Felsige Küstenlandschaft in der Bretagne.

Bretagne

Magische Bretagne – Märchen und Legenden

Kaum eine andere europäische Region ist so von Mythen, Legenden und Geschichten geprägt wie die Bretagne. Hinter jedem Stein, jeder Hecke, jeder Bucht steckt eine Geschichte, die seit Jahrhunderten weitererzählt wird.

Von Tobias Aufmkolk

Fast alle Geschichten sind keltischen Ursprungs, mitgebracht von den Inselkelten, die ab dem 5. Jahrhundert von Großbritannien in die Bretagne übersiedelten.

Als es noch kein Fernsehen oder Radio gab, wurden die Märchen um Könige, Zauberer und Feen von den Großmüttern am Herdfeuer an ihre Enkel weitergegeben. Diese Tradition des Märchenerzählens hielt sich in der Bretagne bis weit ins 20. Jahrhundert.

Versunkene Städte

Legenden um versunkene Städte gibt es zu Dutzenden in der Bretagne, doch keine ist so populär wie die um die sagenhafte Stadt Ys. An Prunk und Reichtum soll sie alles bisher Dagewesene in den Schatten gestellt haben. Die Bewohner von Ys lebten in Saus und Braus, Pferdeställe waren mit Marmor ausgekleidet, die Stadt blinkte und blitzte nur so vor Gold, Silber und Edelsteinen.

Doch mit der Zeit verfielen die Einwohner in Hochmut und Dekadenz. Sie wurden unvorsichtig – allen voran Dahut, die Tochter des Königs Gradlon. Von ihrem Liebhaber verführt, stahl sie ihrem Vater den goldenen Schlüssel für die Pforten der Stadt. Doch der Liebhaber war niemand Geringeres als der Satan selbst. Er öffnete die Schleusentore der tief gelegenen Stadt und besiegelte ihr Schicksal. Mit Mann und Maus versank Ys in den Fluten des Meeres.

Einzig König Gradlon konnte sich mit Unterstützung des Heiligen Gwénolé auf einem Pferd aus den Fluten retten. Opfern musste er dafür seine eigene Tochter Dahut. Diese hatte sich, als Gradlon an ihrem Palast vorbeiritt, auf den Rücken des Pferdes geschwungen. Doch erst als Gradlon die Sünde in Form seiner Tochter vom Pferd stieß, konnte er den Fluten entkommen.

Die Stadt Ys wartet seitdem auf dem Meeresboden auf ihre Erlösung. Dies kann aber nur geschehen, wenn am Karfreitag in ihrer Hauptkirche eine Messe gelesen wird. Doch dazu müsste die Stadt erst einmal gefunden werden.

Gemälde: König Gradlon reitet durch Fluten und stößt seine Tochter Dahut vom Pferd. Daneben ein Mönch auf einem weiteren Pferd.

König Gradlon überlässt Dahut den Fluten

Auf der Suche nach Ys

Generationen von Historikern, Schatzsuchern und Esoterikern haben sich schon auf die Suche nach Ys gemacht. Gefunden hat sie bisher niemand. Doch es gibt einige Anhaltspunkte für eine versunkene Stadt vor der bretonischen Küste.

Der Überlieferung nach soll Ys in der Bucht von Douarnenez im Westen der Bretagne gelegen haben. Hier hat eine Springflut im Jahr 1923 auf dem Grund der Bucht angeblich für eine kurze Zeit die Überreste einiger Bauten freigelegt.

Verbrieft ist diese Aussage allerdings nicht, geschweige denn ausreichend dokumentiert. Doch ein bretonischer Forscher hat die Straßen aus der gallisch-römischen Antike genauer untersucht. Eine der Straßen läuft bei Douarnenez geradewegs ins Meer. Wissenschaftler bestätigen, dass der Meeresspiegel im Laufe der Zeit erheblich gestiegen ist. So könnte zu römischer Zeit oder noch früher wirklich eine Stadt in der Bucht existiert haben.

1965 wurden in 15 Metern Tiefe tatsächlich römische Ziegelscherben gefunden. Weitere Funde sind seitdem jedoch ausgeblieben. So dürfen auch weiterhin Archäologen und Hobbyforscher von der Entdeckung der legendären Stadt Ys träumen.

Felsige Küstenlandschaft der Bretagne. Auf einem Felsvorsprung steht ein einsames Haus.

In dieser Bucht laufen alle Fäden zusammen

Im Zauberwald von Brocéliande

Undurchdringlich, wild und ursprünglich wirkt er, der alte Zauberwald von Brocéliande. Einst waren große Teile der Bretagne von dichten Wäldern bedeckt. Übrig geblieben sind nur etwa 7000 Hektar westlich der bretonischen Hauptstadt Rennes.

Doch der offiziell Forst von Paimpont genannte Wald hat bis heute nichts von seiner Ursprünglichkeit verloren. Kein Wunder also, dass sich in dieser Umgebung einige Schauplätze der bekanntesten bretonischen Sage finden: der Sage um den Zauberer Merlin.

Merlin ist vielen bekannt als Lehrer des sagenhaften König Artus. Hervorgegangen aus einer Beziehung des Teufels mit einer frommen Jungfrau, ist er trotz der Herkunft seines Vaters ein durchweg positiver Charakter. Als Ratgeber des Königs ist er von unschätzbarem Wert. Der unsterbliche, nie alternde Merlin hilft Artus auf den Thron und sichert ihm durch seine Zauberkraft in vielen Situationen die Herrschaft.

Doch all die Zauberkraft hilft ihm nichts mehr, als er sich unsterblich in die Fee Viviane verliebt. Nachdem sie sein Herz erobert hat, ist er der schönen Fee hoffnungslos verfallen. Merlin verrät Viviane fast alle seiner Zaubertricks, doch bei seinem größten Zauber zögert er. Doch schließlich gibt er dem Drängen seiner Geliebten nach und besiegelt damit sein Schicksal.

Viviane nutzt die ihr anvertraute Kraft, um Merlin für immer mit einem Bann zu belegen. Unter Steinplatten begräbt sie den Körper des Magiers. Sein Körper ist vergänglich, seine Seele und sein Geist sind jedoch unsterblich. In einem neunfach gestaffelten magischen Kreis wartet Merlin seitdem auf das Ende der Zeit.

Kupferstich von Merlin und Viviane, die unter einem großen Baum sitzen.

Der Zauberer ist der schönen Fee verfallen

Quellen, Gräber und verwunschene Seen

Die Bretonen verbinden ihre Sagen häufig mit Orten, die sie als besonders mystisch empfinden. Der düstere Wald von Brocéliande birgt eine Vielzahl solcher Orte, darunter auch einige aus der Merlin-Saga. An der Quelle von Barenton hat der Zauberer beispielsweise seine geliebte Fee Viviane zum ersten Mal getroffen.

Die Quelle liegt tief im Wald verborgen und schon den Kelten war ihr aus dem Boden sprudelndes, glasklares Wasser heilig. Heute ist sie von einer robusten Steinfassung umgeben, was ihre ursprüngliche Anziehungskraft ein wenig schmälert.

Auch Merlins Grab ist auf den ersten Blick wenig spektakulär. Es besteht aus den Überresten eines kleinen, megalithischen Hügelgrabs, daneben eine Stechpalme und eine eingefasste Quelle, die als Jungbrunnen dienen soll.

Ein kleines, vermoostes Hügelgrab, das mit Blumen geschmückt ist.

Merlins Grab ist wenig spektakulär

An anderen Orten der Bretagne kann man weitaus imposantere Hügelgräber bewundern. Doch allein die Tatsache, dass hier der Körper des legendären Zauberers begraben sein soll und sein Geist über allem wacht, lässt Touristen in Scharen zu dieser Lichtung im Wald pilgern. So ist das Grab auch meist mit Blumen geschmückt und mit handgeschriebenen Wunschzetteln gespickt, die Merlin aus dem Grab heraus erfüllen soll.

In einem kleinen See vor dem Schloss Comper findet sich ein weiterer Ort der Merlin-Saga. Am Grund des Sees errichtete Merlin seiner Geliebten einen Kristallpalast, in dem sie noch immer hausen soll. Acht Jahre lang erzog die Fee in diesem Palast auch einen Ritter, der später als Sir Lancelot in König Artus' Tafelrunde von sich reden machen sollte.

Der See und das Schloss liegen in einer zauberhaften Umgebung. Auch der heutige Schlossherr ist sich dessen bewusst und lässt sich für einen Blick auf Vivianes Wohnstätte entsprechend entlohnen.

Blick über einen kleinen See auf ein Schloss.

Am Grund des Sees liegt der Palast von Viviane

Eine verhängnisvolle Liebe

Zurück in die Bucht von Douarnenez. Sie ist neben der Legende um Ys auch Schauplatz einer bretonischen Liebesgeschichte, die Einzug in Literatur, Film und Oper gehalten hat: das Drama um Tristan und Isolde. Auch Richard Wagner verfasste ein berühmtes Musikdrama zu diesem Stoff.

Der junge Ritter Tristan steht in Diensten seines Onkels, des alternden König Marke, der über das Reich Cornouaille im Westen der Bretagne herrscht. Nach einem Sieg Markes über die Iren soll Tristan stellvertretend für den König um die Hand der schönen irischen Königstochter Isolde anhalten.

Gemälde von Tristan und Isolde. Sie mit weißem Kleid, er in ritterlichem Gewand.

Tristan und Isolde – ein Drama der Weltliteratur

Diese zeigt sich aber wenig begeistert, die Frau eines alten Mannes zu werden. So gibt die Mutter Isoldes ihrer Tochter einen Liebestrank mit auf den Weg, der ihr die Ehe erträglicher machen soll. Versehentlich trinken jedoch Tristan und Isolde den Zaubertrank auf der Überfahrt in die Bretagne. Die dadurch entflammte Leidenschaft wird zum tragischen Schicksal für die beiden. Sie hintergehen Marke. Als dieser von dem Verrat erfährt, schwört er den beiden Rache.

Über das Ende der tragischen Liebesgeschichte gibt es verschiedene Versionen. In jedem Fall sterben die beiden Liebenden kurz nacheinander. Eine Version besagt, dass Tristan und Isolde gemeinsam auf dem Scheiterhaufen sterben.

Ein etwas poetischeres Ende beschreibt, dass Tristan dem Scheiterhaufen zwar entkommen kann, sich aber aus Verzweiflung über den Tod seiner Geliebten von den Klippen aus ins Meer stürzen will. Doch der Wind erfasst seinen Mantel und er wird sanft auf einer kleinen, der Küste vorgelagerten Insel abgesetzt. Dort stirbt er bald darauf aus Kummer über den Verlust Isoldes.

Das etwa 450 Meter lange und 250 Meter breite Eiland trägt in Anlehnung an die Sage bis heute den Namen Tristan-Insel. Seit einigen Jahren ist das Inselchen Naturschutzgebiet und wird nur noch wenige Male im Jahr im Rahmen von speziellen Führungen für den Publikumsverkehr geöffnet.

Eine kleine grüne Insel vor der Küste der Stadt Douarnenez.

Auf dieser kleinen Insel soll Tristan gelandet sein

(Erstveröffentlichung 2009. Letzte Aktualisierung 22.04.2020)

Quelle: WDR

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