Küste auf Norderney

Ostfriesische Inseln

Norderney – Mondänes Seebad mit stolzer Vergangenheit

Als "Norder neye Oog" (Nordens neue Insel) wurde Norderney im 16. Jahrhundert erstmals als eigenständige Insel erwähnt. Schon bald erkannten die Besucher die Vorzüge der Insel und 1800 wurde aus dem beschaulichen Fischerdorf das erste Seebad in Deutschland.

Von Britta Schwanenberg und Annette Holtmeyer

Vom Fischerdorf zur "Königin der Nordsee"

Bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts lebten die Norderneyer vom Fischfang und von der Schifffahrt mehr schlecht als recht. Dann erkannten viele Ärzte, vor allem englische, die Heilkraft des Meeres und der Nordseeluft – und so wollten auch die Deutschen ein Seebad gründen. Der flache Strand Norderneys und die Nähe der Insel zum Festland machten sie zum idealen Ort dafür.

Im Jahre 1799 begannen die Arbeiten am ersten Kurhaus. Das hölzerne, strohgedeckte Gebäude wurde Conversationshaus genannt und hatte bereits einen kleinen Kursaal und eine Billardstube. Auch Badekarren wurden nach dem Vorbild der englischen Badekutschen bestellt, die Insulaner bauten ihre Häuser für den Fremdenverkehr um. Im Sommer 1800 wurde das Seebad offiziell eröffnet.

250 Kurgäste konnte die Insel bereits im ersten Jahr verzeichnen. Und allmählich merkten die Seefahrer und Fischer auf Norderney, dass es sich vom Tourismus ganz gut leben lässt.

Einigen Norderneyern allerdings widerstrebte die Entwicklung, so dass sie sich laut Berichten "theils aus Muthwillen, theils aus Bosheit an den Gebäuden der Seebade-Anstalt vergriffen, Steine auf die Dächer geworfen und alles mit Kreide bemalt haben". Der Beliebtheit der Insel tat das keinen Abbruch: Bald strömte auch der baltische Adel auf die "Königin der Nordsee".

Sechs Jahre später kam der Badebetrieb zunächst zum Stillstand: Der französische Feldherr Napoleon siegte 1806 über die Preußen, Ostfriesland wurde Teil des Königreiches Holland. 1811 wurde Norderney von französischen Soldaten besetzt. Östlich des Ortes erbauten sie eine Schanze zur Abwehr englischer Landungsunternehmen.

Gemaltes Plakat, das für das 'Königliche Nordseebad Norderney' Werbung macht. Im Vordergrund des Bildes sind zwei junge Mädchen im roten und blauen Kleid zu sehen, die auf einem Badekarren stehen. Im Hintergrund sieht man Badegäste im Meer.

Norderney lockt seit dem 19. Jahrhundert Badegäste an

Die Insel boomt

1814 wurde die Seebadeanstalt wiedereröffnet. Natürlich gab es ausgewiesene Badestrände für Damen und Herren, die durch eine neutrale Zone voneinander getrennt wurden. Eine rote Badeflagge signalisierte, dass Männer dem Damenbad fernzubleiben hatten, auch Bootsführer waren angewiesen, nicht in die Nähe der badenden Damen zu fahren.

Als im Jahre 1822 dann auch noch ein Spielkasino eröffnete, war Norderney endgültig "en vogue". Aus ganz Deutschland, aber auch aus Frankreich, Russland, Schweden und England strömten Spiel- und Badefreunde auf die Nordseeinsel.

Als 1851 König Georg V. von Hannover seine Sommerresidenz nach Norderney verlegte, gab es kein Halten mehr: Moderne, imposante Architektur wuchs rund um das neue Kurhaus in den Nordseehimmel. Die Eröffnung der hannoverschen Westbahn 1856, die bis nach Emden reichte, brachte noch mehr Besucher nach Norderney.

Bis 1900 erlebte die Insel einen wahren Bauboom, immer mehr Städter ließen sich hier nieder. Der mondäne Badeort zog wohlhabende Bürger, aber vor allem Künstler in seinen Bann. 1911 verzeichnete Norderney eine Rekordzahl von 47.000 Gästen. Bis 1914 galt es als "Bad höherer Klasse".

Der Erste Weltkrieg und der Zweite Weltkrieg bedeuteten schweren Einbrüche in der touristischen Entwicklung. Von 1946 bis 1951 richtete die britische Besatzungsmacht ein Erholungszentrum auf Norderney ein. Hotels, Kurhaus und Strand wurden beschlagnahmt.

Seit 1947 ist Norderney "Staatlich anerkanntes Nordseeheilbad". 1948 erhielt es die Stadtrechte.

Das alte Foto zeigt den früheren Damenstrand Norderneys. Er ist voll gestellt mit alten Strandkörben aus Bast; es sind viele Frauen in langen Kleidern und Kinder mit Kleidern beziehungsweise Matrosenanzügen zu sehen.

Am Damenstrand waren Herren verboten

Die Prominenz gibt sich die Ehre

"Gar besonders wunderbar wird mir zu Mute, wenn ich allein in der Dämmerung am Strand wandle – hinter mir flache Dünen, vor mir das wogende, unermessliche Meer. … Die hohe Einfachheit der Natur, wie sie mich hier umgibt, zähmt und erhebt mich zu gleicher Zeit, und zwar in stärkerem Grade als jemals eine andere erhabene Umgebung."

So schilderte der deutsche Dichter Heinrich Heine die Vorzüge eines Inselaufenthaltes 1826. Die Insulaner kamen in seinen Augen allerdings nicht ganz so gut weg: "Gleiche Geisteshöhe oder, besser gesagt, Geistesniedrigkeit", urteilte er über sie und berichtete von einem Tee, "der sich von gekochtem Seewasser nur durch den Namen unterscheidet."

Die Insulaner haben Heine diese Worte allerdings nicht nachgetragen – vieles erinnert auf der Insel bis heute an den Dichter. Die "Marienhöhe", ein Aussichtspunkt am Weststrand, wurde zum "heiligen Berg" der Heine-Verehrung erklärt. Laut Hinweisschild soll er hier sein Lied "Am Meer" geschrieben haben, das Franz Schubert vertonte.

Im "Amtsblatt für Ostfriesland" konnte man schon Anfang des 19. Jahrhunderts nachlesen, welche prominenten Gäste sonst noch auf Norderney Quartier bezogen hatten – bis heute sind die Norderneyer stolz darauf: Neben Heine gehörten Wilhelm von Humboldt, die königliche Familie von Hannover und Reichskanzler Gustav Stresemann zu den Besuchern.

1844 besuchte Otto von Bismarck Norderney. Dem ersten deutschen Reichskanzler gefiel offenbar nicht nur das Reizklima gut: "Hier liege ich", schrieb er, "vor aller Welt verborgen; ich blicke auf die schäumende See hinaus – und davor auf eines der hinreißendsten Weibsbilder".

Auch Theodor Fontane stellte der Insel und ihrer Bevölkerung ein gutes Zeugnis aus, die hohen Preise monierte er allerdings ebenso wie so mancher heutige Inselbesucher.

Die "eingeborene Bevölkerung" beschrieb er als "kräftige, tüchtige, urgermanische Menschen". Und weiter: "Dass sie sich ihre Luft etc. gut bezahlen lassen, kann ich ihnen nicht verdenken, alles wonach Anfrage ist, das steigt im Preise, aber sie fordern nur viel, sie betrügen nicht."

Das Gemälde zeigt den Strand Norderneys von der Georgshöhe aus. Links im Bild sind einige Gebäude, unter anderem ein Pavillon, in der Mitte spazieren einige Fußgänger die Promenade entlang, rechts sind Meer und Strand zu sehen.

Hier spazierte mancher Promi

Touristenmagnet bis heute

Mehr als 200 Jahre Badeleben haben Norderney geprägt. Viele Gründerzeitfassaden und alte Denkmäler vergegenwärtigen das Lebensgefühl vergangener Epochen. Wer die anderen Ostfriesischen Inseln kennt, staunt über die Urbanität Norderneys. Hinter den historischen Fassaden verbergen sich oft exquisite Restaurants und Einkaufsmöglichkeiten.

Heute werden mehr als drei Millionen Übernachtungen jährlich registriert. Die zweitgrößte der Ostfriesischen Inseln ist mit fast 6100 Einwohnern die bevölkerungsreichste, mehr als 25.000 Urlauberbetten machen sie zum größten Seebad an der niedersächsischen Küste.

Norderney hat es geschafft, der kulturelle Mittelpunkt der Ostfriesischen Inseln zu bleiben. Täglich finden Konzerte auf dem Kurplatz oder im Kurgarten statt, viele hochkarätige Symphonieorchester haben bereits auf der Insel Station gemacht. Auch Musical- und Tanzunterhaltung steht oft auf dem ganzjährigen Programm. Wer seiner Spielleidenschaft frönen will, kann dies nach wie vor im alten Kurhaus von 1881.

Das Bild zeigt eine Gruppe junger Leute am Strand, die Beachvolleyball spielen. Im Hintergrund ist die Strandpromenade zu sehen, an der mehrere elegante Villen stehen.

Junges Strandleben und alte Gebäude

(Erstveröffentlichung 2005. Letzte Aktualisierung 15.03.2021)

Quelle: WDR

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