Altwölfe mit einem Jungtier

Wölfe in Deutschland

Das Leben im Rudel

Das Leben im Wolfsrudel verläuft anders als allgemein angenommen. Es ist nicht geprägt von Rangordnungskämpfen und harter Futterkonkurrenz – neuere Forschungen haben ergeben, dass Wölfe ein Sozialverhalten zeigen, das dem der Menschen sehr ähnlich ist.

Von Ragnar Vogt

Wolfsrudel als Kleinfamilie

Der Alphawolf schaut argwöhnisch, er weiß, dass ihm seine Position als Rudelchef jederzeit streitig gemacht werden kann. Und tatsächlich: Schon kommt ein Angriff von der Seite. Ein kräftiger Konkurrent verbeißt sich in seinem Nacken. Ein heftiger Kampf um die Macht im Rudel beginnt.

Solche Geschichten werden häufig in Tierdokus erzählt. Das Problem: Sie stimmen nicht! Ein Wolfsrudel in der freien Wildbahn funktioniert ganz anders als gemeinhin angenommen. Das fängt schon mit der Größe des Rudels an: Es sind meist nur zwischen fünf und zehn Tiere.

Und im Rudel gibt es in der Regel nur zwei ausgewachsene Tiere: Vater und Mutter. Die weiteren Gruppenmitglieder sind ihre Nachkommen: die Welpen und die Jungtiere vom Vorjahr.

Ein Wolfsrudel ist im Grunde genommen nichts anderes als eine Kleinfamilie – sie leben also in ähnlichen Strukturen wie wir Menschen. Das erklärt auch möglicherweise, warum wir mit dem Hund so gut auskommen. Immerhin zeigten seine Vorfahren, die Wölfe, ein menschenähnliches Sozialverhalten.

Zwei kämpfende Grauwölfe

Das Märchen vom Machtkampf

Keine Rangordnungskämpfe

Der Wolf lebt also in Kleinfamilienverbänden. Es gibt tatsächlich eine Rangordnung, aber um die muss nicht gekämpft werden. Denn es ist klar, dass die Eltern das Sagen haben. Die rangniederen Tiere müssen sich auch keine Sorgen machen, dass die Chefs ihnen die Beute vorenthalten und nur die schwer verdaulichen Reste übriglassen. Im Gegenteil: Vater und Mutter sorgen sich darum, dass alle Essen bekommen, es sind schließlich ihre Kinder.

Warum hält sich dann so hartnäckig der Mythos von den Rangordnungskämpfen und der Nahrungskonkurrenz im Wolfsrudel? Zum einen sind es Geschichten, die man von anderen Tierarten, etwa von Affen, kennt und die sich im Film dramaturgisch schön erzählen lassen.

Zum anderen kann man tatsächlich Rangordnungskämpfe beobachten: Dann nämlich, wenn Wölfe in Gefangenschaft gehalten werden und sie entgegen ihres natürlichen Verhaltens gezwungen werden, mit anderen ausgewachsenen Tieren zusammenzuleben. Um die dabei entstehenden Spannungen zu minimieren, bilden sich feste Rangordnungen.

Weibchen spielt mit Ihrer Welpen am Bau

Die Wolfsmutter kümmert sich um ihr Junges

Fürsorgliche Geschwister

Die Jährlinge, also die Nachkommen vom Vorjahr, haben eine wichtige Funktion im Rudel. Die Eltern machen jeden Tag lange Jagdausflüge. In dieser Zeit sind die Jungen auf sich allein gestellt. Die Jährlinge passen dann auf ihre jüngeren Geschwister, die Welpen, auf – sie sind ihre Babysitter.

Sie kümmern sich sogar um eine Art Babybrei: Sie würgen vorverdautes Futter hoch, das sie den Welpen zu fressen geben. Zunehmend werden die Jährlinge selbstständiger und unternehmen Ausflüge außerhalb ihres Territoriums. Spätestens mit zwei Jahren verlassen sie ihre Familie, um ein eigenes Rudel zu gründen.

Zwei sechs Wochen alte Wolfswelpen

Die Welpen sind wohlbehütet

"Hier ist mein Revier"

Jedes Rudel lebt in einem klar abgegrenzten Revier. Wölfe wählen das Territorium so groß, dass sichergestellt ist, dass für alle Gruppenmitglieder genügend Futter da ist. In Gegenden mit vielen Hirschen und Rehen sind die Reviere vergleichsweise klein. Dagegen können bei einer geringen Beutetierdichte die Reviere sehr groß sein. Die Wölfe markieren ihr Territorium, indem sie Duftmarken mit Kot und Urin setzen.

Stimmt es dann wenigstens, dass die Wölfe den Mond anheulen? Nein, das ist ein weiterer Mythos, der sich hartnäckig hält. Wenn Wölfe heulen, dann sagen sie ihren Artgenossen: "Hier ist mein Revier." Unabhängig davon, ob der Mond scheint oder nicht.

Ein Wolfsrudel im Winter im Bayerischen Wald

Das Heulen ist eine klare Ansage

Stand: 02.09.2019, 15:17 Uhr

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