Johan Galtung bei einem Vortrag 2015

Konflikte

Konfliktforscher Johan Galtung

Die Lebensaufgabe des norwegischen Friedens- und Konfliktforschers Johan Galtung: friedliche Lösungen für Konflikte zu finden. Mehr als 50 Jahre lang erforschte er die Mechanismen von Krieg und Frieden. 1987 erhielt er dafür den Alternativen Friedensnobelpreis.

Von Julia Lohrmann

1959 gründete Galtung in Oslo das erste internationale Institut für Friedensforschung. Immer wieder berät er die UNO und macht Vorschläge für gewaltfreie Konfliktlösungen. Sein großes Vorbild ist Mahatma Gandhi und dessen unerschütterlicher Optimismus. 1987 erhielt Johan Galtung den Alternativen Friedensnobelpreis für seine Arbeiten in der Friedensforschung.

Ein Entschluss mit weitreichenden Folgen

Johan Galtung wird 1930 in Oslo geboren. Sein Vater ist Professor für Militärgeschichte und Strategie und damals der kommandierende General von Norwegen. Dennoch hat Galtung Zweifel an der militärischen Methode oder Gewaltanwendung als Lösung für Konflikte.

Durch Diskussionen mit seinem Vater und angesichts der Schrecken des Zweiten Weltkrieges beginnt der junge Mathematik- und Soziologiestudent sich mit den Ursachen von Krieg zu beschäftigen.

Mit 24 Jahren entscheidet er sich, selbst etwas für den Frieden zu tun. Dieser Entschluss ist der Beginn einer neuen Wissenschaft, der Friedensforschung. Auch in Deutschland bieten inzwischen einige Universitäten den Studiengang Friedens- und Konfliktforschung an.

Johan Galtung ist Professor und lehrt unter anderem an der Universität von Hawaii, der Universität Witten/Herdecke, der Europäischen Friedensuniversität in Österreich und der Universität des Saarlandes. Er veröffentlicht mehr als 70 Bücher – zum Beispiel über die psychologischen, kulturellen und strukturellen Ursachen bewaffneter Konflikte und ihre Lösungsmöglichkeiten.

Mit Nachdenken, Verständnis und Kreativität

Die Logik eines Mathematikers und die tiefen Einsichten in das komplizierte Netzwerk der menschlichen Beziehungen bestimmen die Lösungsvorschläge Galtungs. Beim Geiseldrama in Perus Hauptstadt Lima im Jahre 1997 arbeitet er mit seinem Team einen Vorschlag für eine friedliche Lösung aus. Eine Gruppe von Revolutionären der Tupac-Amaru hatte in der japanischen Botschaft 72 Geiseln genommen, um ihre 450 Genossen aus den Gefängnissen frei zu bekommen.

Drei bewaffnete Rebellen stehen nebeneinander, ihre Gesichter sind mit rot-weißen Tüchern maskiert.

Rebellen besetzen die japanische Botschaft in Lima

Das Friedensforscherteam um Galtung analysiert vier Konfliktparteien: die Guerillas, die Genossen in den Gefängnissen, die Geiseln und die Regierung in Peru. Als eigentliche Ursache für den Konflikts benennen sie die Armut in Peru. Jede der Parteien soll nun einen Beitrag zur Beseitigung der Armut leisten.

Das Szenario: Die Guerillas legen ihre Waffen nieder und kämpfen mit friedlichen Mitteln gegen die Armut, die Gefangenen erhalten im Gefängnis eine intensive Ausbildung zum Sozialarbeiter, die Geiseln verpflichten sich, zehn Prozent ihres Lebens der Abschaffung der Armut zu widmen und die peruanische Regierung erhebt die Armutsbekämpfung zu ihrem obersten Ziel. Die Regierungen der USA und Japans sollen sich finanziell beteiligen.

Der Vorschlag enthält noch weitere Aspekte, etwa den Einsatz eines Schlichterteams. Er wird in 80 Zeitungen veröffentlicht, nicht aber in Westeuropa und den USA. Das Geiseldrama nimmt ein gewaltsames Ende, niemand nimmt den Vorschlag Galtungs an. Die Botschaft wird von Soldaten eingenommen. Eine Geisel, zwei Soldaten und 14 Mitglieder der Revolutionäre sterben.

Friedensjournalismus

Die Rolle der Medien und die Aufgabe der Journalisten für die Entwicklung von Konflikten hält Galtung für sehr wichtig. Er unterscheidet dabei zwischen Friedens- und Hassjournalismus.

Hassjournalismus berichtet erst, nachdem die Gewalt ausgebrochen ist und konzentriert sich lediglich auf die Darstellung des Konfliktes. Es wird nur ein begrenzter Zeitraum behandelt und Vorentwicklungen und Hintergründe nicht aufgedeckt.

Kriegsreporter mit Mikrofon vor brennenden Häusern.

Die Medien berichten zu wenig über die Hintergründe

Hassjournalismus unterscheidet zwischen dem Journalismus "von uns" und dem "der Anderen", wobei "die Anderen" als Problem gesehen werden und ihnen Propaganda unterstellt wird. Wörter wie "Terror", "Vergeltung", "Krieg" oder "Hass" kommen oft vor.

Friedensjournalisten sind vor allem an Lösungen interessiert. Sie versuchen Konflikte verständlich zu machen, informieren über Hintergründe und stellen die Lügen aller Seiten dar. Sie zeigen das Leiden der Opfer und berichten über die Folgen des Krieges. Sie informieren auch über Friedensinitiativen und Schlichtungsbemühungen.

Positiv bewertet Galtung das Internet. Obwohl es schwierig sei, den Wahrheitsgehalt der dort veröffentlichten Beiträge zu untersuchen, sei oftmals eine umfassende Beschaffung von Informationen möglich. Anders als in Printmedien, Hörfunk und Fernsehen sei im Netz eine Zensur wesentlich schwieriger.

Innerer Dialog und Handlung

Jahr für Jahr gibt es weltweit viele politische Konflikte, die mit Gewalt gelöst werden. Unzählbar sind die vielen kleinen Alltagskonflikte, die in Hass und Gewalt enden. Dennoch arbeitet Johan Galtung unermüdlich weiter. Seine Arbeit beginnt immer mit sich selbst, mit dem inneren Dialog und er führt sie fort in seinen Projekten.

Galtung ist Direktor von Transcend, einem Netzwerk für Entwicklung und Frieden. Hoffnung schöpft er aus der Geschichte der Menschheit. Sie zeige, dass es irgendwo eine Quelle der Überlebensfähigkeit geben muss.

Er glaubt daran, dass die Menschen die innere Neigung und die Kraft besitzen, Probleme auch anders als mit Gewalt zu lösen: durch Mitgefühl, Wissen, Kreativität und einen langen Atem. Und durch Optimismus.

(Erstveröffentlichung 2002. Letzte Aktualisierung 13.11.2020)

Weiterführende Links

Quelle: WDR

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