Urbane Landwirtschaft

Planet Wissen 29.11.2023 04:20 Min. Verfügbar bis 13.02.2028 ARD-alpha

Landwirtschaft

Landwirtschaft in der Stadt

In vielen deutschen Städten entstehen kleine grüne Oasen: Paradiese, in denen beim gemeinsamen Graben nicht nur die Pflanzen wachsen, sondern auch das Gemeinschaftsgefühl.

Von Leonie Schmid

Garten und Stadt – ein eingespieltes Duo

Die Geschichte des "Urban Farming", des städtischen Obst- und Gemüseanbaus, ist so bunt und vielfältig wie die Ernte der Stadtbauern in den urbanen Gartenprojekten. Weit gefehlt also, wenn jemand bei Landwirtschaft allein an Land denkt: Auch in den Städten hat sich ganz schön was getan im Gemüsebeet.

Wer heute im Englischen Garten in München auf der Schönfeldwiese flaniert, weiß wohl kaum mehr, dass einst auf diesem Fleckchen Erde Soldaten Obst und Gemüse anbauten. Im Jahre 1789 entstanden in München die ersten Militärgärten. Hier konnten sich die Soldaten erholen, doch nicht nur das: Sie sollten sich auch Kenntnisse in der Landwirtschaft aneignen.

Ganz und gar nicht militärisch, sondern überaus volksnah geht es zu bei einem typisch deutschen Phänomen, das nur wenig später entstand und noch heute aktuell ist: Kurz nach 1800 nahm die Entwicklung der Kleingärten ihren Lauf.

Die gepachteten Parzellen, die gleich in ganzen Kolonien daherkommen, erfreuen sich bis heute großer Beliebtheit. Laut dem Bundesverband Deutscher Gartenfreunde gibt es hierzulande rund eine Million Kleingärten.

Der erste Schrebergarten entstand in Leipzig

Dass Kleingärten häufig auch als Schrebergärten bezeichnet werden, hat seinen Grund: In Leipzig war dem Arzt Moritz Schreber daran gelegen, dass Stadtkinder sich mehr in frischer Luft bewegten und mit dem Gärtnern vertraut machten.

Der 1864 entstandene erste Schrebergarten brachte jedoch sogleich ans Licht, wofür die Kinder sich begeisterten: spielen ja, gärtnern nein. So mussten die Eltern selbst Hand anlegen, um den Gärten ein gepflegtes Aussehen zu verpassen.

Noch heute sei Leipzig mit rund sechs Gärten je 100 Einwohner die Kleingartenhochburg Deutschlands, berichtet der Bundesverband Deutscher Gartenfreunde.

Kleingärten in Ost- und Westdeutschland

Ums nackte Überleben ging es bei der Gartenarbeit zu Kriegszeiten. Nach dem Zweiten Weltkrieg änderte sich allmählich der Blick auf den städtischen Acker: In Westdeutschland, wo jedermann Kohl und Co. plötzlich in Supermärkten kaufen und in einer Tiefkühltruhe lagern konnte, schrumpften die Gemüsebeete. Der Garten wurde zum Naherholungsraum, zum grünen Wohnzimmer.

In der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) dagegen beäugten die Politiker die Schrebergärten anfangs misstrauisch, sahen in ihnen jedoch bald eine Chance: Selbstgezogenes Beerenobst und Feingemüse sollten hinwegtrösten über die gähnende Leere in den Ladenregalen.

Eine Kaffeetafel unterm Sonnenschirm an einer Laube in der Kleingartenanlage

Kaffeetafel in einer Kleingartenanlage

Gemeinschaftsgärten: Vorbild USA

Kleingärten sind grüne Inseln für Individualisten, die für sich sein wollen. Dass es auch anders geht, machten uns die USA vor: Mitte der 1970er-Jahre schwappte die Idee der Community Gardens über den großen Teich.

In tatkräftiger Gemeinschaftsarbeit gingen Anwohner benachteiligter New Yorker Viertel ans Werk: Sie besetzten und entmüllten Brachflächen, pflanzten Blumen, bauten allerlei Grünes und Gemüse an.

Deutschland erreichte diese Bewegung in den 1990er-Jahren. Berlin gilt heute als Dreh- und Angelpunkt der Gemeinschaftsgärten.

Stadtgärten als Helfer in der Not

Gärtnern in der Stadt, um zu überleben – das war Alltag in deutschen Städten nach dem Zweiten Weltkrieg. Im Kampf gegen den Hunger züchteten die Deutschen Kartoffeln und Steckrüben auf Schutthalden und in Hinterhöfen. Auch heute krempeln Menschen in Krisenzeiten die Ärmel hoch und besinnen sich aufs Gemüsebeet.

Im hoch verschuldeten Griechenland lassen sich Arbeitslose und Menschen unterschiedlicher Berufe nicht unterkriegen und initiierten ein gemeinschaftliches Projekt.

Nun bepflanzen sie ein ehemaliges Flughafengelände mit Paprika, Tomaten, Bohnen und Melonen. Andere Griechen betreiben auf ihrem Hausdach gleich eine ganze Gemüsefarm. Not macht erfinderisch – nicht nur in Hellas.

Ein Hintergarten in Griechenland vor einem Plattenbau

Hintergarten in Griechenland 2013

Bioanbau in Kubas Städten

Für Kubas Landwirtschaft bedeutete es einen schweren Schlag, als zu Beginn der 1990er-Jahre der Ostblock zusammenbrach. Der große Bruder Sowjetunion verabschiedete sich als Wirtschaftspartner: keine Lebensmittel, kein Erdöl, keine Pestizide mehr für den karibischen Inselstaat. Mangels Treibstoff zog ein großer Teil der Landwirtschaft in die Städte, und mangels Pestiziden stellte Kuba um auf Bioanbau.

Nun steigen kubanische Stadtbauern ihren Häusern aufs Dach und bauen Tomaten und Bananen in luftiger Höhe an. Zwischen Wohnblocks sprießen außerdem in Gemeindebeeten Salat oder Radieschen – aufgezogen mit natürlichen Helfern wie Kompost, Regenwürmern und anderen Nützlingen.

Die Geisterstadt Detroit ergrünt

Auch die einstige "Motor City" Detroit geriet schon vor Jahrzehnten schwer ins Schleudern: Die Autobranche liegt darnieder – zahlreiche Arbeiter verloren ihre Jobs und verließen die Stadt.

Beherzt ergreifen seit einigen Jahren verbleibende Bewohner die Initiative, um der fast zur Geisterstadt verkommenen Metropole von einst neues Leben einzuhauchen: Sie setzen auf die Kräfte des Urban Farming und verwandelten ödes Brachland und Dachterrassen in inzwischen über 1200 fruchtbare Gärten.

Die Erträge können Detroits Stadtbauern gut gebrauchen. Nebenbei wird die leidgeprüfte Stadt durch das saftige Grün belebt. Die Farbe Grün steht schließlich für Hoffnung.

Quelle: SWR | Stand: 23.05.2019, 11:00 Uhr

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