Auswanderer

Die Geschichte des Au-pairs

Eine neue Sprache lernen, Erfahrungen sammeln oder einfach nur Spaß haben: Jedes Jahr zieht es Tausende junger Menschen als Au-pair ins Ausland. Für freie Kost, Logis und ein Taschengeld kümmern sie sich um die Kinder ihrer Gastfamilie und helfen im Haushalt mit.

Von Andrea Böhnke

Eine Idee aus der Schweiz

Für einige Zeit in einer Gastfamilie im Ausland leben, um eine andere Sprache und Kultur kennenzulernen – die Idee ist nicht so neu, wie es sich vermuten lässt. Ihren Ursprung hat sie vermutlich im so genannten Welschlandjahr.

Ab Mitte des 19. Jahrhunderts reisten junge Frauen aus dem deutschsprachigen in den französischsprachigen Teil der Schweiz, dem sogenannten Welschland oder der Welschschweiz, um in einer fremden Familie zu leben. Für einige Monate kümmerten sie sich dort um Haushalt und Kinder und bereiteten sich so auf ihre Rolle als Hausfrau und Mutter vor. Und nebenbei verbesserten sie ihr Französisch.

Auch in England war diese Form des Auslandsaufenthaltes üblich. Wer etwas auf sich hielt, schickte seine Tochter zum Französischlernen in eine Gastfamilie nach Frankreich. Hier tauchte auch das erste Mal der Begriff "Au-pair" auf. Er stammt aus dem Französischen und bedeutet sinngemäß "auf Gegenseitigkeit". Genau datieren lässt sich der Beginn des Au-pair-Aufenthaltes nach Ansicht von Historikern allerdings nicht.

Auch die oft diskutierte These, das Hausmädchen des 17. und 18. Jahrhunderts sei ein Vorläufer des Au-pairs, lasse sich nicht belegen, sagt Caterina Rohde, Sozialforscherin an der Hochschule Rhein-Waal. Die Wissenschaftlerin hat sich in ihrer Doktorarbeit mit dem Thema Au-pair beschäftigt. "Das ist eine Standardbehauptung, die immer fällt", sagt Rohde. Wissenschaftlich ist diese These aber bisher weder bestätigt noch widerlegt.

Beginn der Au-pair-Vermittlung

Besser erforscht und dokumentiert ist dagegen der Beginn der institutionellen Au-pair-Vermittlung in Deutschland. Ende des 19. Jahrhunderts gab es zwei Wohlfahrtsverbände, die in diesem Bereich arbeiteten. Sie gehörten zur evangelischen und katholischen Kirche.

Die Wohlfahrtsverbände der Kirche vermittelten die ersten Au-pairs | Bildquelle: WDR/Paul Eckenroth

Der "Deutsche Verein der Freundinnen junger Mädchen" (heute: Verein für internationale Jugendarbeit) wurde 1877 in Genf gegründet. Sein Ziel war es, junge Frauen beim Planen ihres Auslandsaufenthaltes zu unterstützen und sie vor möglichen Gefahren zu schützen.

1884 brachte der Verein einen ersten Ratgeber heraus. Er enthielt unter anderem Adressen von Ansprechpartnern, eine Auflistung von Herbergen und Tipps für die Freizeitgestaltung.

Etwas später, 1897, organisierte sich der Katholische Mädchenschutzverein des Deutschen Caritasverbands (heute: "in via"). Auch dieser Verein setzte sich für die Interessen von Au-pairs und ihren Gastfamilien ein.

Zahlreiche Vermittlungsagenturen

Von 1922 an durfte deutschlandweit nur noch die Reichsarbeitsverwaltung Arbeitsplätze vermitteln. Die Wohlfahrtsverbände blieben zwar für die Au-pairs zuständig, arbeiteten aber von nun an unter der Aufsicht der Arbeitsverwaltung.

Zwischenzeitlich übernahm die Arbeitsverwaltung die Au-pair-Vermittlung | Bildquelle: WDR/dpa/Oliver Berg

Im Nationalsozialismus war die private Au-pair-Vermittlung verboten. Erst 1954 konnten die beiden Wohlfahrtsverbände ihre Arbeit wieder aufnehmen. Gleichzeitig begann die Arbeitsverwaltung selbst, Au-pairs zu vermitteln.

Seit 1994 ist das Alleinvermittlungsrecht der Arbeitsverwaltung aufgehoben und die Au-pair-Vermittlung auch zu kommerziellen Zwecken erlaubt. Aus diesem Grund gibt es heute zahlreiche Anbieter auf dem Markt, die junge Menschen in ausländische Gastfamilien vermitteln.

Die negativen Seiten

Beide Seiten – das Au-pair und die Gastfamilie – sollen von dem Auslandsaufenthalt profitieren. Das Au-pair hat die Möglichkeit, seine Sprachkenntnisse zu verbessern und eine andere Kultur kennenzulernen. Zu seinen Aufgaben gehört es meist, die Kinder der Gastfamilie zu betreuen und im Haushalt mitzuhelfen. Im Gegenzug erhält es eine Unterkunft, Verpflegung und Taschengeld.

Doch nicht jeder Au-pair-Aufenthalt verläuft nach diesem Muster. In Internetforen und Ratgeberbüchern berichten ehemalige Au-pairs auch von Problemen: Sie seien von ihren Gasteltern ausgenutzt worden, hätten sich rund um die Uhr um Kinder und Haushalt kümmern müssen und keine Freizeit gehabt.

Die Sozialforscherin Caterina Rohde hat die Situation von Au-pairs innerhalb ihrer Doktorarbeit untersucht. Für ihre Studie interviewte sie russische Frauen, die für einen Au-pair-Aufenthalt nach Deutschland gekommen waren. Auch diese berichteten von Schwierigkeiten.

"Der Au-pair-Aufenthalt wird als Form des Kulturaustausches beworben", sagt Rohde. "Vor Ort werden die Au-pairs aber oft mit einer ganz anderen Situation konfrontiert. Viele müssen feststellen, dass sie in der Gastfamilie die Position eines Kindermädchens oder einer Putzfrau haben – und nicht die eines Familienmitglieds." Ein Großteil der Befragten habe auch gegen Vorurteile und Klischees kämpfen müssen.

Qualitätsstandards für Vermittler

1969 verabschiedete der Europarat das Europäische Übereinkommen über die Au-pair-Beschäftigung, das heute als Grundlage für Au-pair-Verhältnisse gilt. Rechtlich verbindlich ist es in Deutschland nicht, da die Bundesregierung es zwar unterschrieben, jedoch nicht ratifiziert hat. Dafür hätte sie einen entsprechenden Gesetzesentwurf vorbringen müssen, dem der Bundestag hätte zustimmen müssen.

2003 forderten Vertreter des Deutschen Bundestags, die Vermittlung von Au-pairs zu verbessern und sie vor Ausbeutung und Missbrauch zu schützen.

Die Bundesregierung legte daraufhin Qualitätsstandards für die Au-pair-Vermittlung fest und führte ein Gütezeichen für Au-pair-Agenturen ein. In den Qualitätsstandards ist zum Beispiel festgeschrieben, dass Au-pairs mindestens 260 Euro Taschengeld pro Monat erhalten müssen. Zudem darf ihre Arbeitszeit sechs Stunden pro Tag und insgesamt 30 Stunden pro Woche nicht überschreiten.

Inzwischen haben sich zahlreiche Agenturen freiwillig zu den Qualitätsstandards verpflichtet und das Gütezeichen erhalten.

Als Au-pair-Oma ins Ausland

Seit einigen Jahren zeichnet sich ein neuer Trend in der Au-pair-Vermittlung ab. 2010 entstand die erste Au-pair-Agentur Deutschlands, die Frauen ab 50 Jahren ins Ausland vermittelt. "Ich habe die Agentur aus meiner eigenen Sehnsucht heraus gegründet", sagt Agenturgründerin Michaela Hansen. Sie habe jung geheiratet und früh Kinder bekommen und daher als junge Frau nie die Möglichkeit gehabt, als Au-pair ins Ausland zu gehen.

Auch ältere Frauen gehen als Au-pairs ins Ausland | Bildquelle: Granny Aupair/Marion Döring

Wem es ähnlich geht, der kann sich bei "Granny Aupair" melden. Die Agentur vermittelt in mehr als 50 Länder weltweit. "Die Alten werden immer fitter und möchten noch lange aktiv sein. Diesem Bedürfnis kommen wir entgegen", sagt Hansen.

Die Aufgaben der Au-pair-Omas unterscheiden sich kaum von denen der jüngeren Au-pairs: die Kinder der Gastfamilie betreuen und im Haushalt helfen. "Die Granny Aupairs sind unheimlich beliebt, weil sie natürlich mehr Lebenserfahrung haben", sagt Michaela Hansen. Auch für die Frauen selbst sei ihr höheres Alter von Vorteil. "Man weiß mehr, was man will und ist wahrscheinlich selbstständiger als eine ganz junge Frau", sagt die Agenturbesitzerin.

Trotzdem kommt es auch vor, dass die Au-pair-Omas Probleme mit ihrer Gastfamilie haben. "Die Gründe sind vielfältig. Letztendlich kommen da Menschen zusammen und das kann auch schiefgehen", sagt Hansen. Das sei aber eher die Ausnahme.

Für die Zukunft wünscht sich Michaela Hansen, dass sich mehr Frauen entscheiden, im Alter noch einmal ins Ausland zu gehen. "Auch mit 70 Jahren kann man noch Au-pair werden. Da geht noch was, auch wenn man älter ist", sagt Hansen.

(Erstveröffentlichung: 2014. Letzte Aktualisierung: 21.04.2020)