Senior sitzt im Rollstuhl und liest ein Buch

Nerven

Gehirn im Alter

Der Volksmund sagt: "Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr." Lange Zeit ging man davon aus, dass unser Gehirn nur in den ersten vier Lebensjahren wachsen kann. Doch neue Untersuchungen haben dieses Dogma ins Wanken gebracht.

Von Amanda Mock

Studie 1: Jonglieren für die Wissenschaft

Der Neurologe Arne May vom Uniklinikum Hamburg führte vor einiger Zeit eine Untersuchung mit seinen Studierenden durch. Voraussetzung für deren Teilnahme war: Sie durften nicht jonglieren können. Das sollten sie nämlich unter wissenschaftlicher Beobachtung erst lernen.

Was den Wissenschaftler dabei interessierte, waren nicht das artistische Potential seiner Probanden, sondern die Veränderungen im Gehirn, wenn etwas Neues gelernt wird.

Deswegen untersuchte er mit bildgebenden Verfahren die Gehirne der Teilnehmer – zu Beginn der Studie und nach drei Monaten Jongliertraining. Dabei stellte er Erstaunliches fest: In zwei Hirnarealen hatte deutliches Wachstum stattgefunden.

Parkbesucher jonglieren im Alaunpark in Dresden während des Sonnenuntergangs

Was passiert im Gehirn, wenn man etwas Neues lernt?

Studie 2: Untersuchung mit Senioren

Nun interessierte den Forscher natürlich brennend, ob diese Fähigkeit des Gehirns ein Leben lang erhalten bleibt. Gilt diese Fähigkeit nur für 20- bis 25-jährige Studierende oder können auch ältere Menschen dieses Ergebnis erzielen?

Also führte er die Studie noch einmal durch – dieses Mal mit Senioren ab 60 Jahren. Auch sie ließ er drei Monate jonglieren und untersuchte die Veränderungen in ihren Gehirnen. Und auch bei den älteren Menschen konnte er in den gleichen Hirnarealen deutliches Wachstum feststellen.

Mit dieser revolutionären Erkenntnis, dass auch im Erwachsenenalter die Gehirnsubstanz noch zunehmen kann, wurde ein altes Dogma widerlegt.

Darstellung eines menschlichen Gehirns

In jedem Alter kann das Gehirn wachsen

Ergebnis: Gehirnsubstanz kommt und geht

Was dabei genau im Gehirn passiert, ist noch unklar. Arne May hält es aber für wahrscheinlich, dass zwischen bereits vorhandenen Zellen neue Verbindungen entstehen und gestärkt werden.

Was allerdings sicher ist: Wenn das Training aufhört, geht in genau dem gleichen Areal wieder Substanz verloren. Unser Gehirn bleibt also ein Leben lang plastisch, es kann zunehmen, aber auch wieder abnehmen. In diesem Zusammenhang verhält es sich wie mit der körperlichen Beweglichkeit: Wer rastet, der rostet!

Fazit: Das Gehirn muss gefordert werden

Wenn man seinen grauen Zellen etwas Gutes tun will, muss man sie also beschäftigen. Das heißt aber nicht, dass jeder unbedingt jonglieren lernen muss. Es geht nur darum, etwas Neues zu lernen. Das kann eine Fremdsprache sein, Aquarellmalerei oder das Klavierspiel sein.

Hauptsache, es macht Spaß und fordert heraus. Unser Gehirn will beansprucht werden – und das klappt am besten, wenn man sich immer wieder mit neuen Dingen auseinandersetzt. Das lässt das Gehirn dynamisch bleiben, beschert ein erfülltes Leben und einen wachen Geist.

(Erstveröffentlichung 2009. Letzte Aktualisierung 14.11.2019)

Quelle: WDR

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