Das Bild zeigt mehrere Wolkenkratzer bei Nacht, die Lichter der Fahrzeuge sind verschwommen.

Architektur

Wolkenkratzer

Häuser, die an den Wolken zu kratzen scheinen, gibt es seit Jahrtausenden. Aber erst seit dem Boom in New York City in den 1930er-Jahren entdeckten ganze Städte das Bauen nach oben für sich.

Von Immo Sennewald

Von Babel bis Taipeh

Menschen wollen schon seit Jahrtausenden hoch hinaus: Die Cheops-Pyramide ist, zusammen mit den beiden anderen Pyramiden von Gizeh, das letzte erhaltene antike Weltwunder und war ursprünglich fast 147 Meter hoch. Der Pharos-Leuchtturm in Alexandria brachte es auf rund 140 Meter.

Und der Turm zu Babel hätte dem Alten Testament zufolge bis in den Himmel wachsen sollen – was den Herrgott so erzürnte, dass er den Menschen die Sprache verwirrte und sie in alle Richtungen auseinander laufen ließ. Sie bauten zu Gottes Ruhm und Ehre dennoch weiter in die Höhe: 161 Meter misst der höchste Kirchturm der Welt. Er steht in Ulm.

Ulmer Münster

Der Ulmer Münster ist der höchste Kirchturm der Welt

Es wird sich nie restlos klären lassen, ob diese Bauten einer Sucht nach Ruhm und Größe entspringen oder dem Wunsch, die Höhenangst zu bannen. Fest steht, dass seit dem 19. Jahrhundert nicht nur sakrale Bauten an den Wolken kratzen, sondern auch Hochhäuser mit Wohnungen, Büros, Hotelzimmern sowie Fernsehtürme, viele mit einem Café "Zur schönen Aussicht".

Zugleich wird unter Architekten, Politikern und Stadtplanern darum gestritten, wie sozialverträglich, energetisch sinnvoll und vor allem wie sicher Hochhäuser sind. Letztere Diskussion bekam mit dem Attentat auf das World Trade Center in New York am 11. September 2001 neue Nahrung. Dennoch bauen Architekten auf der ganzen Welt ständig höher, kühner und auffälliger.

Die ersten Wolkenkratzer

Die Geschichte gewaltiger Kultbauten ist Jahrtausende alt, diejenige hoher Profanbauten dagegen weit jünger. Die ersten davon entstanden im Mittelalter, als reiche italienische Bürger sich mit "Geschlechtertürmen" über das Stadtbild zu erheben suchten. Geschlechtertürme sind Wohntürme, mit deren Höhe die jeweilige Familie ihre Macht demonstrieren wollte.

Richtig los ging es in Sachen Wolkenkratzer erst, als Mitte des 19. Jahrhunderts der absturzsichere Fahrstuhl, der Stahlbeton und moderne Baustähle entwickelt wurden.

Ein Mann im Anzug steht auf einem offenen Lastenaufzug, das Seit ist durchtrennt. Unter ihm blickt eine erstaunte Menge zu ihm auf.

Der absturzsichere Aufzug sorgte 1852 für eine Sensation

Mit Hilfe des Stahlskelettbaus entstand ab 1884 das 42 Meter hohe Home Insurance Building in Chicago. Das Western Union Building und das Tribune Building in New York waren mit 71 beziehungsweise 80 Metern noch deutlich höher.

Wolkenkratzer brauchen Fundamente, die eine gefährliche Seitenlage des Gebäudes bei Erdbewegungen verhindern. Beim 241 Meter hohen Woolworth Building, erbaut von 1910 bis 1913 in New York, bilden Betonpfeiler ein solch verstärktes Fundament. Sie reichen unter der Straße bis zum Felsuntergrund und halten den Schwerpunkt des Gebäudes stabil.

Die Pfeiler wurden in unterirdischen Luftdruckkammern unterhalb der Grundwasserlinie gebaut, in denen man durch Luftdruck das Wasser aus den Kammern heraushalten konnte. Durch dieses neue Verfahren wurde der Bau des Woolworth Buildings überhaupt möglich. Es gilt vielen als erster Wolkenkratzer.

Schwarzweiß-Foto eines Arbeiters auf dem Empire State Building.

Schwindelfrei mussten die Bauarbeiter sein

Wettlauf nach oben

Der Kampf um das höchste Gebäude der Welt begann Ende der 1920er-Jahre: Das New Yorker Chrysler Building, 1930 fertig gestellt, konnte sich ein Jahr lang mit dem Titel "höchstes Gebäude der Welt" schmücken. Im Jahr darauf ging Platz eins bereits an das Empire State Building.

Die Protagonisten des ersten Rennens hießen Walter Chrysler und John J. Raskob. Mit Tricks versuchten beide, die Nase vorn zu haben: Chrysler ließ heimlich im Innern des Rohbaues eine 27 Tonnen schwere Stahlkrone montieren, die Formelemente bekannter Automobile zitierte und als Dachabschluss das Empire State Building überragen sollte.

Raskob erhöhte seinerseits das Empire State Building von 80 auf 85 Stockwerke und fügte eine 60 Meter hohe Krone hinzu, an der sogar Zeppeline anlegen sollten, was allerdings nie gelang.

New York-Skyline mit Empire State Building.

Das Empire State Building war lange das höchste Gebäude der Welt

Erst 40 Jahre später wurde das Empire State Building als höchstes Gebäude abgelöst: Die "Twin Towers" (417 beziehungsweise 415 Meter) des World Trade Center ragten von 1972 an über Manhattan. Sie wurden zur Legende, obwohl bereits nach zwei Jahren der Sears Tower in Chicago (442 Meter) den Titel des höchsten Gebäudes der Welt übernahm. Ab 1997 lagen die Petronas Towers (452 Meter) in Malaysias Hauptstadt Kuala Lumpur für kurze Zeit vorn.

Das 2004 fertig gestellte Taipei Financial Center überstieg dann als erstes Hochhaus die 500-Meter-Marke: 508 Meter hoch ragt es in den Himmel und setzt auch Maßstäbe in der Bausicherheit, denn auf Taiwan gibt es häufig Erdbeben und schwere Stürme. Doch ein Ende des Höhenwettlaufs ist nicht abzusehen.

Anfang 2010 wurde in Dubai der Wolkenkratzer Burj Khalifa feierlich eingeweiht. Mit 828 Metern Höhe übertrifft er bei Weitem alle anderen Gebäude der Welt.

Burj Khalifa

Höher ist keiner: Der Burj Khalifa misst 828 Meter

Vom Dampfelevator zum Superlift

Auch ohne die Erfindung des Fahrstuhls hätte man in die Höhe bauen können. Aber Mietern mehr als sechs Treppenabsätze ständigen Fußwegs zuzumuten, wäre wirtschaftlich kaum sinnvoll gewesen.

Elisha Graves Otis erfand 1852 einen dampfbetriebenen Aufzug. Er gründete eine Firma, die Transportaufzüge baute und verkaufte 1857 den ersten Personenaufzug in New York. Gezackte Führungsschienen an jeder Seite des Fahrstuhlschachts hielten die Gondel des Lifts und rasteten ein, falls die Halteseile versagten – eine erste sicherheitstechnische Voraussetzung für den Bau von Fahrstühlen und Hochhäusern.

Bis 1873 gab es bereits 2000 Personenfahrstühle, und Elektromotoren lösten zur Jahrhundertwende die Dampfmaschinen ab. Heute sind Fahrstühle elektronisch hochgerüstete Maschinen. In Wolkenkratzern wirken mehrere von ihnen raffiniert zusammen, um in kürzester Zeit Tausende Menschen zu transportieren – mit bis zu 15 Metern pro Sekunde.

Frank Lloyd Wright plante 1956 einen 1,5 Kilometer hohen Wolkenkratzer mit 130.000 Bewohnern auf 528 Geschossen. 56 atomgetriebene Fahrstühle sollten sie und ihre Gäste befördern. Das blieb Fantasie – aber ohne leistungsfähige Aufzüge wären auch die Gebäuderiesen von Taipeh, New York und Dubai nichts als Fantasien.

Wolkenkratzer, die durch die Wolkendecke ragen

Ohne Fahrstühle wären Hochhäuser wirtschaftlich kaum sinnvoll

Stürme, Beben, Terrorakte

Der Einsturz des World Trade Center (WTC) nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 stellte wieder einmal die Frage der Sicherheit von Hochhäusern in den Mittelpunkt vieler Diskussionen.

Dabei war die Bauweise des WTC zweifellos sicher. Alle Außenstützen in den Fassaden bildeten eine Röhre ("Tube") mit mehr als 60 Metern Kantenlänge. Tubes sind widerstandsfähiger als vergleichbare Skelettbauten.

Das WTC war sogar für den Aufprall eines Flugzeuges gerüstet. Allerdings stützten sich die Berechnungen auf die größte Maschine, die es zum Bauzeitpunkt 1972 gab – die Boeing 707.

Obwohl 2001 große Kerosinmengen explodierten und die Konstruktion durch enorme Hitze ausglühte, stand der Südturm noch 45 Minuten nach dem Flugzeugaufprall, der Nordturm sogar noch 104 Minuten. Das rettete Tausenden von Menschen das Leben, da sie in dieser Zeit das Gebäude verlassen konnten.

Flammen steigen aus dem Nordturm des New Yorker World Trade Center.

Es gibt keine absolute Sicherheit

Wenn wie beim Taipei Financial Center an den Grenzen des Möglichen gebaut wird – und das in einer Region, in der häufig Erdbeben und schwere Stürme vorkommen –, dann stellt sich die Frage, wie viel Sicherheit noch erreicht werden kann. Wie kann man im Notfall Tausende von Menschen aus dem Gebäude bringen und den Zugang für Rettungskräfte mit schwerem Gerät ermöglichen?

Die Wirtschaftlichkeit setzt dem Drang in die Höhe eine Grenze. Aber der Ehrgeiz von Geschäftsleuten, Politikern und Architekten, sich ein Denkmal zu setzen, geht bisweilen über wirtschaftliche und sicherheitstechnische Bedenken hinaus.

Quelle: SWR | Stand: 13.03.2020, 16:40 Uhr

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