Portraitfoto von Antje Monshausen.

Nachhaltiges Reisen

Interview: "Seltener fliegen, länger bleiben"

Antje Monshausen ist Referentin für Tourismus und Entwicklung und Leiterin von "Tourism Watch", einer Fachstelle beim Hilfswerk "Brot für die Welt". Sie erklärt, wie Touristen erkennen, ob eine Reise wirklich nachhaltig ist und warum Zertifikate eine wichtige Orientierung bieten, aber nicht alle Probleme lösen.

Von Katrin Ewert, Hernán J. Martin

Planet Wissen: Frau Monshausen, wohin ging Ihre letzte Reise?

Antje Monshausen: Ich war im Sommer 2020 das erste Mal in Waren an der Müritz. Ein schöner Ort, den ich von Berlin aus sehr schnell mit dem Zug erreichen konnte.

Aber auch ich mache mal eine weitere Reise. Eine private Fernreise ist etwas ganz Besonderes und ich versuche sie so lang wie möglich zu gestalten. Ich war vor drei Jahren zum Beispiel für einen Monat mit meiner Familie in Zentralamerika. Jetzt stehen erstmal für einige Jahre Urlaubsziele an, die mit der Bahn erreichbar sind. Meine Devise ist: Wenn schon fliegen, dann auf jeden Fall länger bleiben.

Ist das auch die Auffassung der meisten Deutschen? Reisen wir heute nachhaltiger?

Zum Teil. Wir sehen in Deutschland seit vielen Jahren zwar ein konstantes Interesse an nachhaltigen Reisen. Dass der Tourismus umweltfreundlich und sozial verantwortlich sein soll, befürworten in repräsentativen Umfragen ungefähr die Hälfte der Befragten.

Wir sehen dann aber, dass auf dem Weg von diesem Vorsatz bis zur Umsetzung sehr viele Menschen verloren gehen. Der Anteil der Reisenden, die die Nachhaltigkeit ins Zentrum ihrer Reise stellt, liegt nur im einstelligen Bereich. Zwischen Vorsatz und Realität existiert also eine sehr große Lücke.

Trotzdem gehe ich davon aus, dass das Interesse an einem verantwortungsvollen Tourismus mit einer möglichst positiven Wirkung in Zukunft weiter steigen wird. Auch wenn man noch keine belastbaren Aussagen zum Tourismus nach der nächsten Corona-Welle machen kann, gehe ich davon aus, dass das Interesse an Nachhaltigkeit sogar noch ein bisschen stärker wird – einfach deshalb, weil die Nachfrage nach naturnahem Tourismus steigt. Viele Menschen wollen ihren Urlaub in der Natur verbringen und große Massen meiden. Dieser Wunsch geht in die gleiche Richtung – in Richtung von mehr Nachhaltigkeit beim Reisen.

Wie reagieren die Reiseveranstalter auf diese veränderte Nachfrage? Passen sie die Angebote an?

Es gibt erfreulicherweise in Deutschland mittlerweile um die 100 Reiseveranstalter, die nachweislich umwelt- und sozialverträgliche Reisen anbieten und dies auch unabhängig mit dem "Tourcert"-Siegel überprüfen lassen. Das ist meines Erachtens das glaubwürdigste und unabhängigste Siegel für nachhaltige Reiseveranstalter.

Um dieses Zertifikat zu bekommen, haben sich die Veranstalter unabhängig und ganzheitlich auf ihre Nachhaltigkeitswirkung hin überprüfen lassen. Dafür haben sie ihr gesamtes unternehmerisches Handeln und ihre Managementkonzepte offengelegt.

Ansonsten sehen wir, dass die Tourismusindustrie innerhalb ihrer Produkte probiert, nachhaltiger zu werden. Da sind wir leider immer noch in der "Nachhaltigkeit der ersten Generation". Das heißt, dass die Unternehmen dort auf Nachhaltigkeit setzen, wo es sich auch wirtschaftlich unmittelbar lohnt. Wo ich etwa weniger Wasser verbrauche, muss ich niedrigere Wasserrechnungen bezahlen – wo ich weniger Lebensmittel wegwerfe, muss ich auch weniger kaufen.

Flugzeug im Landeanflug auf den Flughafen Frankfurt

Keine Flugreise unter 800 Kilometern: Solche Kriterien sind noch kein Standard in der Reisebranche

Wassersparen, Plastik vermeiden und Müll reduzieren ist wichtig, aber es sind nur kleine Schritte im Vergleich zu der Umweltwirkung, die bei der Anreise mit einem Flugzeug passiert. Um die zu reduzieren, müsste man auch die Produkte ändern – zum Beispiel im Fernreisesegment die Aufenthaltsdauer deutlich erhöhen. Das machen die großen Veranstalter nicht, weil es für sie rentabler ist, mehrere kurze Reisen zu verkaufen als eine längere.

Die nachhaltigkeitszertifizierten Veranstalter aber machen es vor: Sowohl das Zertifikat "Tourcert" als auch der Kriterienkatalog des "Forum Anders Reisen" (ein Verband von Reiseveranstaltern, Anm. d. Red.)  haben Kriterien entwickelt, damit Anreise und Aufenthaltsdauer in einem akzeptablen Verhältnis stehen.

Reisen ab 3800 Kilometern sollen zum Beispiel beim Forum anders reisen mindestens 14 Tage dauern. Flugreisen unter 800 Kilometern werden gar nicht erst angeboten. Und das sind diese Produktveränderungen, die wir auf jeden Fall brauchen. Das ist aber bisher leider noch nicht Standard in der Branche.

Gibt es auch Mogelpackungen unter den Angeboten? Wenn ja, wie finde ich die als Reisender?

Bei einigen Dingen sollte man vorsichtig sein. Es gibt zum Beispiel Selbstauszeichnungen von Veranstaltern, mit denen sie ihre eigenen Produkte als besonders nachhaltig anpreisen. Das ist aber nicht zu verwechseln mit unabhängig überprüften Zertifikaten.

Die Qualität von Zertifikaten zeigt sich an drei Punkten: Zum einen daran, dass sie unabhängig überprüft werden durch Dritte. Zum anderen, dass die Kriterien Nachhaltigkeit ganzheitlich umfassen. Das heißt, dass sie nicht nur das Ökologische, sondern auch das Ökonomische und das Soziale betrachten. Und der dritte Punkt ist, dass die Herausgeber des Zertifikats ihre Kriterien auch veröffentlichen, sodass man sich als Kunde anschauen kann, was da überprüft worden ist.

Also ich würde immer empfehlen, wenn Sie als Verbraucher ein Zertifikat entdecken, dieses Zertifikat tatsächlich auch einfach mal zu googeln. Zertifikate von guter Qualität haben eine Website, auf der sie ihre Kriterien offenlegen. Dort findet man auch Listen der Veranstalter, Tourenanbieter und Hotels, die momentan zertifiziert sind. Denn die Zertifikate müssen regelmäßig überprüft werden und können dementsprechend auch auslaufen.

Wenn einem stattdessen ein Name entgegenspringt, der nach einer Selbstauszeichnung klingt, sollte man zurückhaltend sein. Denn dann handelt es sich mit großer Wahrscheinlichkeit nicht um eine unabhängig überprüfte Aussage, sondern um eine Marketingmasche. Die Reise ist beispielsweise nicht besonders nachhaltig, sondern vielleicht einfach die nachhaltigste, die das Unternehmen innerhalb seines Gesamtportfolios anbietet.

Gibt es auch bestimmte Reisen, die niemals nachhaltig sein können?

Es gibt Reiseangebote, die selbst mit bestem Management einfach nicht nachhaltig sind: Im ökologischen Bereich hätten wir zum Beispiel die ganzen Wildtierinteraktionen – vom Elefantenreiten bis zu Delfinarien – oder sportliche Aktivitäten wie Heliskiing (eine Art des Skifahrens, bei dem sich Skifahrer mit dem Helikopter in unberührte Gebiete bringen lassen, Anm. d. Red.).

Einige Reiseangebote richten sogar direkt menschlichen Schaden an. Dazu gehört etwa der sogenannte Waisenhaustourismus. Die Kinder in diesen Einrichtungen sind oftmals keine Waisen, sondern haben lebende Elternteile. Diese geben ihre Kinder häufig in der Hoffnung auf eine bessere Bildung, eine gute Zukunftsperspektive oder aus purer Not heraus in diese sogenannten Waisenhäuser, die nur für den touristischen Bedarf existieren.

Die Kinder werden ihrer Rechte beraubt bei ihren Familien aufzuwachsen, damit skrupellose Unternehmer mit ihnen Geld von Besuchergruppen kassieren. Solche Einrichtungen sollte man definitiv meiden. Für solche Angebote gibt es aber auch keine Nachhaltigkeitszertifikate.

Eine Pinn-Nadel auf einer Europakarte

Reiseplanung: Auf Zertifikate achten, aber auch die eigenen Wünsche kritisch hinterfragen

Zertifizierungen sind ein wichtiges Entscheidungsmerkmal für Reisende, denen Nachhaltigkeit wichtig ist. Aber man sollte im Blick behalten, wo die Grenzen sind: Ein Hubschrauberflug in eine zertifizierte Eco-Lodge geht ebenso wenig als nachhaltige Reise durch, wie ein Shopping-Wochenende in New York, selbst wenn das Hotel ein Zertifikat trägt.

Man muss unterscheiden zwischen einem nachhaltigen Hotel – also einer Produktzertifizierung – und einer Unternehmenszertifizierung, bei der der Reiseveranstalter nicht nur auf das Hotel, sondern auf alle Aspekte achtet. Ein wirklich nachhaltiger, zertifizierter Reiseveranstalter würde zum Beispiel einen Aufenthalt in einer großen Hotelanlage mit riesiger Poollandschaft und üppigem Garten nicht anbieten, wenn in der Umgebung Wassermangel herrscht. 

Für Reisende, denen Nachhaltigkeit wichtig ist, bedeutet das, auch die gesamte Reise nochmal genauer anzuschauen. Das Motto "Seltener fliegen, länger bleiben" ist auf jeden Fall etwas, das eine positive Auswirkung hat. Und dieses "länger bleiben" erhöht ja auch die eigene Reisefreude. So kommt man intensiver mit den Menschen vor Ort in Kontakt und kann in die fremde Kultur eintauchen – und die Reise bekommt Facetten, die ein Kurzurlaub nicht hat.

Quelle: WDR | Stand: 18.03.2021, 10:15 Uhr

Darstellung: