgeschichte bis dahin einmaligen Vernichtungsaktion menschlichen Lebens. Die nationalistische Jungtürken-Regierung des Osmanischen Reichs ermordete zwischen 1915 und 1917 eine ganze Bevölkerungsgruppe in ihrem Land: die Armenier.

Etwa 1,5 Millionen Menschen fielen der systematischen Verfolgung, organisierten Massakern und Verschleppungen zum Opfer. Es war kein islamisch motivierter Christenhass, sondern das rassistische Ideal eines Nationalstaats, das die jungtürkische Reformbewegung zum Völkermord antrieb.

Der Rest der Welt war zu stark in den Ersten Weltkriegs eingebunden, um Notiz davon zu nehmen, geschweige denn, dagegen anzugehen. Bis heute ist der Mord am Volk der Armenier von der Türkei weder eingestanden noch aufgearbeitet worden.

SW-Bild: Armenische Familie im Winter 1915

Genozid an den Armeniern

Der nationalsozialistische Rassenkrieg

Knapp 25 Jahre später, im August 1939, legte Adolf Hitler der deutschen Generalität seine Pläne der Germanisierung des osteuropäischen Raums dar. Der "Führer" sprach von Bevölkerungsverschiebungen, die die Ostfeldzüge künftig charakterisieren würden. Den Skrupeln seiner Militärs begegnete Hitler mit der Frage: "Wer redet heute noch von der Vernichtung der Armenier?"

Die in der SS-Rethorik geläufige Floskel von der "ethnischen Flurbereinigung" war die zynische Formel für einen in der Geschichte einmaligen ethnischen Krieg: den systematischen Vernichtungsfeldzug der Wehrmacht im Osten.

In diesen Eroberungskriegen ging es den Nationalsozialisten nicht um den Sieg über eine Nation. Es ging vielmehr um die totale Niederwerfung, Ausbeutung und physische Auslöschung des sogenannten "slawischen Untermenschen" im Sinne der nationalsozialistischen Rassenlehre.

Das "Neuartige, geschichtlich Unerhörte (…), das mit Hitler in die europäische Welt eingebrochen ist, lässt sich mit keiner Epoche der Menschheitsgeschichte vergleichen", so der Historiker und Publizist Joachim Fest. Der von Hitler entfesselte Zweite Weltkrieg war ein Krieg der Ideologien, ein Vernichtungskrieg ohne historische Parallele in der Geschichte.

Der Rassenwahn, die verirrte Lehre vom deutschen Herrenmenschen, der Genozid an den Juden, die Völkermorde im polnischen und russischen Feldzug waren die Eckpfeiler des nationalsozialistischen Weltanschauungskriegs.

Eine bewaffnete Einheit der deutschen Polizei dringt in ein Dorf ein

Vernichtungsfeldzug im Osten

Hitlers "Germanisierung" des Ostens

Als am 1. September 1939 mit dem deutschen Überfall auf Polen der Zweite Weltkrieg begann, machte sich Hitler an die Neuordnung der europäischen Landkarte. Der ethnisch geführte Krieg des NS-Staates begann mit der brutalen Vertreibung der Polen, die den "Volksdeutschen" weichen mussten.

Deutschland verleibte sich nach dem Anschluss Österreichs und der Annektion der Tschechoslowakei im nächsten Schritt Westpolen gewaltsam ein und begradigte damit seine territorialen Grenzen. Die osteuropäischen Völker wurden systematisch ermordet, verfolgt und deportiert. Es sollte mehr Raum für deutschsprachige Minderheiten in Osteuropa geschaffen werden.

SS-Führer Heinrich Himmler wachte persönlich als "Reichskommissar" über die Germanisierung des Ostens und war für die Besiedelung mit "volksdeutschen" und "reichsdeutschen" Wehrbauern zuständig. Bis zum Ural wollte die NS-Spitze die Grenzen des neuen Germaniens ziehen. Die Expansion sah eine so genannte "Verlustquote" von 32 Millionen Russen vor.

Eine sogenannte 'Rassetafel' zeigt die Einteilung der Deutschen in 'Grundrassen'.

Die Nazis entschieden, welche Rassen getötet werden sollten und wer leben durfte

Vernichtungskrieg im Osten

In das südöstliche Polen, das sogenannte Generalgouvernement, wurden eine halbe Million Polen aus dem ehemaligen Korridor Westpreußen und Posen deportiert, zwei Millionen polnische Zwangsarbeiter in das deutsche Reich verschleppt.

Am 22. Juni 1941 überfielen deutsche Wehrmachtsverbände ohne Kriegserklärung die Sowjetunion. Drei Millionen Soldaten mit 3600 Panzern und 600.000 Soldaten aus verbündeten Ländern sollten im Sinne des "Weltanschauungskrieges" die "völlige Zerschlagung der Machtmittel und die Ausrottung des asiatischen Einflusses im europäischen Kulturkreis" herbeiführen, so der Erlass des Generalfeldmarschalls Walter von Reichenau.

Acht Millionen Polen, Ukrainer, Weißrussen und Balten mussten fliehen oder wurden von der Wehrmacht vertrieben. Die Nazis verschleppten insgesamt 5,5 Millionen Osteuropäer als Zwangsarbeiter ins Deutsche Reich.

Als die Rote Armee drei Jahre nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion in Berlin die deutsche Kapitulation entgegennahm, waren zehn bis 14 Millionen sowjetische Soldaten im Kampf gegen das Deutsche Reich gefallen und vermutlich ebenso viele sowjetische Zivilisten im deutschen Vernichtungskrieg umgekommen. Bis heute lässt sich die Zahl der Toten nicht einmal auf eine Million genau beziffern.

Truppen der Roten Armee marschieren in Berlin ein

Die Rote Armee in Berlin

Quelle: SWR | Stand: 23.04.2020, 12:25 Uhr

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