Ölgemälde: Familie bei der Zigarrenherstellung in Heimarbeit. Eine Situation aus dem späten 19. Jahrhundert.

Nikotin

Bünde – Zigarrenmetropole in Ostwestfalen

Als man Zigarre vorne noch mit "C" schrieb, entwickelte sich die kleine ostwestfälische Stadt Bünde zur Metropole der deutschen Tabakverarbeitung. 1880 gab es dort 18 Zigarrenfabriken und vier große Herstellungsbetriebe für hölzerne Zigarrenkistchen.

Von Alfried Schmitz

Neben den vielen festen Beschäftigten in den Betrieben standen auch noch jede Menge Heimarbeiter in Lohn und Brot der Tabakindustrie, die zum wichtigsten Wirtschaftszweig der Kleinstadt wurde. Auch heute ist Bünde noch eine Top-Adresse in Sachen Zigarre.

Tabak für die Alte Welt

Von seinen vier Entdeckungsreisen, die ihn zwischen 1492 und 1504 nach Amerika führten, brachte Christoph Kolumbus nicht nur viele Impressionen, sondern auch jede Menge unbekannte Dinge mit nach Hause.

So lud seine Mannschaft auch die in Europa bis dahin unbekannte Tabakpflanze aus den prall gefüllten Schiffsbäuchen, von der man Merkwürdiges zu berichten wusste. Dass die amerikanischen Ureinwohner nämlich die getrockneten und zu Stangen gerollten Blätter dieser Pflanze anzündeten, in den Mund nahmen, zum Glimmen brachten, den Rauch einatmeten, um ihn dann wieder durch Nase und Mund auszustoßen.

Dieses außergewöhnliche Ritual des Tabakgenusses verbreitete sich langsam aber sicher auch in Europa, nur dass man hier zunächst den Tabak zerkleinerte, um ihn in langen Pfeifen zu verbrennen. Das Paffen und Qualmen kam derart in Mode, dass es sich zu einem wahren Volksvergnügen für Frau und Mann gleichermaßen entwickelte.

Zu Zigarren gerollte Tabakblätter kamen erst Ende des 18. Jahrhunderts auf, setzten sich aber sehr schnell durch. Um den hohen Bedarf an Tabak zu befriedigen, wurden ganze Schiffsladungen geordert. Baltimore, an der US-Ostküste, wurde zum wichtigsten Verladehafen für den Transport von der Neuen in die Alte Welt.

Bremen wurde zu Beginn des 19. Jahrhunderts zum größten Umschlagplatz für Überseetabak, der dem heimischen in Qualität und Geschmack überlegen war.

Das Gemälde zeigt den jungen Christoph Kolumbus.

Kolumbus brachte die Tabakpflanze nach Europa

Die ostwestfälischen Tabakspinner

Bereits in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts hatte man in Ostwestfalen damit begonnen, Tabak anzupflanzen. Doch der große Bedarf konnte damit nicht gedeckt werden und so war man auf die Importe aus Übersee angewiesen, die man gemeinsam mit den heimischen Tabaken verarbeitete.

Gefördert wurde die Tabakverarbeitung durch den preußischen König Friedrich II., zu dessen Herrschaftsbereich die Großregion Ostwestfalen gehörte. Musste man schon auf Importware zurückgreifen, dann sollte zumindest die Verarbeitung im eigenen Land erfolgen, so lautete seine Devise.

König Friedrich II. – Inbegriff der preußischen Geschichte

König Friedrich II. förderte die Zigarrenverarbeitung in Ostwestfalen

In Ostwestfalen hatte man dazu eine besondere Methode erdacht, die man "Spinnen" nannte. Die getrockneten Tabakblätter wurden in Manufakturen zu fingerdicken meterlangen Schlangen gerollt, die man schließlich, der besseren Lagerung wegen, zu Spiraltürmen von einem Meter Höhe drehte.

Tabakspinnereien entstanden in Herford, Vlotho, Minden und Bünde. Als zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Luxus-Zigarre ihren Siegeszug in den Rauchsalons der besseren Kreise antrat – in billigen Varianten aber auch die breite Bevölkerung erreichte–, schossen Zigarrenfabriken in Ostwestfalen wie Pilze aus dem Boden.

Arbeitskräfte wurden in Scharen gebraucht, denn für die Fabriken benötigte man weitaus mehr Personal als für die Spinnereibetriebe. In diesem Boom sahen auch zwei Bürger aus Bünde die Chance für ihre Heimatstadt.

Schwarzweiß-Foto: Männer, Frauen und Kinder mit Zigarren.

Die Belegschaft einer Zigarrenmanufaktur in Bünde

Bünde wird zur Zigarrenstadt

Das Weserstädtchen Bünde, das damals gerade einmal 3000 Bürger zählte, war landwirtschaftlich geprägt und hatte auch viele Jahre von der Leinenweberei sehr gut gelebt. Doch die goldenen Jahre schienen vorbei. Die Nachfrage nach Tuchen war stark zurückgegangen und auch die Landwirtschaft befand sich im Niedergang.

In der aufkeimenden Zigarrenindustrie sahen die Bündener Georg Meyer und Tönies Wellensiek die Gelegenheit, die Agrarbetriebe, die ihre Väter und Großväter aufgebaut hatten, in lukrativere Zigarrenmanufakturen zu verwandeln.

Meyer hatte das Zigarrenmachen in Osnabrück erlernt und machte sich 1842 in seiner Heimatstadt selbstständig. Ein Jahr später folgte Wellensiek seinem Beispiel. Beide Betriebe wuchsen zusehends, erhöhten die Produktionskapazität und stellten immer mehr Beschäftigte ein.

Der Grund, warum auch viele andere Betriebe nach Bünde zogen, lag in der Zollpolitik jener Tage. Wer seine Ware im großen Gebiet des preußischen Zollvereins absetzen und die hohen Einfuhrzölle umgehen wollte, war gezwungen, seine Produktionsstandorte nach Preußen zu verlegen. Bünde gehörte territorial zu Preußen und damit auch zum Zollverein.

Zudem wussten die Zigarrenbarone, dass sie in Bünde die geringsten Löhne zu zahlen hatten. In der Stadt herrschte seit dem Niedergang der Leinenweberei eine hohe Arbeitslosigkeit und Armut. Daher war man dort um jeden Arbeitsplatz froh und mit jedem Lohn zufrieden.

In den Jahren von 1849 bis 1852 verelffachte sich die Zahl der Arbeiter und Angestellten in der Zigarrenindustrie in Bünde.

Schauvitrine mit einer alten Waage, auf der Zigarren liegen, und einem alten Lehrvertrag.

Zigarrenwaage im Deutschen Tabakmuseum Bünde

Trotz Zigarette – Bünde bleibt erfolgreich

Das starke Lohngefälle zu anderen Zigarrenstädten führte zum Siegeszug der Tabakprodukte aus Bünde, die preiswerter auf dem immer noch boomenden Zigarrenmarkt angeboten werden konnten. Hinzu kam, dass Bünde endlich auch an das Eisenbahnnetz angeschlossen wurde, was für den Transport und den Absatz der Produkte von enormer Wichtigkeit war.

Immer mehr Menschen arbeiteten für die Zigarrenbarone aus Bünde und das nicht nur in den Fabriken. Oft waren ganze Familien in Heimarbeit damit beschäftigt, Zigarren zu rollen. Mit ein paar Handgriffen wurde in vielen Wohnungen der Küchentisch nach dem kargen Mahl zum Arbeitsplatz.

Im ausgehenden 19. Jahrhundert setzte sich in der breiten Bevölkerung jedoch ein neuartiges Tabakprodukt durch, das man "Papiercigarre" nannte. Dünne Glimmstängel, die, in feines Papier gerollt, zerkleinerten Tabak enthielten.

Die Zigarette, für den kurzen, unkomplizierten und überaus preiswerten Rauchgenuss geschaffen, wurde zum Massenprodukt, das maschinell hergestellt werden konnte.

Immer mehr Zigarrenbetriebe mussten schließen. Doch Bünde hat seine Bedeutung als Zigarrenstadt durch die Herstellung hochwertiger Produkte bis heute behaupten können. Es gibt noch einige bekannte Betriebe in und um Bünde.

Von der langen und interessanten Tabakgeschichte der ostwestfälischen Stadt berichtet ein Museum, das sich in einem 1828 erbauten Fachwerkhaus befindet. Mehr als 2000 Exponate rund um Tabak und Zigarren nennt das Museum, das 1937 eröffnet wurde, sein Eigen. Die meisten davon befinden sich in einem riesigen Lager.

Die schönsten und außergewöhnlichsten, darunter auch die größte Zigarre der Welt, die in Bünde hergestellt wurde, kann man in den Ausstellungsräumen besichtigen.

In einer Glasvitrine liegt eine riesige Zigarre mit roter Banderole.

Die größte Zigarre der Welt im Deutschen Tabakmuseum Bünde

(Erstveröffentlichung 2008. Letzte Aktualisierung 08.05.2020)

Quelle: WDR

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