Zugvögel auf dem Weg ins Winterquartier.

Vögel

Zugvögel

Vögel ziehen in V-Formation über den Himmel. Sie fliegen südwärts, um dort zu überwintern, wo es wärmer ist, etwa in Spanien oder Marokko. Hier finden sie die Nahrung, die sie für ihr Überleben brauchen.

Von Susanne Decker und Sami Skalli

Von Grönland bis zur Antarktis

Manche Zugvögel legen auf ihrer Reise Tausende von Kilometern zurück. Der Langstreckenflieger unter ihnen ist die Küstenseeschwalbe. Mit etwa 17.000 Kilometern fliegt sie am weitesten. Sie startet im arktischen Norden, in Grönland oder Alaska. Ihr Ziel liegt auf der anderen Seite des Globus: in der Antarktis, wo sie in Kolonien brütet.

Etwa drei Viertel aller Vogelarten sind Zugvögel. Von den Vogelarten, die in Deutschland leben, ist nur ein etwa ein Zehntel sesshaft. Alle anderen zieht es im Winter gen Süden. Würde man alle Zugrouten der Vögel auf einem Globus nachzeichnen, würde dieser unter dem dichten Streckennetz fast verschwinden.

Jedes Frühjahr kehren allein aus Afrika etwa 500 Millionen Vögel zurück, um die warmen Monate in Europa und Asien zu verbringen.

Warum Vögel wandern

Die Vögel wandern, um sich mit Nahrung zu versorgen. Vor allem die Insektenfresser zieht es dorthin, wo das Angebot üppiger ausfällt. Den Winter in Europa zu verbringen, würde für viele Arten den Hungertod bedeuten. Zu dieser Zeit schwirren und krabbeln kaum noch Insekten umher.

Wer etwa nach Westafrika zieht, findet hier ausreichend Nahrung. Warum aber bleiben die Zugvögel nicht gleich da, wenn es sich im Süden so gut lebt?

Wegen der Konkurrenz: In ihrem Winterquartier müssen sich Kranich und Konsorten den Lebensraum – und damit auch das, was auf den Tisch kommt – mit einheimischen Vogelarten teilen.

Die Vögel, die im Sommer wieder in den Norden zurückkehren, finden hier gute Bedingungen, um zu brüten und den Nachwuchs heranzuziehen. Das Klima ist mild, das Futter vorhanden. Sie pendeln nur gen Süden, um die kalten Monate zu überbrücken.

Ein Fitis auf einem dornigen Ast.

Der Fitis überwintert in Zentralafrika

Den Weg finden

Navi, Google Maps, Landkarte – Zugvögel kommen ohne derartige Hilfsmittel klar. Viele Zugvögel kehren an die Orte zurück, die sie kennen. So kann eine Rauchschwalbe etwa über Jahre zwischen dem einen Nest im Deutschland und jenem im Kongo hin und her pendeln. Sie orientieren sich am Erdmagnetfeld.

Das Sehzentrums ihres Hirns scheint so gestrickt zu sein, dass sie das Magnetfeld der Erde sehen können, vermuten Forscher wie der Biophysiker Klaus Schulten von der Universität von Illinois. Der Magnetkompass der Zugvögel ist von allen Tieren der am besten untersuchte Magnetsinn, schreiben er und seine Kollegen in einer Studie, die 2010 im European Physical Journal veröffentlicht wurde.

Nach Ansicht der Forscher nutzen die Vögel zwei Methoden, um sich zu orientieren. Zum einen können die Vögel den Neigungswinkel zwischen Erdmagnetfeld und Horizont wahrnehmen. Um diesen zu bestimmen, brauchen die Flieger aber Tageslicht. Fliegt ein Vogel gen Süden, so könne er dies etwa als einen dunklen Fleck im Sichtfeld sehen, so die Annahme.

Zudem könnten die Vögel über einen lichtunabhängigen Kompass verfügen, der im Schnabel sitzt. Diese altbewährte Theorie ist inzwischen umstritten: Im Jahr 2012 veröffentlichte ein Team um den Wissenschaftler David Keays von der Uni Wien eine Studie im Wissenschaftsmagazin Nature, die an der Theorie kratzt.

Keays und seine Gruppe hatten dafür die Schnäbel von etwa 200 Tauben untersucht. Ihr Ergebnis: Im Schnabel gebe es keine Nervenzellen, die Eisenminerale enthalten, sondern bloß weiße Blutkörperchen, die aber nicht zur Orientierung dienen könnten.

Die ersten Hypothesen über den Vogelzug

Aristoteles, einer der bekanntesten Philosophen der griechischen Antike, erhob die Vogelkunde erstmals in den Rang einer Wissenschaft, obgleich seine Hypothese aus heutiger Sicht nicht besonders wissenschaftlich anmutet: Schwalben überwinterten wie Amphibien schlafend im Schlamm am Grunde eines Sees, behauptete er.

Die Theorie der "Transmutation" besagte, dass das Rot auf der Brust von Vögeln im Winter in den Schwanz hinunterwandere – und im Sommer wieder nach oben.

Aristoteles muss zwei verschiedene Singvogelarten beobachtet haben: Zum einen das Rotkehlchen, das im Süden überwintert, dessen Brutgebiet aber in Skandinavien liegt. Und zum anderen den Rotschwanz, der auch im Sommer in Griechenland vorkommt.

Erst später wurden die Beobachtungen etwas genauer: Im 15. Jahrhundert berichteten Reisende davon, dass sich Störche auch in Afrika aufhielten, während sie in Mitteleuropa mit Abwesenheit glänzten.

Eine schlüssige Erklärung blieb aus – und so hielt man vorerst an der Theorie vom Winterschlaf der Vögel fest. Manche vermuteten sogar, die Vögel zögen zum Mond. 1702 kam der Deutsche Ferdinand Adam von Pernau auf die Idee, dass eine gesteuerte innere Unruhe die Vögel zum Wandern treibe.

Gelege eines Säbelschnäblers mit drei Eiern und einem Küken

Bei Zugvögeln reicht ein Gelege pro Jahr aus

Den Routen der Vögel auf der Spur

1884 fand in Wien der erste internationale Kongress der Vogelwissenschaftler (Ornithologen) statt. 17 Jahre später wurde die erste ornithologisch-biologische Forschungsstation der Welt gegründet, um den Vogelzug systematisch zu erfassen: die Vogelwarte Rossitten auf der Kurischen Nehrung in Ostpreußen.

Nur ein paar Jahre vorher, 1899, hatte der dänische Lehrer Hans Christian Cornelius Mortensen damit begonnen, Störche und Krähen am Bein mit Metallringen zu versehen.

In die Ringe hatte er seine Adresse und eine fortlaufende Nummer eingeritzt und bekam so Rückmeldung, wenn ein Tier an einem anderen Ort wieder aufgefunden wurde. Dadurch konnten Wissenschaftler erstmals die Zugwege der Vögel grob nachvollziehen.

Mithilfe der Daten wurde 1931 der erste Atlas des Vogelzuges herausgegeben. Die Beringungsmethode wird bis heute angewandt. Inzwischen haben Vogelkundler in Europa mehr als 120 Millionen Vögel beringt, weltweit sind es mehr als 200 Millionen.

Ein Vogel wird beringt

Metallringe geben Auskunft über die Herkunft eines Vogels

Forscher lüften das Geheimnis des Vogelzugs

Die Theorie des angeborenen Zuginstinkts, die von Pernau schon 1702 aufbrachte und die immer mehr Anhänger in Forscherkreisen fand, konnte lange nicht durch Experimente bestätigt werden. Wie konnten also die Vermutungen über genetische Steuerungen des Vogelzugs und über schnelle Selektionsvorgänge bewiesen werden? Das war nur durch Kreuzungsexperimente im großen Maßstab möglich.

An der Vogelwarte Radolfzell am Bodensee führten Wissenschaftler über Jahre hinweg ein Großexperiment mit mehr als 3000 Mönchsgrasmücken durch. Da diese Vogelart weit verbreitet ist und sowohl Nichtzieher, Kurz- und Langstreckenzieher unter ihnen vorkommen, waren Mönchsgrasmücken für die Entschlüsselung der genetischen Grundlagen des Vogelzuges besonders gut geeignet.

Messungen der Zugunruhe und Orientierungen unterschiedlicher Mönchsgrasmücken-Kreuzungen bestätigten bald die Theorie eines angeborenen Zuginstinktes. Der Zeitpunkt des Abflugs, die Dauer und Richtung des Flugs scheinen genetisch vorbestimmt zu sein.

Und noch etwas bekam die Radolfzeller Forschergruppe heraus: Vögel scheinen generell Teilzieher zu sein, die entweder stärker in Richtung Zugvogel oder in Richtung Standvogel tendieren.

Aus einer reinen Zugvogelpopulation konnte man Standvögel züchten und umgekehrt. Und das im Rekordtempo: Mönchsgrasmücken zeigen bereits nach wenigen Generationen eine starke Verhaltensänderung. Dies ist die schnellste genetisch verankerte Verhaltensänderung, die Biologen bisher bei Wirbeltieren feststellen konnten.

Mönchsgrasmücke auf einem Ast

Die Mönchsgrasmücke war das ideale Forschungsobjekt

Mit Hightech auf Nils Holgerssons Spuren

Hightech hat inzwischen auch vor der Zugvogelforschung nicht haltgemacht. Auch die Vogelforscher bedienen sich inzwischen der Radar- und Funkpeilung. Doch die Reichweite dieser Instrumente ist begrenzt, oft fliegen die Vögel aus dem Peilbereich hinaus. Die Wissenschaftler müssen den Tieren also selbst folgen.

1990 gelang der Durchbruch: Gemeinsam mit der Bundesanstalt für Naturschutz führte die Vogelwarte Radolfzell die Satellitentelemetrie in Europa ein. Dabei wird ein Objekt, dessen Bewegungen man verfolgen will, mit einem Sender ausgestattet. Die Methode wurde bereits zehn Jahre vorher bei Eisbären und Karibus getestet, aber erst jetzt waren die Minisender klein und leicht genug, um diese den Vögeln auf den Rücken zu schnallen.

Die Antenne des Senders ist permanent in Verbindung mit vier Satelliten, die in 850 Kilometern Höhe die Erde umkreisen. Bis zu 15 Ortungen sind damit am Tag möglich. Rund 2000 Ortungen können während eines Vogelzugs von Sachsen-Anhalt bis hinunter an die Südspitze Afrikas durchgeführt werden.

Vogelbein mit GPS-Sender

Mittlerweile unterstützen GPS-Sender die Vogelforscher

Quelle: SWR / WDR | Stand: 25.03.2020, 08:00 Uhr

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