Prozession vor der Basilique du Rosaire in Lourdes

Pilgern

Lourdes

Jedes Jahr machen sich viele Menschen auf den Weg zur spirituellen Selbsterfahrung. Die einen pilgern Hunderte von Kilometern auf dem Jakobsweg, andere wallfahren bequem im Bus nach Lourdes.

Von Cordula Weinzierl

Die Visionen der jungen Bernadette

Während das Wesen des Pilgerns darin besteht, unterwegs zu sein, steht bei der Wallfahrt der Zielort im Mittelpunkt der Reise. Doch was zieht die Menschen seit mehr als 150 Jahren nach Lourdes am Fuße der Pyrenäen?

1858 erschien der 14-jährigen Müllerstochter Bernadette Soubirous in Lourdes in einer Grotte am Ufer der Gave mehrmals die Jungfrau Maria – gekleidet in ein weißes Kleid, um die Taille einen hellblauen Schal gewickelt und auf den Füßen Rosen.

Die Jungfrau Maria forderte das Mädchen auf, an diesem Ort eine Kirche zu bauen und aus der Quelle zu trinken, die in der Grotte entsprungen war. Maria offenbarte der jungen Bernadette die Heilkraft des Wassers.

Noch im selben Jahr soll es zur ersten Wunderheilung gekommen sein. Der erblindete Bergmann Louis Bouriette erlangte im Februar 1858 seine Sehkraft zurück, nachdem er auf sein erblindetes Auge eine Kompresse aus Schlamm und Lourdes-Wasser gelegt hatte.

1862 erkannte die katholische Kirche erstmals einer der Wunderheilungen von Lourdes an. Wenige Jahre später traf in der Kleinstadt der erste Zug ein, und kurz darauf hatten schon 40.000 Menschen den kleinen Ort besucht. Wunderheilungen in den folgenden Jahren sorgten dafür, dass der Strom der Wallfahrer bis heute nicht versiegt ist.

Heiligenbildchen der Bernadette Soubirous.

Die Visionen der Bernadette brachten den Stein ins Rollen

Ein Ort der Kraft und Hoffnung

Unter den Millionen, die heute jährlich zwischen April und Oktober den Marienwallfahrtsort besuchen, sind zehntausende Kranke. Für viele von ihnen ist die Kleinstadt ein Ort, an dem sie Trost suchen. Manche hoffen auf das Wunder ihrer Heilung.

Zuhause leben die meisten von ihnen – bedingt durch ihre Krankheiten – häufig isoliert. Für sie sind die Tage in Lourdes, in denen sie im Mittelpunkt stehen, umsorgt werden und andere Kranke treffen, das eigentliche Wunder. "Lourdes gibt allen – auch den Gesunden – Kraft, Hoffnung und Trost", sagen viele und: "Lourdes muss man erleben, das kann man nicht erzählen."

Wunderheilungen

Mindestens 6.500 Fälle von "Heilungswundern" sollen sich in der Geschichte des Marienwallfahrtsortes ereignet haben. Nur 70 davon hat die Kirche bisher anerkannt (Stand: 2018). Darunter waren 56 Franzosen und drei Deutsche. Fast zwei Drittel der Heilungen fand vor dem Ersten Weltkrieg statt, 17 nach dem Zweiten Weltkrieg.

Das letzte angebliche Heilungswunder des 20. Jahrhunderts vollzog sich an Jean-Pierre Bely, der an Multipler Sklerose erkrankt war. 1987 reiste er im Rollstuhl nach Lourdes. Nach dem Besuch der Messe hatte er "ein Gefühl der Befreiung", wie er selbst sagte. Auf der Rückreise konnte er bereits selbständig in den Zug einsteigen.

Im Jahr 1952 ereignete sich an einem deutschen Benediktinermönch eine Wunderheilung. Bruder Leo war ebenfalls an Multipler Sklerose erkrankt. Als sich seine Krankheit im Endstadium befand, ermöglichte ihm seine Ordensgemeinschaft eine Wallfahrt nach Lourdes. Nach dem Bad in einem der Becken blieb aber die erbetene Heilung aus.

Erst am Nachmittag bei der Sakramentsprozession erlebte der Mönch seine Wunderheilung: "Da durchfuhr es mich plötzlich wie ein Blitzstrahl vom Kopf bis zum Fuß, wie ein elektrischer Schlag – das war das Ende! Nein: ich kniete vor dem Wagen, aufrecht mit gefalteten Händen. Wie es geschah, weiß ich nicht. Augenblicklich wusste ich: Ich bin geheilt...."

Betende Pilger vor der Quelle in Lourdes.

Für viele Pilger ein Ort der Hoffnung und Kraft

Kriterien für ein Wunder

Immer wieder ereignen sich auch heute noch unerklärliche spontane Heilungen in Lourdes. Bevor jedoch eine Heilung als "Heilungswunder" anerkannt wird, unterzieht die katholische Kirche den Vorgang einer kritischen und langwierigen Prüfung. Für die Anerkennung eines Heilungswunders sind sieben Kriterien erforderlich. Diese gehen im Wesentlichen auf Papst Benedikt XIV. (1675-1758) zurück:

  • Es muss sich um eine schwere Krankheit handeln, die schwierig oder unmöglich zu heilen ist.
  • Die geheilte Krankheit darf nicht schon im Abklingen sein, so dass sie kurz nach der Heilung sowieso verschwunden wäre.
  • Es darf keine Arznei verabreicht worden sein. Wenn Medikamente angewandt wurden, muss deren Wirkungslosigkeit bestätigt worden sein.
  • Die Heilung muss sich plötzlich und augenblicklich vollziehen.
  • Die Heilung muss vollkommen sein.
  • Es darf vorher unter Einfluss eines bestimmten Mittels oder zu gewohnter Stunde keine unvermutete Krise eingetreten sein; in diesem Falle könnte man nicht sagen, dass die Heilung wunderbar, sondern nur, dass sie ganz oder teilweise natürlich erklärbar ist.
  • Nach der Heilung darf kein Rückfall der geheilten Krankheit eingetreten sein.

Ereignet sich ein mögliches "Heilungswunder" in Lourdes, muss der Geheilte einen langen Instanzenweg durchlaufen, bevor die Heilung als Wunder anerkannt wird. Der erste Gang ist immer in das Ärztebüro in Lourdes. Die katholische Kirche verpflichtet übrigens niemanden, trotz ihrer Wunderbestätigungen, an die Heilungen von Lourdes zu glauben.

Die schnöde Wissenschaft

Aus der Wunderquelle in Lourdes fließen täglich rund 122.000 Liter Quellwasser, das in Brunnen und in Bädern für die Kranken aufgefangen wird. Nach den Erkenntnissen der Wissenschaft ist das, was da sprudelt, allerdings normales Trinkwasser ohne nennenswerte Mineralien, ohne wirksame Spurenelemente. Therapeutisch wirksame Inhaltsstoffe konnten bisher nicht gefunden werden.

Lourdes-Wasser unterscheidet sich also in seiner Zusammensetzung nicht vom Trinkwasser der meisten Gebirgsquellen. Dennoch kommt es immer wieder zu "Wunderheilungen" unter den angereisten Kranken, nachdem sie in das eiskalte Lourdes-Wasser in einem der Bäder getaucht wurden.

Die Menschen in den langen Schlangen vor den Brunnen, an denen der Wallfahrer Lourdes-Wasser in Kanistern abfüllen kann, glauben an die Heilkraft. Und der Glaube kann ja dem Sprichwort nach Berge versetzen.

Hand füllt Wasser in Flasche ab.

Gläubige versprechen sich eine heilende Wirkung

Quelle: SWR | Stand: 17.12.2019, 11:15 Uhr

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