Zwei Kinder in einem irakischen Flüchtlingscamp.

Menschenrechte

Flüchtlinge

Flucht und Vertreibung gibt es, seitdem es Menschen gibt. Krieg, Hunger, Umweltkatastrophen – die Gründe sind vielfältig, warum Menschen ihre Heimat verlassen.

Von Ingo Neumayer

Von biblischen Zeiten bis zum Römischen Reich

Schon in der vorchristlichen Bronze- und Eisenzeit gab es zwischen verschiedenen Stämmen Auseinandersetzungen um Jagdreviere, Siedlungsorte und Partner. Die Überlebenden des unterlegenen Stammes mussten danach ihre Heimat verlassen und sich an anderer Stelle niederlassen.

Auch in der Bibel spielen Unterdrückung und Flucht eine tragende Rolle. So wird Moses von Gott auserkoren, das Volk Israel von seinem Sklavendasein in Ägypten zu befreien, und führt sein Volk ins gelobte Land nach Kanaan. Viele Historiker vertreten die Ansicht, dass der Auszug aus Ägypten im Alten Testament auf wahren historischen Begebenheiten im 13. Jahrhundert vor Christus beruht.

Gemälde, das Moses zeigt, wie er das Volk Israel aus Ägypten führt.

Biblische Flüchtlinge: Moses und das Volk Israel

In der Antike und zur Römerzeit wurden viele Volksgruppen wegen ihres Glaubens und ihrer Kultur vertrieben. Auch das Ende des Römischen Reichs und der Beginn des Mittelalters stehen in engem Zusammenhang mit massenhaften Flüchtlingsbewegungen, oft unter dem eher verharmlosenden Begriff "Völkerwanderung" zusammengefasst.

Auf der Flucht vor den Hunnen, einem aus Zentralasien anrückenden Reitervolk, machten sich viele germanische Stämme auf den Weg nach Westen. Sie baten darum, sich im Römischen Reich niederlassen zu dürfen, was ihnen 376 nach Christus gewährt wurde.

Doch die Integration gelang nicht, es kam zu Aufständen. Immer neue Volksstämme zogen in den folgenden Jahrzehnten aus Norden und Osten ins Römische Reich, wo sie sich ein wirtschaftlich und politisch besseres Leben erhofften. Als Folge der vielfältigen, zum Teil mit Gewalt erzwungenen Völkerbewegungen zerfiel Rom in viele kleinere Reiche, in denen der Grundstein für das heutige Europa gelegt wurde.

Globalisierte Flüchtlingsbewegungen im 20. Jahrhundert

In den folgenden Jahrhunderten waren es immer wieder Kriege, die zu Flucht und Vertreibung führten. Sei es aufgrund von Territorialinteressen, religiösen Konflikten oder Rassismus. Wie zum Beispiel der Dreißigjährige Krieg oder im 20. Jahrhundert die beiden Weltkriege – der Erste und der Zweite Weltkrieg –, in deren Folge Millionen Menschen ihre Heimat verloren.

Auch Missernten waren Ursachen für Fluchtbewegungen. So machten sich Mitte des 19. Jahrhunderts nach mehreren Kartoffelmissernten und der dadurch grassierenden Hungersnot knapp zwei Millionen Iren auf den Weg nach Amerika, Australien und Großbritannien.

Seit Ende des 20. Jahrhunderts haben sich die Flüchtlingsbewegungen globalisiert. Zwar bilden kriegerische Konflikte weiterhin oftmals die Ursache, doch zunehmend spielen auch andere Gründe eine Rolle, warum Menschen ihre Heimat verlassen: Armut, Hunger, Umweltkatastrophen und fehlende Lebensperspektiven. Auch Eingriffe in die Natur, wie zum Beispiel Flussbegradigungen oder der Bau riesiger Staudämme, ziehen immer wieder Flucht nach sich.

Die westlichen Industrienationen verheißen zurzeit am meisten Sicherheit und Wohlstand und sind somit zum Ziel von Millionen Flüchtlingen aus armen und konfliktbeladenen Regionen, vor allem aus Afrika und Asien. Besonders die USA sowie die Staaten der Europäischen Union (EU) sind beliebte Ziele.

Die Flüchtlinge nehmen dafür große Strapazen und hohe finanzielle Belastungen in Kauf und riskieren oft ihr Leben – etwa bei der Überfahrt von Nordafrika durch das Mittelmeer. Und selbst wenn ihnen die Einreise gelingt, kommt es oft vor, dass sie nicht als asylsuchende Flüchtlinge anerkannt und zurück in ihre Heimat abgeschoben werden.

Eine Gruppe von Flüchtlingen zieht 1944 ihre Habseligkeiten auf Leiterwagen durch eine zerstörte Ortschaft in Ostpreußen.

Millionen Menschen verloren im Zweiten Weltkrieg ihre Heimat

Definitionen: Flüchtlinge, Asylsuchende, Migranten

Die Genfer Flüchtlingskonvention hat 1951 im Auftrag der Vereinten Nationen genau definiert, wer als Flüchtling gilt, um den Betroffenen einen rechtlichen Schutzrahmen anzubieten. Ein Flüchtling ist laut Definition eine Person, die sich außerhalb ihres Heimatstaates aufhält, da ihr dort aufgrund ihrer Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe Verfolgung droht.

Genfer Flüchtlingskonvention verabschiedet (am 28.07.1951)

WDR ZeitZeichen 28.07.2021 14:47 Min. Verfügbar bis 29.07.2099 WDR 5


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Die Staaten, die der Flüchtlingskonvention beigetreten sind, sichern Flüchtlingen eine Grundversorgung zu. Zudem steht ihnen Religionsfreiheit zu, sie können ordentliche Gerichte anrufen, ihnen wird ein Reisedokument ausgestellt und sie sollen vor Diskriminierung geschützt werden. Außerdem darf ein Flüchtling nicht in ein Land zurückgeschickt werden, in dem ihm Verfolgung droht.

Zusätzlich gibt es in manchen Ländern ein Asylrecht, auch in Deutschland. Auch dies gewährt Menschen Schutz, die in ihrem Heimatland politisch verfolgt werden. Das deutsche Asylrecht erkennt Asylbewerber allerdings nicht an, wenn sie über einen sogenannten "sicheren Drittstaat" eingereist sind. Auch muss die Verfolgung zielgerichtet und aufgrund der persönlichen Merkmale des Bewerbers erfolgen; allgemeine Notsituationen wie eine Hungersnot oder Umweltkatastrophen im Heimatland werden nicht anerkannt.

Nicht unter die Genfer Flüchtlingskonvention fallen Migranten: Menschen, die aus wirtschaftlichen Gründen ihr Heimatland verlassen oder vor Umweltkatastrophen, Kriegen oder Hunger fliehen. Die Aufnahmen von Migranten regelt jedes Land individuell, es gibt keine verbindlichen Richtlinien wie bei Flüchtlingen, obwohl beide Gruppen oft die gleichen Wege gehen.

Es gibt aber auch Situationen, in denen manche Länder Menschen aus anderen Ländern zum Arbeiten anwerben. In Deutschland wurden in den 1950er- und 1960er-Jahren gezielt so genannte Gastarbeiter aus Italien, der Türkei und Griechenland angeworben, um den Bedarf an Arbeitskräften zu decken. Als sich dann in den 1970er-Jahren die wirtschaftliche Lage verschlechterte, wurden strengere Regelungen erlassen.

Flüchtlinge aus Myanmar warten in einem provisorischen Krankenhaus auf einen Arzt.

In Myanmar wird die Karen-Volksgruppe vom Staat verfolgt

Hilfe von Staatengemeinschaften, Ländern, privaten Organisationen

Die Hilfsangebote für Flüchtlinge sind auf verschiedenen Ebenen organisiert. So wurde 1950 das Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen gegründet, das sich für die Rechte der Flüchtlinge und die Einhaltung der Genfer Konvention einsetzt und in Krisengebieten Hilfe leistet.

Die EU hat 1992 eine Generaldirektion für Humanitäre Hilfe eingerichtet und ist in nahezu allen Krisenregionen der Welt aktiv. Zudem ist die EU einer der größten Geber öffentlicher Entwicklungszusammenarbeit. Programme zur Wirtschaftsförderung, Gesundheitsverbesserung und Armutsbekämpfung sollen dazu beitragen, Gründe für eine mögliche Flucht zu reduzieren.

Auch einzelne Staaten leisten in Form von Notprogrammen und bilateralen Vereinbarungen mit Partnerländern Hilfe zur wirtschaftlichen Entwicklung. Zudem wird auf staatlicher Ebene in Form der Asylgesetzgebung der Umgang mit Flüchtlingen geregelt. So bekommt ein Asylberechtigter in Deutschland eine auf vorerst drei Jahre befristete Aufenthaltsgenehmigung sowie unter bestimmten Bedingungen Anspruch auf Sozialleistungen.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge leistet Hilfe bei der Integration von Flüchtlingen, die in Deutschland bleiben wollen, zum Beispiel durch Sprachkurse und Rechtsberatung.

Außerdem engagieren sich viele Nichtregierungsorganisationen (NGOs) in der Flüchtlingshilfe. Organisationen und Vereine wie Rotes Kreuz, Roter Halbmond, Ärzte ohne Grenzen, terre des hommes oder Cap Anamur, die sich dem Gemeinnutz verpflichtet haben, helfen in Notsituationen und versorgen Flüchtlinge vor Ort. Aufgrund ihrer schlanken Strukturen und teilweise kurzen Entscheidungswege sind NGOs oft flexibler und somit zu schnellerer Hilfe in der Lage als staatliche Stellen.

Eine Flagge weht über dem Hauptquartier des Internationalen Roten Kreuzes in Genf.

Das Rote Kreuz kümmert sich weltweit um Flüchtlinge

71 Millionen Menschen auf der Flucht

Trotz der wachsenden Hilfsangebote von verschiedenen Seiten hat sich die Lage für Flüchtlinge auch in diesem Jahrtausend nicht verbessert. Laut einem Bericht der Vereinten Nationen waren 2018 weltweit etwa 71 Millionen Menschen auf der Flucht.

Während 26 Millionen Menschen in andere Länder geflohen sind, ist die Zahl der sogenannten Binnenflüchtlinge stark angestiegen, die innerhalb ihres Heimatlandes zur Flucht gezwungen werden. Binnenflüchtlinge machen mit 41 Millionen inzwischen den größten Anteil der Menschen aus, die ihre Heimat verloren haben.

Eine Frau steht in einem sudanesischen Flüchtlingslager vor Strohhütten, die mit Plastikplanen abgedeckt sind.

Im Sudan leben Millionen Flüchtlinge in Lagern

(Erstveröffentlichung: 2009. Letzte Aktualisierung: 28.04.2020)

Quelle: WDR

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