Musik
Rolling Stones
Die Karriere der Rolling Stones umfasst mehr als sechs Jahrzehnte mit schwindelnden Höhen und tragischen Tiefen. In den 1960ern lieferten sie den Soundtrack für rebellische Jugendliche und wurden später zur größten Rock'n'Roll-Band des Planeten.
Von Ingo Neumayer, Anette Kiefer
Zwei alte Freunde und der Blues
Die Geschichte der Rolling Stones beginnt Ende 1961 auf einem Bahnhof in Dartford, etwa 30 Kilometer südöstlich von London. Dort trifft der 18-jährige Keith Richards einen Schulfreund aus der Grundschule namens Mike Jagger.
Richards sieht die Chuck-Berry-Platte, die Jagger unter dem Arm trägt, und die beiden stellen fest, dass sie dieselben musikalischen Vorlieben haben: Chicago Blues von Muddy Waters, Howlin' Wolf oder Jimmy Reed.
Jagger erzählt von seiner Band "Litte Boy Blue And The Blue Boys". Er lädt Richards, der Gitarre spielt, in den Proberaum ein. Wenig später taucht er dort auf, spielt ein bisschen auf seiner Hofner-Gitarre – und überzeugt auf Anhieb.
Anfänge der Band
Bei einem Konzert in London treffen Jagger und Richards auf den Gitarristen Brian Jones, dessen Band sich gerade aufgelöst hat. Auch mit ihm stimmt die Chemie, und zusammen mit Blue-Boys-Bassist Dick Taylor gründen sie eine neue Band. Jagger nennt sich nun Mick statt Mike – angeblich, weil das weniger bürgerlich klingt.
Als Schlagzeuger stößt Tony Chapman dazu, an den Keyboards sitzt Ian Stewart. In dieser Besetzung spielen sie am 12. Juli 1962 ihr erstes Konzert im Londoner Marquee Club.
Ihre Musik klingt rau und dreckig und ist mit ihren Blues-Einflüssen und dem "schwarzen" Gesang von Jagger meilenweit entfernt vom glattgebügelten Fließband-Pop à la Cliff Richards, der die Charts dominiert.
Brian Jones ruft vor dem Konzert bei einer Zeitung an, um eine Anzeige zu schalten. Auf die Frage, wie die Band denn heiße, muss er zunächst passen – einen Namen gibt es noch nicht. Da fällt sein Blick auf eine Muddy-Waters-Platte, einer der Songs dort heißt "Rollin' Stone". Kurzerhand entscheidet Jones: "Wir sind die Rollin' Stones."
Die erste Single
Im Windschatten der Beatles, die ab 1962 erst die britische und wenig später auch die restliche Popwelt revolutionieren, nimmt auch die Karriere der Stones Fahrt auf. Taylor wird durch Bill Wyman ersetzt, als neuer Schlagzeuger wird der Jazz-Drummer Charlie Watts engagiert.
Und mit Andrew Loog Oldham findet sich ein Manager, der bereits für die Beatles arbeitete und über gute Beziehungen verfügt. Tatsächlich verschafft er den Stones einen Plattenvertrag bei der Firma Decca, die kurz zuvor noch die Beatles abgelehnt hatte.
Am 7. Juni 1963 erscheint die erste Single der Rolling Stones: "Come On", eine Coverversion von Chuck Berry. Vorher legt Manager Oldham dem Keyboarder Stewart nahe, die Band zu verlassen. Sein Äußeres passe nicht zum Image, das ihm für die Stones vorschwebe, so Oldham. Stewart bleibt der Band aber als Tourmanager, Live- und Studiomusiker bis zu seinem Tod 1985 erhalten.
Zu Beginn sahen sie noch recht brav aus
Der Soundtrack zur Rebellion
Oldham gelingt es, die Band als Anti-Beatles zu inszenieren: Die Stones blicken auf Fotos grimmig statt freundlich, tragen längere Haare und geben sich eine Aura der Unnahbarkeit und Gefahr.
Dazu kommt ihr Sound und ihre Bühnenshow: laut, ungehobelt, vulgär und aufgeladen mit jeder Menge sexueller Anspielungen. Die Rolling Stones sind für damalige Teenager das beste Mittel, um ihre Eltern zu schockieren.
1964 überredet Oldham die Band, neben den Coverversionen ihrer Blues-Vorbilder auch eigene Songs aufzunehmen. Ein Schachzug, der sich auszahlt. Im Frühling 1965 stürmt "The Last Time" an die Spitze der Charts, kurz danach erscheint "Satisfaction" und wird zum weltweiten Nummer-Eins-Hit.
Die Stones geraten in die damals typische Tretmühle: Tournee folgt auf Tournee, und die raren Pausen dazwischen werden für Plattenaufnahmen und Pressetermine genutzt.
Bei den Konzerten kommt es regelmäßig zu Ausschreitungen: Hysterische Teenager kreischen um die Wette und fallen in Ohnmacht, Besucher zetteln Schlägereien an, während die Band durch provokante Ansagen und anzügliche Gesten noch zusätzliches Öl ins Feuer gießt. Nach den Konzerten, die oft gewaltsam von Polizisten abgebrochen werden, gleichen viele Säle wahren Schlachtfeldern.
So sehen Rebellen in den Sechzigern aus
Tod im Swimmingpool
Das Leben auf der Überholspur fordert seinen Tribut. Parallel zum weltweiten Erfolg steigt auch der Drogenkonsum der Band. 1967 werden die Ermittler bei mehreren Hausdurchsuchungen fündig: Jagger, Richards und Brian Jones kommen vor Gericht und werden zu Bewährungsstrafen verurteilt.
Doch die Bandmitglieder nehmen den Warnschuss nicht ernst. Vor allem Jones entwickelt ein ausgewachsenes Drogenproblem. Er verliert zunehmend die Lust am Dauerstress der Tourneen, auch bei den Studioaufnahmen bringt er sich kaum noch ein.
Als er nach einem weiteren Drogendelikt keine Arbeitserlaubnis für die USA erhält und die geplante Tournee somit zu platzen droht, ziehen Jagger, Richards und Charlie Watts am 8. Juni 1969 den Schlussstrich.
Sie fahren zu Jones und teilen ihm mit, dass sie planen, ohne ihn weiterzumachen. Dreieinhalb Wochen später findet man Jones ertrunken in seinem Swimming Pool. Die Umstände seines Todes werden nie geklärt.
Brian Jones' tragisches Ende war ein Schock
Altamont und das Ende der "Love and Peace"-Ära
Die Stones stehen schon zwei Tage nach Jones' Tod bei einem lange geplanten Konzert im Londoner Hyde Park vor mehreren Hunderttausend Menschen auf der Bühne und stellen ihren neuen Gitarristen Mick Taylor vor.
Das Konzert gerät zu einem Tribut für Brian Jones, die Stones rezitieren Gedichte, spielen seine Lieblingslieder und lassen Hunderte weißer Schmetterlinge für ihn aufsteigen.
Ende des Jahres geht die Band zum ersten Mal seit drei Jahren wieder auf US-Tournee, doch diese endet mit einer weiteren Katastrophe. Bei einem Festival im kalifornischen Altamont kommt es zu gewalttätigen Ausschreitungen.
Während des Auftritts der Stones ersticht ein Mitglied des berüchtigten Rockerclubs Hells Angels, die die Stones als Security angeheuert haben, direkt vor der Bühne einen 18-Jährigen. Zwei weitere Menschen sterben bei einem Autounfall, ein junger Mann ertrinkt in einem Kanal.
Das Altamont-Festival, das als "Woodstock des Westens" geplant war, gerät zum Abgesang auf die "Love and Peace"-Ära und gilt fortan als symbolisches Ende der 1960er-Jahre.
Das Altamont-Desaster markierte das Ende einer Ära
Die Band lebt sich auseinander
Die Siebziger beginnen für die Stones, wie die Sechziger aufgehört haben: mit einer Menge Ärger. Streitigkeiten mit der Plattenfirma und ihrem Management legen die Band für längere Zeit lahm. Dazu kommen horrende Steuernachforderungen, die dazu führen, dass die Band trotz weltweiten Erfolgs kurz vor dem Bankrott steht.
Die Stones flüchten vor dem britischen Fiskus nach Frankreich, wo sie 1972 mit "Exile On Main St." den künstlerischen Zenit ihres Schaffens erreichen und ein Album aufnehmen, das viele für die beste Stones-Platte überhaupt halten.
Doch die Band lebt sich auseinander. Jagger genießt das Jet-Set-Leben, verkehrt in Künstlerkreisen und widmet sich Filmprojekten, während Richards hauptsächlich an Parties und Drogen interessiert ist.
1974 steigt Mick Taylor aus der Band aus, weil er seinen kreativen Beitrag nicht gewürdigt sieht. Er wird durch den Faces-Gitarristen Ronnie Wood ersetzt, der allerdings lange Zeit nicht als vollwertiges Bandmitglied gilt.
Die Qualität und Relevanz der Stones-Aufnahmen nimmt seit Mitte der Siebziger ab. Die Band, die einst für Rebellion und eine Anti-Haltung stand, gehört nun selbst zum musikalischen Establishment. Versuche der Band, sich an angesagten Stilrichtungen wie Funk, Reggae oder Punkrock zu orientieren, werden oft als Anbiederung gewertet.
Die Egos werden größer
Kurz vor der Trennung
Als Liveband bewegen die Rolling Stones aber weiterhin die Massen, ihre Tourneen werden zunehmend größer, spektakulärer – und erfolgreicher. Längst reichen die Konzerthallen nicht mehr aus, die Band spielt ab Ende der Siebziger fast nur noch in Stadien vor mehreren Zehntausend Zuschauern.
Ab 1982 herrscht lange Zeit dicke Luft in der Band. Richards ist seit Ende der 1970er nicht mehr heroinabhängig und voller Tatendrang. Jagger weigert sich jedoch, mit den Stones auf Tour zu gehen. Stattdessen versucht er sich an einer Solokarriere und tourt mit seiner eigenen Band.
Dabei spielt er aber jede Menge Stones-Lieder – was Keith Richards unbändig ärgert. Die Stones stehen kurz vor der Auflösung und raufen sich erst 1989 wieder zusammen, als die Band in die Rock'n'Roll-Hall Of Fame aufgenommen wird.
Jaggers Solokarriere stieß Richards übel auf
Guinness-Buch-Eintrag im neuen Jahrtausend
1993 steigt Bill Wyman aus der Band aus und wird durch Darryl Jones ersetzt. Gleichzeitig machen die Stones Ronnie Wood vom angestellten Künstler zum Vollmitglied.
Die Band hat inzwischen einen Modus Operandi gefunden, der die Egos aller Beteiligten zufriedenstellt. Jedes Mitglied hat die Möglichkeit, sich solo auszutoben und anderen Aktivitäten nachzugehen, solange sichergestellt ist, dass die Stones alle fünf Jahre auf Welttournee gehen, die nach Möglichkeit von einem neuen Album begleitet werden sollte.
Ein Arbeitskonzept, das auch im neuen Jahrtausend funktioniert: Die Tour zum Album "A Bigger Bang" (2005) wird von 4,6 Millionen Menschen besucht und spielt 558 Millionen Dollar ein, was der Band einen Eintrag ins Guinness-Buch beschert. Die "No Filter"-Tour ab 2017 erzielt Umsätze von mehr als 400 Millionen Dollar.
Im August 2021 stirbt Schlagzeuger Charlie Watts in London. Im folgenden Jahr sind die Stones wieder auf Tour in Europa und feiern ihr 60-jähriges Jubiläum auf der Bühne.
(Erstveröffentlichung 2012. Letzte Aktualisierung 31.01.2023)
Quelle: WDR