Tomate, im Hintergrund eine Spritze aus der eine Flüssigkeit auf die Tomate tropft

Forschung

Gentechnik

Bis aus den Erkenntnissen des "Erbsenzählers" Mendel das erste Klonschaf entstand und die Welt gleichermaßen faszinierte und erschütterte, vergingen ungefähr 150 Jahre. Dazwischen liegen viele Meilensteine der Wissenschaft.

Von Monika Sax und Michael Lange

Von der Genetik zur Gentechnik

1865 kreuzte der Augustinermönch Gregor Johann Mendel gelbe mit grünen Erbsen, um die Prinzipien der Vererbung zu erforschen. Er hätte sich bestimmt nicht träumen lassen, dass er damit entscheidend zur Entstehung eines neuen Wissenschaftszweigs beitrug: der Gentechnologie.

Doch bevor Forscher mit der Gentechnologie aktiv das Erbgut von Lebewesen verändern konnten, mussten sie erst einmal mehr über die Grundlagen des Lebens lernen. Dafür benötigten sie die Genetik.

Der Botaniker Gregor Mendel

Gregor Johann Mendel (1822-1884)

Schon 1869 entdeckte der Schweizer Arzt und Chemiker Friedrich Miescher in Tübingen eine klebrige Substanz aus Blutresten in Verbandsmaterial. Er nannte sie Nuclein. 60 Jahre später, 1929, ermittelte der Biochemiker Phoebus Levene deren Zusammensetzung. Seitdem heißt die Substanz DNS (gebräuchlich ist auch die englische Abkürzung DNA).

Dieses Biomolekül kommt in allen Lebewesen vor und ist Träger der Erbinformation. Doch erst 1953 akzeptierte die Mehrheit der Wissenschaftselite Levenes Erkenntnis.

Denn in diesem Jahr veröffentlichten James Watson und Francis Crick das berühmte dreidimensionale Doppelhelix-Modell vom Aufbau der DNS und bestätigten damit, was Levene schon Jahrzehnte vorher herausgefunden hatte.

Anfang der 1960er-Jahre entdeckte der Biochemiker Marshall Nirenberg die Regeln für die Entschlüsselung des genetischen Codes. 1965 fanden die Franzosen François Jacob und Jacques Monod heraus, wie die Aktivität von Genen an- oder abgeschaltet werden kann.

Etwa zeitgleich entdeckte der Schweizer Molekularbiologe Werner Arber die Genscheren (Restriktionsenzyme). Mit diesen lässt sich DNS an bestimmten Stellen zerteilen. Nun wussten die Wissenschaftler genug über die Bausteine des Lebens und besaßen die wichtigsten Werkzeuge, um die Erbsubstanz neu zu gestalten.

Geburt einer neuer Wissenschaft

1973 war es so weit: Die Biochemiker Herbert Boyer und Stanley Cohen nutzten die Genscheren erstmals, um Erbanlagen von einem Organismus auf einen anderen zu übertragen. Sie schleusten die DNS eines Frosches in ein Bakterium ein. Das Ergebnis: eine neu kombinierte, eine "rekombinante" DNS.

Diese neue DNS brachten sie dann in ein anderes Bakterium, die Wirtszelle, ein. Die Wirtsbakterie produzierte darauf das Protein, dessen Bauanleitung in dem eingebrachten Gen niedergeschrieben ist – der erste gentechnische Versuch war gelungen.

Dieses Experiment eröffnete völlig neue Optionen. "Es könnte möglich sein", schrieb Cohen, "in ein Bakterium Gene einzuführen, die Funktionen wie beispielsweise die Herstellung von Antibiotika festlegen, die eigentlich anderen biologischen Klassen angeboren sind". Die Forscher hatten Blut geleckt.

Symbolbild: Helixstrang und Menschen-Silhouetten

Die DNS ist Träger der Erbinformation bei allen Lebenwesen

Anfängliche Bedenken

Aber auch Kritik wurde laut: War es richtig, artfremde Erbinformationen in Organismen zu übertragen? War es ethisch vertretbar, Erbeigenschaften zu manipulieren? War die Wissenschaft gerade dabei, die Büchse der Pandora zu öffnen?

Der Biochemiker Paul Berg – selbst maßgeblich am Einsatz der Genscheren beteiligt – war einer der größten Kritiker. Er brach seine Versuche in Stanford ab und forderte ein vorläufiges Moratorium. Einige Monate stand darauf tatsächlich die Arbeit in den Laboren weltweit still.

Eine Konferenz im kalifornischen Asilomar sollte 1975 klären, wie mit dem neuen Werkzeug Gentechnik umgegangen werden sollte. 140 führende Wissenschaftler einigten sich darauf, dass Versuche mit Krebsgenen und die Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen vorerst tabu wären.

Die Beschlüsse der Asilomar-Konferenz flossen später in die nationalen Gentechnik-Gesetze ein. Doch schon Anfang der 1980er-Jahre war man der Meinung, die Risiken inzwischen abschätzen und kontrollieren zu können.

Geld mit Genen

Der Startschuss für die kommerzielle Nutzung der Gentechnik war gefallen. Bereits 1976 gründeten Helmut Boyer und Robert Swanson die erste Biotechnologiefirma, "Genentech".

Im Jahr 1978 gelang es ihnen, Mikroorganismen mithilfe der neuen Methoden so umzuwandeln, dass sie menschliches Insulin zur Behandlung von Diabetes (Zuckerkrankheit) produzierten. 1982 brachte "Genentech" gentechnisch hergestelltes Humaninsulin auf den Markt.

1986 fand der weltweit erste Freilandversuch mit einer gentechnisch veränderten Pflanze statt. 1988 wurde erstmals ein Patent auf lebende Tiere erteilt: auf transgene Mäuse. Sie erkrankten besonders oft an Krebs und wurden in der Tumorforschung eingesetzt. 1989 gelang in den USA erstmals die Übertragung fremder Gene in menschliche Körperzellen mithilfe von Viren.

Es folgte das große Gentechnikjahr 1990: In Deutschland wurde das Gesetz zur Regelung der Gentechnik erlassen, in dem unter anderem Freisetzungsrichtlinien, Sicherheitsmaßnahmen und Genehmigungsverfahren geregelt waren.

Gleichzeitig wagten sich amerikanische Ärzte zum ersten Mal an die Gentherapie. Sie korrigierten einen Defekt in kranken Zellen mit Hilfe der Gentechnik und setzten die gesunden Zellen erfolgreich wieder in den Patienten ein.

Im gleichen Jahr begann die Arbeit der "Human Genome Organisation" (HUGO). Diese Vereinigung von mehr als 1000 Wissenschaftlern aus aller Welt wollte bis zum Jahre 2003 das gesamte menschliche Erbgut entschlüsseln, was ihnen auch gelang.

1990 fand außerdem die Jubiläums-Konferenz "15 Jahre nach Asilomar" statt. Einige Gentechniker der ersten Stunde, wie Paul Berg, kritisierten die zunehmende Kommerzialisierung der Gentechnik.

Danach nahm die Entwicklung nochmals an Geschwindigkeit auf. So kam 1994 in den USA die erste gentechnisch veränderte Anti-Matsch-Tomate auf den Markt, 1996 wurden dort bereits auf großen Flächen transgene Nutzpflanzen wie Mais und Soja angebaut.

Grün leuchtende, gentechnisch veränderte Maus

In UV-Licht leuchten die Zellen einer Gen-Maus grün

Klonen gehört nicht zur Gentechnik

Wissenschaftlich ist das Klonen keine Gentechnik. Denn die Gene werden beim Klonen nicht gezielt verändert, sondern lediglich kopiert und aktiviert. Ethisch und politisch werden Klonen und Gentechnik allerdings oft gemeinsam betrachtet.

1996 erblickte das berühmteste geklonte Säugetier aller Zeiten das Licht der Welt: das Schaf Dolly. Im Dezember 2000 wurde die "Charta der Grundrechte" auf dem Europäischen Gipfel von Nizza verkündet. In dem Kapitel über die Würde des Menschen wurde das reproduktive Klonen von Menschen verboten. Damit wurde die gentechnische Herstellung von Menschen mit identischem Erbgut untersagt.

Am 22. Januar 2001 billigten die Mitglieder des britischen Oberhauses Pläne der Regierung, das Klonen von menschlichen Embryonen für Forschungszwecke zuzulassen.

Gentechnik: Teil unseres Lebens

Im September 1999 erschütterte der Tod von Jesse Gelsinger die Gentechnikbranche. Der 18-jährige Mann aus Arizona nahm an einer Gentherapie teil, die er nicht überlebte. Er war das erste Opfer dieses Verfahrens.

2000 gab es weltweit bereits mehr als 2500 Biotechunternehmen, fast 400 waren börsennotiert.

Heute sind gentechnisch veränderte Pflanzen in der Landwirtschaft und gentechnisch hergestellte Arzneimittel keine Besonderheit mehr. Wie die Zukunft der Gentechnik, zumindest im Lebensmittelbereich, aussehen wird, hängt vor allem vom Verhalten der Konsumenten ab.

2008 führte der öffentliche Protest in Frankreich zum Beispiel zum Stopp von Freilandversuchen und dem kommerziellen Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen. In Deutschland gibt es schon seit 2013 keine Freilandversuche mehr mit gentechnisch veränderten Pflanzen. Auch der kommerzielle Anbau dieser Pflanzen wurde schon vor einigen Jahren eingestellt.

2012 beschrieben Jennifer Doudna und Emmanuelle Charpentier eine Methode, um DNS schneller und genauer zu schneiden. Sie verwendeten dabei eine Genschere aus Bakterien mit Namen Crispr/Cas.

Daraus entwickelte sich in den folgenden Jahren ein genetischer Werkzeugkasten, mit dem sich Erbanlagen fast nach Wunsch schneiden und verändern lassen wie Texte in einem Computer. Crispr/Cas vereinfachte die Gentechnik, eröffnete neue Möglichkeiten, schuf aber auch neue Risiken.

Im Oktober 2020 wurden Doudna und Charpentier für ihre Arbeit mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet.

Geteilte Eizellen eines menschlichen Klons nach drei Tagen

Drei Tage alter Klon-Embryo eines Menschen

(Erstveröffentlichung 2009. Letzte Aktualisierung 26.08.2020)

Quelle: WDR

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