Der Regisseur Woody Allen

Hirnforschung

Exzentriker

Sie sind anders als andere, haben ihren eigenen Stil und sind etwas ganz Besonderes: Unter 10.000 Menschen gibt es nur einen Exzentriker.

Von Barbara Garde und Katrin Ewert

Spinner, Sonderlinge, Genies

Haben Sie ungewöhnliche Ess- und Schlafgewohnheiten? Leben Sie gern allein? Sind Sie besonders neugierig, kreativ und überdurchschnittlich intelligent? Wollen Sie die Welt verbessern? Ist Ihnen egal, was andere denken und haben Sie einen eher schwarzen Humor?

Sind Sie nicht an materiellem Erfolg interessiert und kennen Sie kein Konkurrenzdenken? Und wussten Sie schon als Kind, dass sie ganz anders sind als Ihre Mitmenschen? Dann könnte es sein, dass Sie exzentrisch veranlagt sind.

Das Leben mit Exzentrikern kann berauschend, erhellend und faszinierend sein. Ihre Energie, ihre Intelligenz und ihre Kreativität versetzen normale Mitmenschen immer wieder ins Staunen.

Andererseits kann der Umgang mit ihnen auch zermürben, weil sie häufig nicht bereit sind, von ihren Plänen und Vorstellungen abzurücken und dabei manchmal Symptome zeigen, die an Asperger-Autismus erinnern.

So vermerkte der Komponist Erik Satie 1913 in seinem Text "Der Tagesablauf eines Musikers“: "Aufstehen 7.18 Uhr, … inspiriert werden 10.23 bis 11.47 Uhr, … Ich gehe regelmäßig um 22.37 Uhr zu Bett. Einmal in der Woche (dienstags) wache ich mitten in der Nacht um 3.19 Uhr auf.“

Windhund oder Pekinese?

Exzentrik ist kein Spleen und keine psychische Störung, sondern ein Persönlichkeitsmerkmal. Was Exzentrik auslöst, ob sie angeboren ist oder welche Gehirnregionen dafür verantwortlich sind, ist wissenschaftlich nicht geklärt.

Fest steht, dass Exzentriker meist zufrieden am Rande der Gesellschaft (lateinisch: ex centro = außerhalb des Mittelpunkts) und außerhalb der geltenden Normen leben. Exzentriker sind Nonkonformisten: Sie kümmern sich nicht darum, wie die Welt normalerweise funktioniert. Der Druck, der eigenen Persönlichkeit zu folgen, ist größer als der Druck der Umgebung nach Anpassung.

Dr. Hunter "Patch" Adams untersuchte seine Patienten beispielsweise im Clownkostüm, lehnte Honorare kategorisch ab und wurde dadurch weltberühmt. 1998 wurde sein Leben mit Robin Williams in der Hauptrolle verfilmt.

Ein Arzt mit roter Gumminase beugt sich über einen kleinen Patienten

Lachen als beste Medizin

Andere Menschen mit einer exzentrischen Persönlichkeit haben noch kuriosere Angewohnheiten: Der Chippewa-Indianer Marvin Staples wurde dadurch bekannt, dass er immer nur rückwärts ging, weil er sich dadurch jünger fühlte.

Der britische Abfallverwerter John Ward konstruierte witzige, aber weitgehend nutzlose Erfindungen aus Müll. Und in Devon in England bewohnten tausende Gartenzwerge das Haus von Ann Atkins, die durch Verteilen von Zipfelmützen für die Verbreitung der Gartenzwergidee warb.

Auf den ersten Blick erscheinen viele Projekte und Tugenden von Exzentrikern als völlig überflüssig und gesellschaftlich unverwertbar. Aber gerade diese Tugenden sind es, die unter Umständen Anstoß zu neuen Erfindungen und Entwicklungen geben. Die Religionsstifter Jesus und Buddha gelten als Exzentriker.

Die Wissenschaft verdankt exzentrischem Denken einiges: Vielleicht hätte Alexander Graham Bell nie das Telefon erfunden, wenn er nicht die Obsession gehabt hätte, seinem Hund das Sprechen zu ermöglichen.

Und hätte Albert Einstein die Welt als gegeben hingenommen, wäre er womöglich nicht auf die Relativitätstheorie gekommen.

Albert Einstein steht an der Tafel und rechnet ein mathematisches Problem vor

Albert Einstein – ein genialer Paradiesvogel

Bekennende Exzentriker haben es nicht immer leicht, akzeptiert zu werden, aber sie können ihre ungewöhnlichen Anlagen in vollen Zügen genießen – oder wie es die britische Exzentriker-Chronistin Edith Sitwell (1887-1964) formulierte: "Wenn man ein Windhund ist, sollte man nicht versuchen, als Pekinese durchzugehen.“

Exzentriker – Prüfstein für eine tolerante Gesellschaft

In den 1980er-Jahren analysierte der Neuropsychologe David Weeks in einer Studie mehr als 1000 exzentrische Personen und durchforstete die Geschichte nach offensichtlichen Exzentrikern. Sein Ergebnis: Exzentriker mögen ihren Zeitgenossen verrückt erscheinen, aber sie sind ein Motor des Fortschritts. Und es hat sie offenbar zu allen Zeiten und in allen Kulturen gegeben.

Aber nicht jede Gesellschaft duldet Abweichung: Viele Exzentriker sind im Laufe der Geschichte in Gefängnissen und Irrenhäusern oder gar auf dem Scheiterhaufen gelandet. Immer wieder wurde eine physische oder psychische Störung als Grund für exzentrisches Verhalten vermutet.

Je starrer die Struktur einer Gesellschaft, desto weniger Raum bietet sie für exzentrische Lebensweisen. Beste Chancen scheint es in der britischen Gesellschaft zu geben: Hier galt ein Spleen schon immer als schick, besonders in den höheren Kreisen.

In Deutschland wurden Exzentriker früher wegen der preußischen Tugenden Zucht und Ordnung nicht immer gern gesehen. Heute werden sie von den meisten geduldet. Die Franzosen lieben die Idee vom exzentrischen Leben, haben aber in der Praxis nicht viel für Sonderlinge übrig.

In Japan sind Exzentriker verpönt. Trotzdem sind die landestypischen Mangas voll von ihnen.

Titelblatt eines Manga-Comics

Exzentriker mit großen Augen: Mangafiguren

Berühmte Exzentriker

Nicht jeder, der anders aussieht, ist Exzentriker und nicht jeder Exzentriker sieht auch so aus. Ein historisches Beispiel für einen Zweckexzentriker ist Ludwig XIV. Die pompöse Selbstinszenierung des Sonnenkönigs war keine individuelle Überzeugung, sondern politisches Kalkül: Sie diente der Schaffung einer radikal durchorganisierten und abhängigen Hofgesellschaft.

Wer sich tagtäglich mit Mode, höfischen Ritualen und skurrilen Ehrenämtern auseinandersetzen musste, hatte wenig Gelegenheit, eigene Interessen außerhalb der Spaßgesellschaft Versailles zu verfolgen. Anders der Preußenkönig Friedrich II.: Er ordnete seine persönlichen exzentrischen Anlagen der Zucht und Staatsraison unter – gnadenlos gegen sich und andere.

Zweck- oder Berufsexzentriker finden sich heute vor allem in der Mode- und Stylingbranche. Abgesehen von Exzentrikern wie Vivienne Westwood oder Karl Lagerfeld ist für die Masse der Outfit-Kreateure ein schrilles Äußeres und Auftreten so etwas wie eine allgemeine Dienstkleidung.

Vivienne Westwood mit ihrem Mann

Vivienne Westwood: Konventionen spielten für sie nie eine Rolle

Viele Exzentriker haben eine künstlerische Begabung: Maler wie Picasso, Frida Kahlo oder Salvador Dali; Sänger und Musiker wie Helge Schneider, Bob Dylan, Prince, John Lennon, Michael Jackson oder Schauspieler und Regisseure wie Woody Allen, Howard Hughes oder Rainer Werner Fassbinder nutzten ihr exzentrisches Potenzial künstlerisch.

Schauspieler dagegen müssen dabei trotzdem bereit zur Anpassung sein, um eine Rolle gut auszufüllen. In ihren Reihen findet man deswegen selten echte Exzentriker. Selbst schauspielerisch grandiose Paradiesvögel wie zum Beispiel Jack Nicholson oder Helena Bonham Carter sind im Filmgeschäft oft auf Rollenklischees festgelegt, um die Erwartung des Publikums zu erfüllen.

(Erstveröffentlichung: 2013. Letzte Aktualisierung: 03.03.2021)

Quelle: WDR

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