Die Fw-61 mit einem Flugzeugrumpf und zwei Auslegern mit Rotoren

Hubschrauber

Henrich Focke

Einer der bedeutendsten Flugpioniere der Welt stammt aus Bremen. Henrich Focke baute die ersten Motorflugzeuge und wurde "Vater des Hubschraubers" bekannt.

Von Annika Zeitler

Erste Luftsprünge

Henrich Focke wird am 8. Oktober 1890 geboren. Schon als Gymnasiast beschäftigt er sich mit der Flugtechnik. Focke baut Flugmodelle, mit denen er am Weserufer erste Luftsprünge macht.

Seine ersten Flugversuche unternimmt er mit einem Gleiter eigener Konstruktion, später fliegt er auf dem Exerzierplatz Neuenlander Feld, wo sich noch heute der Bremer Flughafen befindet.

In einem kleinen Schuppen baut Focke seine ersten Luftfahrzeuge – 1912 klappt der erste Motorflug. Sein Freund Georg Wulf hilft ihm bei der Entwicklung der Flugzeuge. Die Fertigstellung des ersten Modells der beiden Flugzeugkonstrukteure wird jedoch durch den Beginn des Ersten Weltkriegs unterbunden.

An der Technischen Hochschule in Hannover studiert Henrich Focke Maschinenbau und schließt sein Studium 1920 mit dem Diplom ab. Zunächst findet er als Konstrukteur für Wassergasanlagen eine Anstellung bei den Francke-Werken in Bremen. Dann gründet er mit seinem Freund die "Focke-Wulf Flugzeugbau AG" in Bremen.

Historische Aufnahme: Henrich Focke hält ein Hubschraubermodell in der Hand

Pionier der Luftfahrt

Von Flugzeugen zu Hubschraubern

Das erste Kleinverkehrsflugzeug seiner Firma geht als frühestes bekanntes Rettungsflugzeug in die Geschichte ein. Während eines Unwetters mit starken Gewitterstürmen wird ein Verletzter von der Insel Wangerooge mit dieser Maschine in ein Bremer Krankenhaus geflogen.

Die Focke-Wulf A16 geht 1924 in Serie und wird von vielen Fluggesellschaften erfolgreich eingesetzt. Es folgen diverse Konstruktionen von Kleinflugzeugen: Größere Stückzahlen erreichen in den 1930er-Jahren die Schulflugzeuge "Stieglitz", "Stößer", "Weihe", aber auch das zweimotorige Jagdflugzeug "Falke". Bis 1933 entstehen in der Flugzeugfirma etwa 140 Flugzeuge verschiedener Typen.

Auf Druck der Reichsregierung übernimmt Focke-Wulf das Berliner "Albatros Flugzeugwerk". Das Unternehmen wird zu einem wehrwichtigen Großbetrieb. Aber Henrich Focke weigert sich, für die Nationalsozialisten Kampfflugzeuge in Großserie zu bauen und wird deshalb aus der Firma gedrängt. Er spezialisiert sich auf die Entwicklung von Hubschraubern.

Henrich Focke übernimmt die Lizenz zum Bauen der Cierva-Autogiros: eine Mischung aus Flugzeug und Hubschrauber, die aber nur begrenzt einsetzbar sind. Bei Start und Landung brauchen sie noch lange Strecken und außerdem können sie nicht auf der Stelle schweben.

Traghubschrauber mit zwei Tragflächen  und vier starren Rotorblättern

De la Ciervas Autogiro

Eine Legende lernt fliegen

Mitte der 1930er-Jahre gelingt dem deutschen Konstrukteur schließlich der Durchbruch: Am 26. Juni 1936 hebt die Fw-61 mit Testpilot Ewald Rohlfs zum ersten Mal ab. Es ist der erste Hubschrauber der Welt, der allein und ohne Hilfsmittel senkrecht starten kann und sich einige Minuten in der Luft hält.

Die Fw-61 ist eine kuriose Flugmaschine mit einem Flugzeugrumpf. Links und rechts des Rumpfes sind die Rotoren angeordnet, die sich gegenläufig drehen und für den nötigen Auftrieb sorgen.

Der kleine Propeller erfüllt nur den Zweck, den Motor zu kühlen. Flugwinkel und Flugneigung der Fw-61 werden über die Neigung der Rotorblätter durch den Piloten gesteuert.

Nach dem Erstflug kommen bedeutende Luftfahrtpioniere wie der Amerikaner Charles Lindbergh und der Russe Igor Sikorsky nach Bremen, um das technische Wunderwerk zu studieren. Die Fw-61 stellt mit mehr als 109 Kilometern einen neuen Hubschrauber-Langstreckenweltrekord auf.

Bei einer Flugdauer von einer Stunde und 20 Minuten schafft der Hubschrauber eine Höhe von 2439 Metern. Mit der Fw-61 beginnt ein neuer Abschnitt in der Luftfahrtgeschichte.

Die Firma Focke-Achgelis im Zweiten Weltkrieg

Die Focke-Wulf-Albatros-Werke entwickeln sich zu einem wehrwichtigen Großbetrieb, so dass sich Henrich Focke in seiner Arbeit oft eingeschränkt fühlt. Zusammen mit dem deutschen Kunstflugmeister Gerd Achgelis gründet er deshalb 1937 ein Unternehmen am Standort der alten Margarinefabrik in Hoykenkamp bei Bremen.

Für seine Erfolge verleiht ihm der Bremer Senat den Professortitel und Focke unterrichtet an der Technischen Hochschule in Bremen. 1938 beginnt er mit dem Bau der "Hornisse" – einem Hubschrauber, der sowohl zivil als auch militärisch genutzt werden kann.

Er wird mit einem 800-PS-Motor ausgerüstet und kann eine Last von 1000 Kilogramm tragen. Der erste Prototyp steht schon ein Jahr später vor der Montagewerkstatt.

Mit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs bekommt Focke vom Reichsluftfahrtministerium die Anweisung, verstärkt an einer Version eines militärischen Hubschraubers zu arbeiten. Die Fa 223, auch "Drache" genannt, hat erstmals eine geschlossene Kanzel und soll für Transporte, zur U-Boot-Jagd sowie zur Rettung und Aufklärung eingesetzt werden.

Hubschrauber 'Drache' mit zwei Auslegern mit Rotoren und geschlossener Kanzel

"Drache" – der erste Militärhubschrauber

Wegen laufender Bombardierungen werden aber nur 20 Maschinen fertiggestellt. Nach Kriegsende finden die Alliierten noch zwei flugfähige Hubschrauber.

Einer geht zerlegt in die USA, der andere wird als erster Hubschrauber über den Kanal nach England geflogen. Die Fa 223 ist jahrelang der größte, tragfähigste und schnellste Hubschrauber weltweit.

Nach dem Krieg ins Ausland

Fockes Werk wird von französischen Alliierten enteignet und er als Kriegsgefangener nach Paris gebracht. Als beratender Ingenieur arbeitet er dann in Frankreich an neuen Hubschrauberprojekten. Unter anderem entwickelt er das Ur-Muster für die später erfolgreiche "Alouette" – einen Beobachtungshubschrauber mit einem Turbinentriebwerk, für bis zu vier Passagiere.

Nach Zwischenstationen als Schnellhubschrauber-Konstrukteur in Frankreich, Brasilien und in den Niederlanden kehrt Henrich Focke nach Deutschland in seinen Geburtsort Bremen zurück.

Der Bremer Flughafens im Jahr 1949 mit einer großen Abfertigungshalle, dahinter beginnt der Flugplatz

Bremer Flughafen 1949

Mit dem Automobilhersteller Borgward entwickelt er den Reisehubschrauber "Kolibri", der den Verkehr von den Straßen nehmen und schneller als ein Auto sein sollte – also ein Hubschrauber für den Privatmann.

Der erste deutsche Nachkriegshubschrauber geht aber nicht in Serie, da der Borgward-Konzern wirtschaftliche Schwierigkeiten hat und schließlich Konkurs anmelden muss. Außerdem ist die deutsche Werkstoffindustrie noch nicht in der Lage, Einzelstücke für den "Kolibri" zu liefern.

Fockes Windkanal

Mit 70 Jahren baut Focke mit Hilfe seiner Frau und seiner Söhne einen Windkanal. Das flugtechnische Labor entwirft er nach dem Vorbild seiner im Krieg zerstörten Anlage. Er verbringt fast jeden Tag in seinem neuen Windkanal, um so viel Zeit wie nur irgend möglich den offenen Fragen der Aerodynamik und neuen Erkenntnissen zu widmen.

Fockes Hilfsmittel sind dünnes Sperrholz, Ofenrohre, Gardinen, Küchenwaagen, Teedosen, Bindfaden und Draht. Seine Berechnungen macht er ganz ohne Computer. Mit Motor und Propeller werden hinter dem Sperrholz Windgeschwindigkeiten von bis zu 60 Kilometern pro Stunde erzeugt.

Die Küchenwaagen dienen zum Messen der im Windkanal wirkenden Kräfte, Ofenrohre lenken und Gardinen entwirbeln den Luftstrom. Bis 1975 nutzt Henrich Focke seinen Windkanal. Er stirbt am 25. Februar 1979.

Erst 1997 wird Fockes Windkanal entdeckt. Er ist exakt in dem Zustand, wie Focke ihn Mitte der 1970er Jahre verlassen hat. Fockes Zeichenbesteck und sein Rechenschieber liegen noch so auf dem Schreibtisch, als wollte er am nächsten Tag seine begonnenen Arbeiten fortsetzen.

Heute können Schulen und Hochschulen in seinem Windkanal wissenschaftliche Versuche unternehmen.

Dank Fockes Arbeiten entwickelte sich Bremen zu einem der wichtigsten Standorte der europäischen Luft- und Raumfahrtindustrie. Diese bietet heute in den aus Focke-Wulf hervorgegangenen Firmen mehreren tausend Menschen Arbeitsplätze.

(Erstveröffentlichung 2007. Letzte Aktualisierung 22.10.2019)

Quelle: WDR

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