Deutsche Soldaten im Schützengraben beim Schreiben von Grußkarten

Erster Weltkrieg

Feldpostbriefe

Im Angesicht des Massensterbens konnten viele Soldaten das Grauen nicht in Worte fassen. Die Tagebücher und Feldpostbriefe, in denen sie dennoch ihre Gedanken niederschrieben, gehören zu den wichtigsten und erschütterndsten Quellen des Ersten Weltkriegs.

Von Gregor Delvaux de Fenffe

"Dahin sind alle Träume…"

Feldpostbrief des 20-jährigen Paul Boelicke, Theologiestudent, gefallen am 12. Oktober 1918 in Verdun:

"Verdun, ein furchtbares Wort! Unzählige Menschen, jung und hoffnungsvoll, haben hier ihr Leben lassen müssen, ihre Gebeine verwesen nun irgendwo, zwischen Stellungen, in Massengräbern, auf Friedhöfen. Kommt der Soldat morgens aus seinem Granatloch (viele sind ganz voll Wasser), so sieht er im hellen Sonnenschein die Türme des Douaumont oder eines anderen Forts, die ihre Augen drohend ins Hinterland richten. Ein Schütteln packt ihn, wenn er seine Blicke rundum schickt: hier hat der Tod seine Knochensaat ausgesät.

Die Front wankt, heute hat der Feind die Höhe, morgen wir, irgendwo ist hier immer verzweifelter Kampf. Mancher, der sich eben noch der warmen Sonne freute, hörte es schon irgendwo brüllen und heulend herankommen. Dahin sind alle Träume von Frieden und Heimat, der Mensch wird zum Wurm und sucht sich das tiefste Loch.

Trommelfelder-Schlachtfelder, auf denen nichts zu sehen ist als erstickender Qualm-Gas-Erd-Klumpen-Fetzen in der Luft, die wild durcheinander wirbeln: das ist Verdun."

Schlacht von Verdun

"Der Mensch wird zum Wurm"

"Nicht Schlachtfeld, sondern Gemetzelfeld"

René Jacob, Familienvater und Bäckermeister aus Burgund, seit September 1915 in Nord-West-Frankreich an der Front, gefallen ein Jahr später bei Verdun:

"Wie soll man es beschreiben? Mit welchen Worten? Gerade sind wir durch Meaux gezogen, die Stadt ist ausgestorben und still. – Meaux mit seinen auf der Marne versenkten Schiffen und seiner zerstörten Brücke. Danach haben wir die Landstraße nach Soisson genommen und die Stelle erklommen, die uns auf die nördliche Hochebene führt.

Und auf einmal, als würde man einen Theatervorhang vor uns lüften, erschien vor uns das Schlachtfeld mit all seinem Grauen. Leichname von Deutschen am Rand der Landstraße. In den Senken und Feldern schwärzliche, grünliche zerfallene Leichname, um die herum unter der Septembersonne Mückenschwärme schwirren.

Menschliche Leichname in merkwürdiger Haltung, die Knie in die Luft gestreckt oder einen Arm an die Böschung des Laufgrabens gelehnt; Pferdekadaver, was noch schmerzlicher als menschliche Leichname ist, mit auf dem Boden verstreuten Gedärmen; Leichname, die man mit Kalk oder Stroh, Erde oder Sand bedeckt, die man verbrennt oder begräbt. Ein schrecklicher Geruch, ein Beinhausgeruch steigt aus dieser Verwesung hervor. Er packt uns an der Kehle und für viele Stunden wird er nicht ablassen.

Gerade, als ich diese Zeilen schreibe, fühle ich ihn noch um mich, was mir das Herz zuschnürt. Vergeblich bemüht sich der in Böen über die Ebene wehende Wind all dies wegzufegen; es gelang ihm, die Rauchwirbel zu vertreiben, die von diesen brennenden Stapeln aufstiegen; aber er vermochte nicht den Geruch des Todes zu vertreiben.

"Schlachtfeld" habe ich vorher gesagt. Nein, nicht Schlachtfeld, sondern Gemetzelfeld. Denn die Leichname, das hat nichts zu bedeuten. Bis jetzt habe ich hunderte ihrer verzerrten Gesichter und ihre verrenkten Haltungen gesehen und vergessen. Aber, was ich niemals vergessen werde, ist die Verschandelung der Dinge, die grässliche Verwüstung der Hütten, das Plündern der Häuser."

schwarz-weiß Foto gefallener Soldaten und deren Pferde auf einem Feld nach einer Schlacht

"Noch schmerzlicher als menschliche Leichname"

"Wahnsinnige Wut und Gewalt"

Auch der expressionistische Maler Franz Marc, Mitglied der Künstlervereinigung "Der Blaue Reiter", kämpft in Verdun. Wie sein berühmter Kollege August Macke fällt er an der Westfront. 1916, im Alter von 36 Jahren, wird Marc bei einem Kundschaftsgang in der Nähe von Verdun tödlich getroffen. Brief vom 27. Februar 1916:

"Nun sind wir mitten drin in diesem ungeheuerlichsten aller Kriegstage. Die ganzen französischen Linien sind durchbrochen. Von der wahnsinnigen Wut und Gewalt des deutschen Vorsturmes kann sich kein Mensch einen Begriff machen, der das nicht mitgemacht hat. Wir sind im Wesentlichen Verfolgungstruppen.

Die armen Pferde! Aber einmal musste dieser Moment ja kommen, in dem alles eingesetzt wird; aber dass es gelang (und es wird sicher noch weiter gelingen) und zwar gerade am stärksten Punkt der französischen Front: Verdun, das hätte niemand geahnt, das ist das Unglaubliche."

Quellen: "Jean-Pierre Gueno: Paroles de poilus – Lettres et carnets du front 1914-1918, Paris 1998" und "Franz Marc: Briefe aus dem Felde, Berlin 1920"

Das Telegramm mit der Nachricht vom Soldatentod des deutschen Malers Franz Marc

Die Todesnachricht an Franz Marcs Witwe

(Erstveröffentlichung 2004. Letzte Aktualisierung 28.06.2021)

Quelle: WDR

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