Jungen beim Fußballspiel

Fußballgeschichte

Fußball im Ruhrgebiet

Fußball spielt eine große Rolle im Ruhrgebiet – und das nicht nur bei Schalke 04 oder Borussia Dortmund. Ob Bolzen auf dem Ascheplatz oder Triumphe im Stadion: Fußball ist hier regionale Identität und Kultur.

Von Christoph Teves

Die ersten Vereine

Allen Klischees vom Ruhrgebietsfußball als "Sport der einfachen Arbeiter" zum Trotz – wie überall in Deutschland fasste auch hier das britische Spiel zunächst in den höheren Schulen Fuß.

Typisch für die Anfänge des Fußballs in Deutschland ist die Gründung des FC Witten 1892: Der erste Fußballverein des Ruhrgebiets wurde von Schülern des Wittener Realgymnasiums ins Leben gerufen.

Fußball war zunächst ein Vergnügen des gehobenen Bürgertums. Erst 1900 – und damit immer noch früher als viele andere Vereine – lockerte der FC Witten seine elitären Regeln für eine Mitgliedschaft und erlaubte es auch einfachen Volksschülern beizutreten.

Außer an Schulen entstanden Fußballvereine zu dieser Zeit oft als Spielabteilungen etablierter Turnvereine, so auch der damals erfolgreichste Revierklub, der Duisburger Spielverein. Er wurde als Spielabteilung des Duisburger Turnvereins von 1848 gegründet.

Als erste deutsche Mannschaft trat er zu Freundschaftsspielen in England an. Der Ausflug ins Mutterland des modernen Fußballs endete für die Duisburger 1896 allerdings mit üblen Klatschen: 0:6, 0:6, 0:9, 0:13. Daheim war man erfolgreicher: Zwischen 1904 und 1927 wurde der Duisburger Spielverein zehnmal Westdeutscher Meister.

Kirche und Krieg

Nach der Jahrhundertwende gründeten sich immer mehr Fußballklubs. Nach wie vor dominierten bürgerliche, mittelständische Klubs, doch allmählich entstanden auch die ersten aus dem Arbeitermilieu – zum Beispiel in Zechensiedlungen oder als Ableger kirchlicher Vereine.

Einen kirchlichen Hintergrund hatte etwa Borussia Dortmund: Einige Mitglieder der Jugendgruppe der katholischen Dreifaltigkeitsgemeinde, die sich regelmäßig zum Kicken trafen, fühlten sich von ihrem Kaplan systematisch schikaniert.

Darum gründeten sie am 19. Dezember 1909 ihren eigenen Verein, den "Ballspiel-Verein Borussia 1909" (BVB). Den Namen "Borussia" liehen sich die Dortmunder Kicker von einer örtlichen Brauerei. Und ihre ersten Trikots waren – auch wenn es heute wohl weder Dortmunder noch Schalker gern lesen – blau-weiß gestreift.

Schwarzweiß-Foto der Dortmunder Mannschaft von 1911 in gestreiften Trikots.

Die Dortmunder Mannschaft von 1911

Seinen Durchbruch zum Massensport schaffte der Fußball in Deutschland unter anderem durch den Ersten Weltkrieg. Der Sport wurde Teil der Militärausbildung und unter Soldaten bald sehr beliebt. Wer als Soldat in den Krieg zog, machte auch Erfahrungen mit dem Fußballsport und brachte diese Erfahrungen von der Front mit nach Hause.

In den 1920er-Jahren erlebte Fußball einen Boom und verlor endgültig seine Exklusivität als Sport für die "oberen Zehntausend". Die Arbeiter, die durch den Acht-Stunden-Tag endlich über Freizeit verfügen konnten, entdeckten das Spiel für sich, als Spieler wie als Zuschauer.

Organisatorisch und sportlich schlossen die Arbeiterklubs zu den bis dahin wesentlich erfolgreicheren bürgerlichen Vereinen auf. Der Mythos des Arbeiterfußballs im Ruhrgebiet entstand.

Schalke 04 dominiert

Aushängeschild dieses Mythos' war (und ist bei vielen noch heute) der FC Schalke 04. Von jungen Bergleuten und Lehrlingen im Mai 1904 unter dem Namen "Westfalia Schalke" gegründet, war der Verein zunächst nur eine von vielen Straßenmannschaften – ohne eigenen Platz, ohne eigenen Ball.

Doch ab Mitte der 1920er-Jahre avancierten die "Knappen", nun als "Schalke 04", zur erfolgreichsten Mannschaft des Ruhrgebiets. Auf sechs Ruhrbezirksmeisterschaften zwischen 1927 und 1933 folgte die erfolgreichste Phase mit dem Gewinn der Deutschen Meisterschaft 1934, 1935, 1937, 1940 und 1942.

Die Erfolge der Schalker wurden im ganzen Ruhrgebiet bejubelt – sogar in Dortmund. Vor allem die Arbeiter der Region identifizierten sich mit der Mannschaft aus dem Revier, in der die Söhne einfacher masurischer Einwandererfamilien die größten Stars waren: Fritz Szepan und Ernst Kuzorra.

Schwarzweiß-Foto: Ernst Kuzorra beim Torschuss.

Schalke-Legende Ernst Kuzorra

Die Kehrseite der Erfolgsmedaille: Auch die Nationalsozialisten erkannten das mythische Potenzial der einfachen Arbeiter, die sich zu großen Triumphen aufschwangen. Sie spannten die Schalker als Prototypen deutscher Arbeiter für ihre Propaganda ein, und die Schalker ließen sich einspannen.

Derbyfieber: die Oberliga West

Nach dem Zweiten Weltkrieg lagen im Ruhrgebiet Stadien, Plätze, Vereinsanlagen in Schutt und Asche. Parallel zu den Aufräumarbeiten wurde der offizielle Spielbetrieb neu organisiert. Zuständig für Nordrhein-Westfalen war der Westdeutsche Fußball-Verband, der 1947 die Oberliga West ins Leben rief. Eine Liga, die bis zur Gründung der Fußball-Bundesliga 1963 bestand und bei vielen älteren Fußballfans noch heute einen legendären Ruf genießt.

Dank zahlreicher Derbys und hochklassigem Fußball avancierte die Oberliga West zum Publikumsmagnet. Besonders die Vereine des Ruhrgebiets spielten sich ins Rampenlicht, wobei die Dominanz der Schalker beendet wurde. Zwar konnten sie 1951 und 1958 noch zweimal die Oberliga gewinnen. Doch als führendes Team des Ruhrgebiets wurden sie von Borussia Dortmund abgelöst.

Schalkes Niederlage gegen Dortmund im Endspiel um die Westfalenmeisterschaft 1947 markierte nicht nur eine sportliche Zeitenwende, sondern auch den Beginn der berüchtigten Rivalität der beiden Vereine. Die Oberliga West gewann Dortmund sechsmal, und 1956, 1957 und 1963 wurde der BVB sogar Deutscher Meister.

Zechenmannschaften

Die Oberliga West erlangte auch deshalb bei den Fans im Ruhrgebiet so eine große Bedeutung, weil es einige klassische Arbeitervereine schafften, im Konzert der Großen mitzuspielen. Im gesamten Revier gab es zahlreiche so genannte Zechenmannschaften: Stadtteilvereine mit einer engen Bindung an die örtlichen Bergwerke.

Spieler und Mitglieder wohnten im selben Stadtteil und arbeiteten oft gemeinsam auf der Zeche oder im Stahlwerk. Die Identifikation der Arbeiter mit "ihrem" Verein war deshalb besonders groß. Für die vielen Einwanderer, die zum Arbeiten ins Ruhrgebiet gekommen waren, waren die Zechenmannschaften zudem ein wichtiges Mittel, um soziale Kontakte zu knüpfen und sich in der neuen Heimat zurechtzufinden.

Screenshot aus dem Film "Zeche Prosper-Haniel"

Die Zechenmannschaften halfen bei der Integration

Durch die Unterstützung der Zechen, zum Beispiel beim Wiederaufbau der Vereinsanlagen, schlossen die Arbeiterklubs nach dem Zweiten Weltkrieg zu den arrivierten Vereinen auf.

Die Sportfreunde Katernberg aus Essen, deren Spieler zu einem Großteil auf der Zeche Zollverein arbeiteten, spielten in der Oberliga West jahrelang eine ebenso gute Rolle wie die STV Horst aus dem Gelsenkirchener Zechenviertel Horst-Süd oder Hamborn 07, die Spielvereinigung Erkenschwick oder der Herner Arbeiterklub SV Sodingen, der es 1955 sogar in die Endrunde um die Deutsche Meisterschaft schaffte.

Mit der zunehmenden Professionalisierung des Fußballs und der Krise des Steinkohlebergbaus ab Ende der 1950er-Jahre verloren die Zechenmannschaften an Bedeutung und verschwanden in die unteren Ligen. Gemeinsam mit der Schalker Mannschaft der 1930er- und frühen 1940er-Jahre prägen sie aber noch heute das Bild von der guten alten Zeit des Arbeiterfußballs im Ruhrgebiet.

Das Ruhrgebiet erobert Fußball-Europa

"Ruhrpott! Ruhrpott!" Im Spätfrühling 1997 geschah das Unglaubliche: Dortmund- und Schalke-Fans begruben für einige Wochen ihr Kriegsbeil und feierten sich gemeinsam als Teile des Ruhrgebietsfußballs.

Möglich machten diesen gemeinsamen Jubel die sensationellen Erfolge der Ruhrgebietsmannschaften: Schalke gewann gegen Inter Mailand den UEFA-Cup, und eine Woche später besiegte Dortmund Juventus Turin im Finale der Champions League mit 3:1.

Dass sich der VfL Bochum und der MSV Duisburg zur gleichen Zeit erstmals für einen europäischen Wettbewerb qualifizierten, komplettierte den Erfolg des Ruhrgebietsfußballs. Zumindest eine Zeitlang feierten die Fans nicht nur ihre eigene Mannschaft, sondern ließen ihre Fußballregion hochleben – durch "Ruhrpott! Ruhrpott!"-Rufe in allen Stadien des Reviers.

(Erstveröffentlichung 2010. Letzte Aktualisierung 13.06.2018)

Quelle: WDR

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