Mit einer gewaltigen Bugwelle rutscht ein Floß durch Europas längste Floßgasse

Kanäle

Wozu gibt es Rutschen im Kanal?

Manche Kanäle haben eingebaute Rutschen für Flöße. Warum?

Von Bärbel Heidenreich

Die Spediteure des Mittelalters waren die Flößer. Sie transportierten nicht nur das Holz aus waldreichen Gegenden, sondern auch Waren wie Salz, Bier und Handwerkserzeugnisse auf Flüssen und Kanälen. Die Flößerei war noch bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein wichtiger Wirtschaftszweig.

Doch in den 1920er-Jahren wurde an der Isar plötzlich die Existenz der Flößer bedroht. Die Wasserkraft der Isar sollte zur Gewinnung von Strom genutzt werden. Dafür benötigte man aber eine ausreichende Fallhöhe für das Wasser, die natürlicherweise dort nicht vorhanden war.

Der Ingenieur Oskar von Miller, der 1884 in München Deutschlands erstes Elektrizitätswerk gebaut hatte, machte den Vorschlag, an der Isar einen "Werkkanal" mit Schleusen zu errichten. Auf diese Weise war eine ausreichende Fallhöhe für die Nutzung der Wasserkraft zu erreichen.

Doch damit hätte man den Flößereien die Existenzgrundlage genommen. Die Isar hätten die Flößer nicht mehr nutzen können, weil durch den abgezweigten Kanal der Wasserstand zu niedrig gewesen wäre. Auf dem Werkkanal hätte das auch nicht geklappt. Er hätte ein derartig starkes Gefälle bekommen, dass ein Floß nicht sicher manövrierbar gewesen wäre.

Die Kraftwerksbetreiber erhielten folglich die Auflage, dass sie nur dann den Betrieb aufnehmen dürften, wenn sie die Floßfahrt nicht behindern.

So baute man Rutschen, sogenannte Floßgassen, um die Höhenunterschiede sicher zu bewältigen. Auf den Floßgassen brausten die Flöße mit 30 bis 40 Kilometern pro Stunde dahin. Die größte der vielen Rutschen ist die mit 360 Metern "längste Floßgasse Europas" am Kraftwerk Mühltal an der Isar. Sie überwindet fast 18 Meter Höhenunterschied.

In Wolfratshausen und Arzbach gibt es bis heute drei Flößereien. Wer eine Floßfahrt selbst erleben möchte, kann eine mehrstündige Tour buchen. Die Fahrt führt dabei auch über die Rutschen.

Jedes Floß, 18 Meter lang, bis zu 6,80 Meter breit, bestehend aus 18 Fichtenstämmen, ist bis zu 20 Tonnen schwer und verfügt über feste Aufbauten: eine "Bühne" mit den Sitzen in der Floßmitte und eine Umkleidekabine. Bis zu 60 Personen haben auf einem Floß Platz.

Die Reise endet isarabwärts in München-Thalkirchen. Die Flößer nehmen dort die Stämme auseinander und transportieren sie über Land zum Ausgangspunkt zurück. Etwa 45 Minuten dauert das Zerlegen, eine weitere Stunde die Rückfahrt. Die Gefährte stromaufwärts zu schleppen sei unrentabel, sagen die Flößer.

Seit 2014 gehört die Flößerei in Deutschland zum immateriellen Weltkulturerbe.

(Erstveröffentlichung 2007. Letzte Aktualisierung 14.03.2022)

Quelle: WDR

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