Was ist das Mikrobiom?

Planet Wissen 08.12.2023 04:37 Min. UT Verfügbar bis 08.12.2028 SWR

Bakterien

Darmbakterien und das Mikrobiom

Am größten ist das Gewimmel dort, wo die meiste Nahrung zu finden ist: im Darm. Besonders im Dickdarm drängen sich bis zu eine Billiarde Einzeller pro Gramm. Damit ist der Darm der am dichtesten besiedelte Ort der Welt.

Von Cora Richter

Drei Darmtypen

2011 veröffentlichte Peer Bork, Bioinformatiker am Europäischen Laboratorium für Molekularbiologie in Heidelberg, eine Studie, die die Menschheit in drei Darm-Typen unterteilt. Tausende von Stuhlproben hatte er dafür weltweit untersucht.

Die Überraschung war, dass jeder Mensch – unabhängig von Nation, Kultur, Alter oder Geschlecht – einem von drei Bakterientypen zugeordnet werden kann.

Es gibt den Darmtyp 1, bei dem Bakterien der Gattung Bacteroides dominieren. Bei Darmtyp 2 sind es Bakterien der Gattung Prevotella und bei Darmtyp 3, dem häufigsten aller drei Typen, sind es Bakterien der Gattung Ruminococcus.

Jede Gattung hat ihre eigenen Vorlieben und einen anderen Stoffwechsel.

Animierte Zeichnung, drei Personen mit rot markiertem Darm sitzen in Stühlen.

Jeder Mensch kann einem von drei Bakterientypen zugeordnet werden

Auffällig ist, dass beim Darmtyp 1 eine geringere Bakterienvielfalt vorliegt – was Krankheiten zu begünstigen scheint. So leiden Menschen mit diesem Darmtyp häufiger unter Morbus Crohn oder Autismus.

Bacteroides-Bakterien sind Meister der Kohlenhydrataufspaltung. Sie können Zucker besser abbauen und dem Körper schneller zur Verfügung stellen. Wer zu Fettleibigkeit neigt, hat es mit diesem Darmtyp wohl besonders schwer.

Bei Darmtyp 2 kommt es häufiger zu Reizdarm und Diabetes. Bei Fleischessern dominiert meist Bacteroides im Darm, bei Vegetariern dagegen Prevotella.

Ob Bacteroides zu Übergewicht führt oder erst durch Übergewicht zu dominieren beginnt, ist noch ungeklärt. Unsere Darmbakterien können Nahrung sehr unterschiedlich verwerten, auch das wird intensiv untersucht.

Machen Darmbakterien dick?

Doch es sind nicht nur die drei dominierenden Bakteriengattungen der verschiedenen Darmtypen, die einen Einfluss auf unseren Stoffwechsel ausüben.

So können Bakterien der Gattung Firmicutes aus sonst unverdaulicher Nahrung zusätzliche Kalorien aufschließen. Amerikanische Forscher entdeckten sie im Darm von Übergewichtigen. Bei Schlanken sind sie deutlich seltener anzutreffen.

Und inzwischen ist noch ein zweiter Übeltäter als Dickmacher bekannt: das Bakterium Clostridium ramosum. Clostridium stimuliert die Fettaufnahme im Dünndarm.

Wissenschaftlich gesichert ist inzwischen, dass übergewichtige Menschen eine artenärmere Darmflora besitzen.

Darmbakterien und Krankheiten

Auch in Sachen Gesundheit und Immunabwehr scheint ein artenreicher Bakterienmix von Vorteil zu sein. Fest steht: Im Darm treffen Bakterien und das Abwehrsystem des Menschen aufeinander. Hier befindet sich der größte Teil unseres Immunsystems (etwa 80 Prozent).

Mit einer Verarmung des Mikrobioms steigt die Häufigkeit von Krankheiten, wie Versuche mit keimfreien Tieren zeigten. Multiple Sklerose, chronische Darmentzündung wie Colitis ulcerosa und selbst Darmkrebs werden mit einer artenarmen Darmflora in Zusammenhang gebracht.

Auch bei Herzerkrankungen, Asthma und rheumatoider Arthritis wird ein Zusammenhang mit Darmbakterien diskutiert. Natürlich spielen auch Lebensstil, Umwelteinflüsse und Genetik dabei eine Rolle.

Fest steht aber: Eine artenreiche Darmflora geht oft mit einem starken Immunsystem einher. Doch noch ist nicht geklärt, ob die gefährliche Bakterienflaute im Darm die Ursache von Krankheiten ist oder deren Folge.

Grafik der Darmerkrankungen Colitus ulcerose und Morbus Crohn.

Eine artenreiche Darmflora geht oft mit einem starken Immunsystem einher

Stuhltransplantation – fremde, rettende Darmbakterien

Von Organtransplantationen haben die meisten Menschen schon einmal gehört. Aber eine Transplantation der Häufchen, die wir im Allgemeinen die Toilette hinunterspülen?

So fremd es auch erscheinen mag, der Bakterienmix im Stuhl eines gesunden Menschen kann für Menschen mit Darmerkrankungen tatsächlich Besserung bringen.

Etwa bei Patienten, die sich mit dem gefährlichen Erreger Clostridium difficile infiziert haben. Der Erreger verursacht jährlich rund 2000 Todesfälle in Deutschland, da eine Behandlung mit Antibiotika häufig versagt.

Die in Deutschland noch recht seltene Stuhltransplantation bietet dagegen mit einer Heilungsquote von 94 Prozent einen sehr guten Therapieerfolg.

Auch bei anderen chronischen Darmentzündungen wie Reizdarm, Morbus Crohn und Colitus ulcerosa bringt die Therapie immerhin bei 20 bis 30 Prozent der Patienten eine deutliche Verbesserung.

Übrigens: Vor der Transplantation wird die Stuhlprobe aufwendig auf Keime untersucht. Trotzdem bleibt ein Risiko, schließlich können auch schädliche Bakterien transplantiert werden.

Auch skurrile Nebeneffekte sind bekannt: Wie etwa der Fall, bei dem eine kranke, aber normalgewichtige Mutter nach einer Stuhlspende ihrer gesunden, aber übergewichtigen Tochter anschließend selbst übergewichtig wurde.

Beeinflusst der Darm die Psyche?

Die noch recht junge Disziplin der Neuromikrobiotik beschäftigt sich mit der sogenannten "Darm-Hirn-Achse". Dabei gilt das Interesse der Neurowissenschaftler der Frage, wie das Darm-Mikrobiom die Gehirnentwicklung und unsere Psyche beeinflusst.

Rund ein Drittel aller Stoffwechselprodukte im menschlichen Blut stammen von unseren Mikroben im Körper. Vor allem von unseren Darmbewohnern, die ihren chemischen Einfluss auf diese Weise bis ins Gehirn ausüben.

Denn zu den Stoffwechselprodukten gehören auch Botenstoffe, mit denen die Mikroben untereinander, aber wohl auch mit uns kommunizieren.

Wie genau die Verbindung zwischen Darm, Gehirn und Psyche funktioniert, können die Forscher bis jetzt nur vermuten. So könnten etwa die Gelüste nach bestimmten Nahrungsmitteln, wie etwa der Heißhunger einer Schwangeren auf Essiggurken, mit solchen Signalen von unseren Bakterien zu tun haben.

Auch seelische Erkrankungen wie etwa Depressionen oder Migräne bringt man mittlerweile in Verbindung mit der Darmflora.

Noch deutlicher ist der Zusammenhang bei neurologischen Erkrankungen wie Autismus und Parkinson. So weisen etwa autistische Kinder eine artenarme Darmflora auf.

In einer Studie konnte nachgewiesen werden, dass eine erfolgreiche Stuhltransplantation in 17 von 18 Fällen eine deutliche Verbesserung brachte.

Offenbar beeinflusst unsere Darmflora selbst die Art, wie wir die Welt sehen. Es gibt also noch viele ihrer Geheimnisse zu entschlüsseln.

Quelle: SWR | Stand: 01.04.2020, 10:47 Uhr

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