Studenten der Veterinärmedizin verfolgen eine Praktische Übung an einer trächtigen Kuh im Hörsaal der Klinik für Rinder in der Tierärztliche Hochschule in Hannover.

Tiermedizin

Stadt, Land, Tierarzt

Der Studiengang Tiermedizin ist gefragt in Deutschland. Später werden sich wohl die meisten frischgebackenen Tierärzte für eine Kleintierpraxis in der Stadt entscheiden.

Von Claudia Weber

Frauendomäne trotz Knochenjob

Tiermedizin zählt zu den beliebtesten Studiengängen in Deutschland. Entsprechend hoch sind die Zulassungsbeschränkungen. Wer einen der begehrten Plätze an fünf deutschen Hochschulen ergattern will, muss eine hervorragende Abiturnote haben – oder Wartesemester in Kauf nehmen.

Der Frauenanteil unter den Tiermedizinstudenten liegt bei mehr als 80 Prozent. Und das, obwohl höchste körperliche Anforderungen auf die Hochschulabsolventen zukommen. Vor allem in Großtierpraxen, wo Rinder und Pferde behandelt werden. Entsprechend selten sieht man lackierte Fingernägel bei Tierärztinnen, dafür öfter Kratzer, Schwielen und blaue Flecken.

Trotzdem hat sich der Knochenjob zur Frauendomäne entwickelt. Und mancherorts wird sogar erwogen, eine Männerquote an den Universitäten einzuführen.

Traumberuf Tierarzt?

Nach wie vor ganz weit oben auf der Liste der Traumberufe steht der Tierarzt, vor allem bei Mädchen. Dabei liegen oft Welten zwischen Wunschbild und Wirklichkeit. Das Missverständnis beginnt bei der romantisch verklärten Vorstellung, kranken Tieren helfen zu können, und endet oft genug als Albtraum auf dem Arbeitsmarkt.

Studenten der Veterinärmedizin schauen bei einer Operation am Pferd zu

Über 80 Prozent der Veterinärstudenten sind Frauen

Dort erwarten junge Tierärzte selbst an Unikliniken einjährige Praktikumsstellen zur Facharztausbildung, die mit 600 bis 900 Euro im Monat für 50-Stunden-Wochen vergütet werden – und das, obwohl überdurchschnittliche Examensnoten, Promotion und Berufserfahrung vorausgesetzt werden.

Auch später sind die Aussichten nicht rosig: Die besten Verdienstchancen haben Großtierärzte, die sich auf Nutztiere wie Rinder, Schweine und Schafe spezialisieren; am wenigsten verdienen die Kleintierärzte.

Zwischen Stall und sterilem Operationsraum

Erstaunlicherweise entscheiden sich dennoch so viele Veterinärmediziner für Klein- und Haustierpraxen in städtischen Ballungsräumen, dass auf dem Land bereits ein Mangel an Fachärzten für Großtiere herrscht.

Das liegt nicht nur daran, dass es immer weniger landwirtschaftliche Betriebe gibt, in denen Nutztiere gehalten werden. Vor allem sind es wohl die geregelten Arbeitszeiten und die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie, die zur Spezialisierung auf Hund und Katze, Kanarienvogel und Goldhamster, Zwergkaninchen und Schildkröte führen.

Eine Tierärztin behandelt eine Katze

Die Kleintierpraxis bietet geregelte Arbeitszeiten

Tierärzte, deren Patientenspektrum vom Meerschweinchen bis zum Mastvieh reicht, sind selten geworden; es ist einfach zu anstrengend, in einer Gemischtpraxis alles unter einen Hut zu bringen. Die Grätsche zwischen Stall und sterilem OP ist nur innerhalb einer straff organisierten Wochenplanung mit festen Praxiszeiten zu schaffen.

Hinzu kommen lange Anfahrten zu Großtierhaltern, Mast- und Schlachtbetrieben oder Pferdezüchtern – und vor allem Bereitschaftsdienste mit unkalkulierbaren Nacht- oder Wochenendeinsätzen.

Kleinvieh macht auch Mist

Dass sich die meisten Veterinärmediziner für die städtische Kleintierpraxis entscheiden, liegt auch an der immer größer werdenden Bereitschaft der Tierbesitzer, für die Gesundheit ihrer Lieblinge tief in die Tasche zu greifen. In den Tierarztpraxen sind Hüftprothesen, Herzschrittmacher und Bandscheibenoperationen inzwischen nichts Ungewöhnliches mehr.

Wer es sich leisten kann, bezahlt bereitwillig die Computertomografie für die kranke Katze oder lässt die getrübten Augenlinsen seines Hundes ersetzen. Und wer mehrere Tausend Euro für seinen Koi bezahlt hat, legt gerne noch ein paar Hunderter drauf, um diesem mit einer Operation das Leben zu retten.

Vermenschlichung von Haustieren

Planet Wissen 10.03.2023 05:23 Min. UT Verfügbar bis 26.03.2026 SWR

Heimtiere gehören zur Familie

Früher wurden Katzen gehalten, um Haus und Hof von Mäusen freizuhalten, während Hunde als Wach-, Jagd- oder Hütetiere im Einsatz waren. Heute zählen Katze und Hund zu den beliebtesten Haustieren im deutschsprachigen Raum, auch ohne ihre Aufgaben erledigen zu müssen.

In Deutschland leben in schätzungsweise 16 Prozent aller Haushalte Katzen – in der Schweiz sind es sogar 25 Prozent. Auf Platz zwei der Beliebtheitsskala folgen Hunde in zwölf bis 13 Prozent der Haushalte, danach Kleintiere wie Hamster, Kaninchen und Rennmäuse.

Ob Stubentiger, Langhaardackel oder Wellensittich – Haustiere sind heute Teil der Familie und werden im Krankheitsfall ähnlich umsorgt wie menschliche Patienten. Die medizinische Betreuung führt auch dazu, dass die Lebenserwartung eines Haustiers immer weiter steigt – mit allen Konsequenzen, die das Alter mit sich bringt. So sind Krebstumore längst keine Seltenheit mehr, und Radio-Onkologie und Chemotherapie gehören inzwischen zur üblichen Behandlung krebskranker Haustiere.

Ein Hund liegt betäubt auf einem Tisch im Bestrahlungsraum und wird bestrahlt.

Strahlenbehandlung bei einem tierischen Tumorpatienten

Coaching auf der Couch

In den vergangenen Jahren zeigte sich zunehmend die Tendenz, Tiere nicht nur physisch, sondern auch psychisch zu behandeln. Etwa, wenn der Leguan aggressiv wird oder die Katze anfängt, auf den Teppich zu pinkeln.

Oft werden die Ursachen für Verhaltensstörungen durch seelischen Stress ausgelöst. Viele Menschen wissen zu wenig über die angeborenen Verhaltensweisen und artspezifischen Bedürfnisse ihrer Tiere. So brauchen beispielsweise Papageien unbedingt Artgenossen als Gesellschaft. Hält man sie allein, fangen sie womöglich an, sich die Federn auszurupfen. Erst in der Gruppentherapie lernen sie wieder, miteinander zu kommunizieren.

Andere Tiere werden durch übertriebene Zuwendung ihrer Halter krank und bekommen Depressionen, wenn Herrchen oder Frauchen das Haus verlassen. Nicht zuletzt deshalb spezialisieren sich immer mehr Tierärzte auf verhaltenstherapeutische Maßnahmen, mit denen sie nicht nur psychisch kranke Tiere behandeln, sondern auch deren Besitzern die artgerechte Haltung ihrer Tiere beibringen.

Quelle: SWR | Stand: 03.03.2020, 11:00 Uhr

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