Im "Nazi-Dorf"

Planet Wissen 22.08.2019 03:07 Min. Verfügbar bis 22.08.2024 SWR

Extremisten

Geistige Unruhestiftung: Interview mit Bernd Wagner

Der Kriminalist Bernd Wagner ist Gründer des Projektes "Exit Deutschland", das Neonazis beim Ausstieg aus der rechten Szene hilft. Wir haben mit ihm über seine Einschätzung der beiden Protagonisten im Film "Im Nazi-Dorf" gesprochen.

Von Frank Drescher

Planet Wissen: Soll man, wie der Reporter im Film "Im Nazi-Dorf" das vorlebt, mit Nazis reden? Viele sagen ja: Man muss sie ausgrenzen.

Bernd Wagner: Die Ausgrenzungstheorie halte ich nicht für zielführend. Da, wo Möglichkeiten bestehen, mit Nazis zu reden, sollte man das tun. Voraussetzung ist natürlich, einen eigenen klaren Wertestandpunkt zu haben. Man muss argumentativ was in der Tasche haben, sonst funktioniert das nicht.

Im Film empfindet der Reporter nach dem ersten Gespräch mit dem Obernazi wenig Sympathie für ihn. Kennen Sie dieses Gefühl aus Ihrer Arbeit?

Das kenne ich auch. Ich habe recht viele Rechtsextremisten in meinem Leben kennengelernt. Es gibt sehr unangenehme Menschen in dieser Szene, aber es gibt auch viele, die angenehm sind.

Doch es ist nicht Sympathie oder Antipathie entscheidend, sondern: Was sind die Inhalte? Was ist die politische Schlussfolgerung für die Leute, und wie würden sie sich politisch, aber auch im sozialen Alltag verhalten? Und daran muss man sie messen.

Der Obernazi hat im Film Schwierigkeiten, die Frage "Siehst Du Dich selber als Neonazi" klar zu beantworten. Wie typisch ist das für Extremisten allgemein, dass sie sich selbst gar nicht als Extremisten empfinden?

Es geht nicht darum, dass sie sich als Extremist identifizieren, sondern, was sie sich vorstellen zu sein. Das ist eine andere Kategorie. Die Fremdzuschreibung "Nazi" ist natürlich sehr hölzern, sehr etikettenhaft und in der Alltagsartikulation sehr schlicht.

Da spielt der Mann auch mit Ironie und sagt: Alles, was sich im Sinne eines von ihm empfundenen Deutschseins entwickelt, würde gleich von der Außenwelt als Nazitum abqualifiziert. Er spielt mit dem sehr hölzernen und einseitigen Nazibegriff, der von außen auf die Leute eingeht.

Hier sollte man auch aufpassen, dass man nicht mit Etiketten hantiert, sondern guckt: Was ist da eigentlich ideologisch, politisch, weltanschaulich, aber auch sozialanalytisch dahinter?

Portraitaufnahme von Bernd Wagner.

Bernd Wagner

Sie sagen, Sie wollen bei Extremisten für "geistige Unruhe" sorgen. Was heißt das?

Ich versuche, die ideologische Debatte zu führen und dann durch das Aufzeigen von Widersprüchen und offenen Enden, die im weltanschaulichen Vortrag des anderen auftreten, zum Nachdenken anzuregen, was dann natürlich geistige Unruhe darstellt.

Es gibt Fragen zum Beispiel der Vernichtungslogik: Irgendwann könnte ja der theoretische, für uns nicht sinnvoll erscheinende und auch abzulehnende Fall der Machtübernahme von Neonazis anstehen. Dann stellt sich die Frage: Wie geht man mit seinen Feinden um, und wie weit geht man dann? Sperrt man sie ein? Tötet man sie? Was würde er mit Familienangehörigen machen, die in Opposition zu ihm stehen würden?

Solche Fragen. Da kann man gezielt eingreifen, an das Moralbewusstsein anknüpfen und versuchen, die Szenarien herauszubekommen, die sich in den Köpfen dieser Leute abspielen.

Ist es dem Reporter gelungen, bei dem Extremisten für geistige Unruhe zu sorgen?

In diesem Fall ist es nicht gelungen. Wenn man sich dort die Szenerie ansieht, ist klar, dass die Rollen verteilt sind. Der Journalist ist als Journalist mit Fernsehkamera vor Ort gewesen. Der Rechtsextremist hat sich darauf eingestellt. Er hat dieses Schauspiel mitgemacht und versucht, durch zum Teil subtile und auch sehr offene Ironie der Sache auch für sich etwas abzugewinnen. Es war ein gutes Schauspiel von beiden Seiten. Das ist natürlich nicht gemeint, wenn ich sage: Für geistige Unruhe sorgen. Das ist eine Medien-Aufführung gewesen.

Aber als der Reporter ihm entgegenhält, "Du hast doch so viel Ahnung", räumt der Nazi doch auf einmal ein: "Ich habe keine Ahnung. Ich bin dazu zu dämlich."

Das ist reine Ironie. Er weiß schon sehr gut Bescheid aus seiner Sicht. Er kokettiert auch mit seiner Biographie, auch damit, dass er möglicherweise sich selbst ins intellektuelle Aus geschossen hat oder geraten ist, indem er nicht studierte.

Gleichsam weiß er aber, dass er genug weiß, um überzeugt zu sein. Den einzigen Satz, den ich ihm unbesehen abkaufe, ist: "Wenn man sie kennt, kann man sie nicht mehr hassen." Das ist ein Gedankengang, der oftmals auftritt und auch einen Realitätsgehalt aufweist. Ich denke, da ist ein Stück Ehrlichkeit dabei gewesen. Der Rest war Ironie.

Was macht Sie da so sicher, dass das meiste nicht ernst gemeint war?

Es ist der Duktus des Sprechens beispielsweise, auch die Art der Formeln, die verwendet werden. Das ist für mich nicht das erste Mal, dass ich so etwas höre. Man kokettiert mit der Art von Interpretationen seiner selbst. Nun kann ich zwar nicht in den Kopf des Mannes hineinsehen, aber ich hege zumindest ernste Zweifel daran, dass das eine ehrliche Einsicht war.

Kennen Sie den Mann denn aus Ihrer Arbeit?

Den Mann habe ich persönlich nicht kennengelernt, gleichwohl kenne ich diese Art von Persönlichkeitstypus. Der ist nicht sehr selten, und da passiert es häufig, dass mit dem Stilmittel der Ironie Kommunikation erfolgt. Die Haltung muss aber nicht unverrückbar sein. Auch das habe ich erlebt. Deshalb ist jedes Gespräch sinnvoll, das nicht von Ablehnung und Hass gekennzeichnet wird.

Quelle: SWR | Stand: 19.09.2018, 17:00 Uhr

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