Ölgemälde "Ophelia" von J.E.Millais

Selbsttötung

Englische Krankheit

Selbsttötungen wurden eine Zeit lang "die englische Krankheit" genannt. Woran lag das? Und gab es in England wirklich mehr Suizide als anderswo?

Von Jürgen Dreyer und Tobias Aufmkolk

Im 18. Jahrhundert berichteten in London die Tageszeitungen in dramatischen Schilderungen über Selbsttötungen und druckten Abschiedsbriefe der unglücklich Verstorbenen. Denn es war in England üblich geworden, dass Selbstmörder für die Polizei einen Brief hinterlegten, worin sie ihre Tatmotive darlegten. Damit erleichterten sie die Aufklärung und erhielten als Dank ein christliches Begräbnis.

Englische Zeitungsredakteure waren der Meinung, dass diese Briefe sich hervorragend zur Veröffentlichung eigneten. Eine Selbsttötung war dadurch mehr als eine Nachricht, er konnte zur dramatischen Geschichte ausgeschmückt werden.

Als Ende des 18. Jahrhunderts die ersten wissenschaftlichen Selbstmord-Statistiken erschienen, stellte sich heraus, dass England im europäischen Durchschnitt lag. In der "Encyclopedia Britannica" von 1797 wurde daher festgestellt, dass Englands schlechter Ruf als Insel der Selbstmörder nicht darauf beruhe, "dass das Verbrechen in England häufiger vorkommt als in anderen Ländern, sondern auf den Brauch der Zeitungen, jeden Selbstmord zu veröffentlichen, dessen sie habhaft werden können".

Übrigens wurde bis ins 19. Jahrhundert auch die Krankheit Rachitis als "Englische Krankheit" ("Morbus Anglorum") bezeichnet – eine durch Vitamin-D-Mangel hervorgerufene Erkrankung des wachsenden Knochens. Zu Beginn des industriellen Zeitalters wurde sie in England bei Kindern vermehrt diagnostiziert und bekam deshalb diesen Namen.

(Erstveröffentlichung 2003. Letzte Aktualisierung 13.01.2020)

Quelle: WDR

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