Fake News

"Shitstorm" – Sturm der Entrüstung im Netz

Einer empört sich im Netz, andere Kommentare und Beiträge schließen sich an. Innerhalb weniger Stunden breitet sich eine Welle der Entrüstung im Netz aus. Dann ist er da, der so genannte "Shitstorm".

Von Andrea Wieland

Was ist ein Shitstorm überhaupt?

Natürlich kann der Ursprung eines Shitstorms in berechtigter Kritik liegen. Meist entwickeln sich die Kommentare jedoch von sachlichen Äußerungen zu aggressiven Beschimpfungen.

Nur im Deutschen ist mit dem Begriff "Shitstorm", dem wörtlich übersetzten "Sturm aus Scheiße", eine Empörungswelle im Internet gemeint. Im Englischen beschreibt das Wort allgemein eine Situation, die außer Kontrolle geraten ist.

Warum es bei uns anstelle von Netzhetze verwendet wird, geht wahrscheinlich auf einen Vortrag von Sascha Lobo zurück.  Auf der "re:publica 2010" sprach der Journalist über "How to survive a shitstorm", also "Wie man einen Shitstorm überlebt".

Drei Jahre später wurde der Begriff in den Duden aufgenommen – mit dieser Definition: "Sturm der Entrüstung in einem Kommunikationsmedium des Internets, der zum Teil mit beleidigenden Äußerungen einhergeht".

Geballte Empörung

Meist sind es Prominente, Politiker, Institutionen und Unternehmen, auf die es negative Emotionen hagelt. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie im Internet aktiv sind oder nicht. Die wütenden Beiträge finden auf unzähligen Webseiten, Foren, Blogs und Plattformen statt.

Selten erwischt es Privatpersonen ohne öffentliche Bekanntheit. Aber auch diese Beispiele gibt es. Die US-Amerikanerin Justine Sacco twitterte aus dem Flugzeug: "Going to Africa. Hope I don’t get AIDS. Just kidding. I’m white." Was übersetzt in etwa heißt: "Ich fliege nach Afrika. Hoffentlich bekomme ich kein AIDS. Nur Spaß – ich bin ja weiß!"

Im Nachhinein sagte Sacco, es habe sich um Satire gehandelt. Kurz nach der Landung musste sie feststellen, dass ihr Ruf ruiniert war und ihr Job weg.

Ein Tweet kann weitreichende Folgen haben | Bildquelle: Imago/Rüdiger Wölk

Lokführerstreik und Wurstkrieg

Wenn Unternehmen in einen Shitstorm geraten, finden sich schnell viele Gleichgesinnte, die in dieselbe Kerbe schlagen. Die Beispiele sind zahlreich: Die Deutsche Bahn wurde im Zuge der Lokführerstreiks kollektiv beschimpft; die Stiftung Warentest brachte beim Thema Kinderimpfung Impfgegner gegen sich auf; die Modekonzerne Mango, Zara und H&M gerieten ins Kreuzfeuer der Kritik, weil ihre Produkte Assoziationen an militärische Kampfbekleidung weckten.

Die Bank ING-DiBa sah sich 2012 der massiven Kritik von Vegetariern und Tierschützern ausgesetzt. Hintergrund war ein TV-Spot, in dem ein Metzger den Basketballer Dirk Nowitzki fragt: "Was haben wir früher immer gesagt?" Nowitzkis Antwort: "Damit du groß und stark wirst." In den Medien wurde der Shitstorm als "Wurstkrieg" bezeichnet.

Kaum Umsatzeinbußen

Inwieweit sich ein Shitstorm auf den Umsatz auswirkt, hat die "Bonner Akademie für Forschung und Lehre praktischer Politik" in einer Studie untersucht. Ihr Ergebnis: Auswirkungen auf das Image? Ja. Auf den Umsatz? Kaum oder gar nicht.

Den Befragten zufolge gab es sogar positive Effekte zu verzeichnen. Denn nach einem Shitstorm stellen sich Unternehmen intern oft besser auf. Und das verbessert nicht nur das Krisenmanagement, sondern auch die Kundenkommunikation, so die Studie "Erregungskampagnen in Politik und Wirtschaft – Digitale Öffentlichkeit zwischen Candy- und Shitstorms".

Mit "Candystorm" ist übrigens das Gegenteil eines Shitstorms gemeint: eine Welle von Lob und Zuspruch in sozialen Medien. Unternehmen tun also gut daran, Shitstorms zu verstehen, möglichst zu vermeiden und im Bedarfsfall klug zu reagieren.

Strategie im Umgang mit einem Shitstorm

Präsenz zeigen und aktiv gegen falsche Behauptungen vorgehen oder warten, bis sich der Sturm wieder gelegt hat? Das Netz ist voll von Grundregeln für ein starkes Shitstorm-Immunsystem. Weit verbreitet ist dieser Tipp: "Don’t feed the trolls!" Übersetzt bedeutet der Ausdruck so viel wie "Gib den Trollen kein Futter!" und gilt als Aufforderung, nicht auf die gehässigen, provozierenden Aussagen einzugehen.

Denn tatsächlich veröffentlichen einige Netzteilnehmer – eben diese so genannten Trolle – ihre Kommentare nicht deshalb, weil sie ihre Meinung kundtun wollen. Vielmehr wollen sie ausschließlich andere Nutzer emotional provozieren.

Werden Trollbeiträge ignoriert, fehlt die erwünschte Aufmerksamkeit. Im Idealfall verschwinden die Unruhestifter dann wieder. In anderen Fällen raten Rechtsanwälte jedoch zur schnellen Reaktion, vor allem wenn Beiträge gegen Gesetze verstoßen – beispielsweise bei rassistischer Hetze.

"Shit-Tsunami" überlebt

Sobald ein Shitstorm die Wendung nimmt, sich in rein beleidigende Schikane zu verwandeln, ist eine sachliche Auseinandersetzung nicht mehr möglich. Der Journalist Richard Gutjahr stand nach seinen Berichten über zwei Terroranschläge plötzlich im Zentrum eines gewaltigen Shitstorms, der sich gegen ihn und seine Familie richtete.

Er kämpfte jahrelang mit seinem Anwalt Markus Kompa dagegen an. Auf der re:publica 2018 hielt er einen Vortrag über seine Erfahrungen mit dem "Shit-Tsunami".