Blick in die Mechanische Werkstatt von Krupp

Kaiser Wilhelm II.

Industrie im Kaiserreich: Vom Agrarstaat zum Global Player

Die industrielle Revolution verändert den einstigen Agrarstaat Deutschland von Grund auf. 1885 haben erstmals mehr Menschen einen Job in der Industrie als in der Landwirtschaft.

Von Henning Hooss

Besonders die Erfindungen des Automobils, der Luftschiffe und der Ausbau des Eisenbahnnetzes entfesseln eine eigene Dynamik. Auch durch die Förderung der Wissenschaften und eine enorm erhöhte Stahl- und Eisenproduktion wird Deutschland binnen weniger Jahrzehnte zu einer hochmodernen Wirtschaftsmacht – in einigen (wenigen) Feldern ist das Kaiserreich gar Weltmarktführer.

Größte Industrienation Europas

Bis zum Ersten Weltkrieg entwickelte sich Deutschland zur größten Industrienation Europas: Sein Anteil an der Weltindustrieproduktion lag bei rund 15 Prozent, ein Prozent mehr als der britische Anteil. Wirtschaftsmacht Nummer eins waren aber unangefochten die USA mit einem Drittel Anteil an der Weltindustrieproduktion.

Aus der von Großbritannien zur Kennzeichnung von Waren vermeintlich minderer Qualität eingeführten Herkunftsbezeichnung "Made in Germany" war nach und nach ein Qualitätsnachweis geworden.

Automobil

Als Carl Benz am 3. Juli 1886 erstmals mit seinem Motorwagen laut krachend und stinkend eine Strecke von etwa 100 Metern durch Mannheim fuhr, war dies die Geburtsstunde des Automobils. Benz setzte als Erster einen Verbrennungsmotor ein. Das Automobil "als Gefährt der Zukunft" verdrängte mehr und mehr das Pferd.

Die "Motor-Kutsche" oder das "automobile Straßenfahrzeug" ersetzten die eleganten Vierspänner, die Droschken verschwanden aus dem Straßenbild. Der 1899 gegründete erste Automobilklub hatte zunächst nur 83 Mitglieder, durfte sich bald aber mit dem Zusatz "kaiserlich" schmücken.

Carl Benz, Autopionier (Geburtstag 25.11.1844)

WDR ZeitZeichen 25.11.2019 14:35 Min. Verfügbar bis 22.11.2099 WDR 5


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Die Konstruktion der ersten "Hexenkarren" lehnte sich erst eng an die früheren Pferde-Fuhrwerke an. Mit zwei bis sechs PS fuhren um die Jahrhundertwende die ersten Motorwagen auf deutschen Straßen, mit 4000 bis 7000 Goldmark durchaus teuer in der Anschaffung.

Erst die von Henry Ford begründete Fließband-Produktion machten die Fahrzeuge für breitere Schichten erschwinglich. Doch zunächst herrschte nicht nur Technikbegeisterung.

Viele Menschen waren von den Automobilen irritiert, Kinder warfen Steine, Bauern legten Baumstämme quer über die Straße. Doch der Siegeszug des Autos war nicht mehr zu stoppen.

Karl Benz mit Gattin Berta am Steuer seines Kraftwagens

Karl und Berta Benz im Kraftwagen Viktoria

Zeppelin

Größte Aufmerksamkeit erregten in Deutschland um die Jahrhundertwende die Luftschiffe des Grafen Ferdinand von Zeppelin. Letztlich war der Graf aber nur einer von vielen Entwicklern innerhalb der Luftschifffahrt, verstand sich aber als Unternehmer hervorragend zu verkaufen.

Wegen einer Serie von Unfällen wurde er im Volksmund "der Narr vom Bodensee" genannt. Überliefert ist etwa ein Zitat der Diplomatengattin und Jugendfreundin Baronin Hildegard von Spitzemberg, welcher undenkbar erschien "dass dieser konfuse, sich ewig verheddernde Mann ein Problem dieser Art sollte lösen können". Selbst der Kaiser war von den Aktivitäten des Grafen hin- und hergerissen.

So schwankte sein Urteil über Zeppelin zwischen "Dümmster aller Süddeutscher" bis "größter Deutscher des Jahrhunderts". Doch der Graf zeigte sich immer unbeirrt: "Für mich steht naturgemäß niemand ein, weil keiner den Sprung ins Dunkel wagen will. Aber mein Ziel ist klar und meine Berechnungen sind richtig. "

Nach mehreren Rückschlägen gelang Zeppelin mit seinem dritten Luftschiff LZ 3 der Durchbruch. Im Juli 1900 hob der "Zeppelin" ab, nur 18 Minuten dauerte die Fahrt, die die Öffentlichkeit mit Trubel und höchster Aufmerksamkeit quittierte.

Ein wahrer Publikumsmagnet waren nicht zuletzt die auf dem 1909 eröffneten Flugplatz Johannisthal bei Berlin abgehaltenen Flugwochen.

Für die Beherrschung des Luftraumes interessierte sich jedoch nicht nur die breite Bevölkerung, sondern auch die deutsche Armee, die – obwohl zunächst eine Förderung ablehnend – den Vorsprung des französischen Militärs in der Luft so wettmachen wollte. Denn Frankreich betrieb bei Paris schon länger eine Militärluftschifferschule.

Ein Zeppelin fliegt über einer Stadt.

Im Jahr 1900 flog erstmals ein Zeppelin am Himmel

Industrie und Banken

Mit der 1871 zusätzlich zu den bereits bestehenden Währungen eingeführten Goldmark gab es deutschlandweit erstmals ein einheitliches Zahlungsmittel.

Dadurch wurde ein deutscher Kapitalmarkt überhaupt erst möglich, der zusätzlich von Milliarden Francs-Zahlungen durch Frankreich belebt wurde, die nach dem Deutsch-Französischen Krieg 1871 als Entschädigung zu zahlen waren.

Es entstanden große Geschäftsbanken, die den Unternehmen das für Investitionen erforderliche Geld langfristig zur Verfügung stellten und die Bildung großer Konzerne und Kartelle förderten.

Vor allem die 1870 von Georg von Siemens gegründete Deutsche Bank sollte mit ihren Filialen auf allen Erdteilen die deutsche Außenwirtschaft unterstützen.

Deutsche Bank gegründet (am 10.3.1870)

WDR ZeitZeichen 10.03.2020 14:56 Min. Verfügbar bis 08.03.2090 WDR 5


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Die Deutsche Bank brachte unter anderem die Aktien von AEG, Siemens und Mannesmann an die Börse und gewann damit großen Einfluss auf die Industrie. Schon 1914 war sie das größte Geldinstitut der Welt.

In der sogenannten Gründerzeit entstanden zahlreiche neue Aktiengesellschaften, der Aktienhandel florierte in bis dahin unbekanntem Ausmaß, Aktienkurse stiegen scheinbar unbegrenzt, das Spekulationsfieber erfasste das Bürgertum. Gleichzeitig trieben Spekulanten Bodenpreise und Mieten in die Höhe.

Zeichnung vom 19. Jahrhundert, Kunden in der Staatsbank

Kunden in der deutschen Reichsbank

Gerade die beiden letzten Jahrzehnte vor dem Ersten Weltkrieg standen in Deutschland im Zeichen wirtschaftlicher Hochkonjunktur. Es entwickelten sich neue industrielle Kernsektoren: Maschinenbau sowie vor allem Großchemie und Elektroindustrie. Jede zweite elektrische Maschine und Installation weltweit stammte 1914 etwa von AEG oder Siemens.

Außenpolitik und Rüstung

Das Streben nach Weltmacht und Prestige sowie der Erwerb von Kolonien setzten um die Jahrhundertwende ein internationales Wettrüsten in Gang. Nach der Entlassung von Reichskanzler Otto von Bismarck 1890 strebte das Kaiserreich unter dem "persönlichen Regiment" Wilhelms II. ebenfalls nach Weltgeltung.

Seine sprunghafte Außenpolitik und seine mit viel Herzblut betriebene Aufrüstung der Flotte führten schließlich zum Schulterschluss von Frankreich, England und Russland. Kurz vor dem Ersten Weltkrieg sah sich somit das Deutsche Reich von Feinden "eingekreist".

Zum größten Industrieunternehmen in Deutschland entwickelte sich im Kaiserreich der Krupp-Konzern, der 1914 rund 80.000 Mitarbeiter beschäftigte. Die Gussstahlfabrik von Krupp in Essen war mit 40.000 Beschäftigten die größte weltweit und die bedeutendste Rüstungsschmiede des Reiches.

Arbeiter bei der Herstellung von Kanonen in der Krupp

Krupp-Gussstahlfabrik in Essen

Im Kaiserreich heizten zudem nationale Verbände die Aufrüstung an. Sie sahen darin Chance und Voraussetzung für den Erwerb neuer überseeischer Gebiete.

Im Zentrum des Rüstungswettlaufs stand dabei die Flotte, mit der das Kaiserreich unter dem Staatssekretär im Reichsmarineamt, Alfred von Tirpitz, zur zweitstärksten Seemacht nach Großbritannien aufstieg.

(Erstveröffentlichung 2014, letzte Aktualisierung 31.03.2017)

Quelle: SWR

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