Gemälde der Piazza della Signoria

Renaissance

Die Renaissance – eine neue Epoche?

Die Historiker sind sich heute weitgehend einig, dass die Renaissance viel mittelalterlicher war, als lange angenommen wurde. Die glanzvolle Epoche der Renaissance hat es wahrscheinlich in Reinform nicht gegeben.

Von Gregor Delvaux de Fenffe

Eine kleine Minderheit

Dass wir heute bei dem Begriff Renaissance an bedeutende Kirchen, prachtvolle Bilder und Meisterwerke der Bildhauerei denken, verdanken wir dem Schweizer Kulturhistoriker Jacob Burckhardt. Die Renaissance ist maßgeblich seine Erfindung.

In seinem Werk "Die Cultur der Renaissance in Italien" von 1860 beschreibt Burckhardt die Renaissance als eine zusammenhängende Epoche, die schlagartig den Aufbruch Europas in die Moderne einleitet. Bis heute prägt dies unser Bild von der Renaissance.

Es gab ganz sicher einen epochalen Aufbruch, verbunden mit einer Neubesinnung auf den Menschen, eine kulturelle Bewegung, an die in dieser Form erst in der Aufklärung wieder angeknüpft wurde.

Und nachweislich hat es opulente Feste, herrliche Turniere und Gespräche über die Antike gegeben. Auch Männer, die in gelehrten Zirkeln die antiken Quellen studierten, die die Schriften der Griechen und Römer wieder lasen und ihre Philosophien durchdachten.

Diese Träger der Renaissance waren nicht zahlreich, aber es hat sie gegeben. Und Florenz hat in jeder Hinsicht Epoche geschrieben, die doppelte Buchführung erfunden, das Mäzenatentum, das Schaffen und Sammeln von Kunst eingeführt, sogar mit Amerigo Vespucci einem ganzen Kontinent den Namen verliehen.

Aber es waren eben nur die Eliten, die so lebten, lehrten und schufen. Der größte Teil der Menschen damals hatte an den Highlights der Renaissance keinen Anteil.

Das Porträt einer venezianischen Adligen in der Renaissance

Nur wenige hatten Anteil an der schillernden Zeit

Historiker blicken hinter die Kulissen

Der Großteil der Menschen war sehr arm und lebte unter widrigen Bedingungen. Die Menschen waren ständig bedroht von Hunger, Krankheit, Gewalt und Klimaschwankungen.

Die sogenannte kleine Eiszeit – eine dramatische Klimaverschlechterung, die über Jahre hinweg ganze Ernten zerstörte –, die damit verbundenen großen Agrarkrisen und die große Pestepidemie von 1347/48 bewirkten einen dramatischen Bevölkerungsrückgang.

Schätzungen zufolge starben in Europa 20 bis 25 Millionen Menschen. Das entspricht einem Drittel der damaligen Bevölkerung. Diese extremen Bedingungen schufen das Ausgangspotenzial für die Entfaltung der Renaissance.

Auswirkungen der Pest auf die Renaissance

01:39 Min. UT Verfügbar bis 13.10.2027

Geistig-existenzielle Krise

Die existenzielle Konfrontation des Menschen mit den lebensfeindlichen Bedingungen jener Zeit führt zu einer epochalen Neubesinnung. Der italienische Dichter Giovanni Boccaccio, neben Dante und Petrarca der bedeutendste Autor des 14. Jahrhunderts, beschreibt diese neue Geisteshaltung eindringlich in seinem Werk "Decamerone".

Sieben junge Mädchen und drei junge Männer fliehen vor der Pest, die im Sommer des Jahres 1348 in Florenz wütet. Die jungen Menschen erzählen sich angesichts der tödlichen Bedrohung Geschichten, die sich mit dem kostbaren Dasein auf Erden befassen, einem so zerbrechlichen Dasein, das so schnell und abrupt enden kann.

Zwei Möglichkeiten schälen sich heraus: Das Leben in vollen Zügen genießen und in seiner ganzen Sinnlichkeit erfassen oder die bewusste Entscheidung auf eine mystische Ausrichtung hin, eine Besinnung auf Gott, aber auch auf Werte, die über das Irdische hinausgehen und den Menschen überdauern.

Neben der Religion entwickelt der Mensch ein Gespür für Ästhetik, ein inneres Bedürfnis nach Schönheit – festgehalten in der Kunst.

Szene aus Boccaccios' Decamerone

Szene aus Boccaccios' Decamerone

Bedeutende Kapitalakkumulation

Die Pest besitzt damals die verheerende Wirkung einer Neutronenbombe. Die Menschen sterben, Besitz, Kapital und Güter überdauern. Die unerwartete Kapitalakkumulation in den Händen weniger Menschen führt nun zu großer Investitionsbereitschaft.

Plötzlich ist Geld da, das ausgegeben werden kann. Doch wofür? Mäzene treten auf, Stifter tun sich hervor. Geld soll sinnvoll investiert werden, zur Unterstützung der sozial schlechter Gestellten, als Bußleistung, um die eigenen Vergehen reinzuwaschen, zur höheren Ehre Gottes.

Der Ablasshandel kommt in Schwung, aber auch die Förderung von Kunst und Kultur. Kunst ist damals eng mit religiösen Ausrucksformen und dem Glauben der Menschen verknüpft. Wer es sich leisten kann, finanziert Kunst, die auch im Jenseits dienlich sein soll, etwa das Stiften eines schönen Altars oder einer Seitenkapelle.

Gemälde, auf dem Lorenzo de Medici mit braunen langen Haaren auf einem Lehnstuhl sitzt und vor sich hinstarrt.

Mäzen Lorenzo de Medici

Ausgangsfaktoren der Renaissance

Beides, so der Historiker Bernd Roeck von der Univeristät Zürich, die geistig-existenzielle Krise der Menschen, gepaart mit jener Häufung von Kapital, sind die entscheidenden Ausgangsfaktoren der Renaissance. Ein Markt entsteht für die Kunst.

Die Superreichen, die ganz Großen jener Zeit, in erster Linie Herrscher und hohe Geistliche, geben Kunstwerke in Auftrag. Die Kunst wird gefeiert um ihrer selbst willen, um den künstlerischen Ausdruck und das schöpferische Moment festzuhalten.

Aber Kunst besitzt damals auch eine hohe politische Bedeutung. Kunst sollte gesehen werden, sie wurde zur Schau gestellt. Kunst wurde zum Statussymbol für den Stifter und Mäzen, der auf diese Art seine Macht und seinen Einfluss öffentlich vermarktete.

Quelle: SWR | Stand: 26.06.2019, 15:45 Uhr

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