auf frischen Gräbern stehen zei Holzkreuze, die Erde ist mit Blumen belegt

Sterben

Die Sicht der Kinder auf den Tod

Abschiednehmen und Trauern fällt nie leicht. Insbesondere Kinder brauchen Unterstützung, um die Traurigkeit zu überwinden. Aber wie sagt man einem Kind, dass es selbst bald sterben wird?

Von Andrea Wieland

Dr. Sven Gottschling hat aus seiner Arbeit als Palliativmediziner gelernt, wie wichtig es ist, Kinder nicht nur offen, sondern auch altersgerecht anzusprechen. Denn vom Alter des Kindes hängt ab, wie der Tod wahrgenommen wird.

Kinder unter 3 Jahren: Tod heißt "Nicht-da-sein"

Für Kinder unter drei Jahren ist der Tod nicht begreifbar. Er ist gleichbedeutend mit einer Abwesenheit auf Zeit. Die Endgültigkeit wird kognitiv noch nicht erfasst. Selbstverständlich aber realisieren Kinder die mit dem Tod verbundenen Veränderungen. Sie reagieren darauf mit Verhaltensänderungen im Hinblick auf Schlaf- oder Essgewohnheiten.

Auch Angst, Wut und Frustration kommen vor. Weitere typische Verhaltensmuster sind Warten und Suchen, da Kinder in diesem Alter nicht differenzieren können, ob die Mutter nicht da ist, weil sie noch arbeitet oder weil sie gestorben ist.

Kinder zwischen 3 und 6 Jahren: Tod als vorübergehender Zustand

Zwischen drei und sechs Jahren entwickeln Kinder erste vage Vorstellungen vom Tod. Allerdings ist der Tod für sie immer noch ein vorübergehender Zustand. Er wird assoziiert mit Dunkelheit und Bewegungslosigkeit.

Ein wesentlicher Punkt: Der Tod ist immer der Tod anderer. Der Bezug zur eigenen Person ist noch nicht herstellbar, auch wenn Kinder in diesem Alter oft recht unbefangen und sehr interessiert den Tod erforschen.

Andererseits ist die Verwirrung und Verstörung bei konkret erlebten Verlusten oft sehr groß. Nicht selten kommt es bei diesen Kindern zu einer Regression des Verhaltens: So kann beispielsweise ein vorher trockenes Kindes wieder einnässen.

Ein schlafendes Mädchen aus Stein gemeißelt als Grabstein

Ein schlafendes Mädchen als Grabstein

Kinder zwischen 6 und 9 Jahren: Tod als Bestrafung

Schulkinder beginnen die Endgültigkeit des Todes zu erfassen. Jedoch fehlt weiterhin das Begreifen. Der Tod wird oftmals personifiziert. Und er wird häufig als Bestrafung empfunden.

Auch werden erstmals Bezüge zur eigenen Person hergestellt. Reaktionsmuster bestehend aus Verlust- und Trennungsängsten sowie einer Vermischung aus Realität und Phantasie kennzeichnen das Verhalten dieser Altersstufe. Zudem zeigen die Sechs- bis Neunjährigen ein ausgeprägtes Interesse und eine gewisse Faszination am Thema Tod.

Kinder zwischen 10 und 14 Jahren: Realitisches Todeskonzept

In der Pubertät verstehen Kinder, dass der Tod etwas Abschließendes, etwas Endgültiges ist. Hier tauchen die Sinnfragen auf: "Welchen Sinn hat das eigene Leben?" oder "Gibt es ein Leben nach dem Tod?".

Nicht selten entwickeln Kinder in diesem Alter bei schweren Verlusten auch sogenannte somatoforme Störungen: zum Beispiel Schmerzen, gastro-intestinale Beschwerden oder pseudoneurologische Symptome. Die Kinder reagieren also körperlich auf die psychischen Belastungen.

Der Tod darf kein Tabu sein

Für den Alltag des Palliativmediziners Sven Gottschling bedeutet das, die Eltern stets im Beisein des todkranken Kindes zu informieren. Für Kinder sei es schlimmer, wenn über sie und nicht mit ihnen gesprochen werde. Er rät den Erwachsenen zudem, die Themen Tod und Sterben nicht zu tabuisieren.

Wenn er das erste Mal mit seinen kleinen Patienten über das Sterben spricht, dann fragt er, was sie darüber wissen, um daran anknüpfen zu können. Von den Reaktionen, die er dann erhält, ist er manchmal selbst überrascht: Für Kinder ist der Tod oft weniger bedrohlich als für Erwachsene. So kann es vorkommen, dass sterbende Kinder ihre Eltern trösten.

Ein Kind an der geht an der Hand seines Vaters durch eine hohe Wiese

Für Kinder ist der Tod oft weniger bedrohlich als für Erwachsene

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Quelle: SWR | Stand: 21.06.2019, 10:00 Uhr

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