Ein Junge von hinten

Epilepsie

Epilepsie bei Kindern und Jugendlichen

Kinder können von verschiedenen Formen der Epilepsie betroffen sein. Die meisten haben trotz der Diagnose eine problemlose Kindheit. Zudem haben viele Arten eine gute Prognose: Im Jugendalter verringern sich die Anfälle allmählich.

Von Katrin Ewert

Anfälle sind bei Kindern komplexer

Schmatzen, mit den Armen rudern, ins Leere schauen – was bei Erwachsenen häufig eindeutige Anzeichen für Epilepsie sind, können bei Kindern normale Bewegungen oder ein Tagtraum sein. Eltern erkennen das Krankheitsbild bei ihrem Sohn oder ihrer Tochter daher meist nicht sofort.

Insbesondere bei Babys ist es schwer, gewöhnliches Zappeln von einem epileptischen Anfall zu unterscheiden. "Im ersten Lebensjahr beginnt die Erkrankung jedoch am häufigsten", sagt Bernhard Steinhoff, Ärztlicher Direktor am Epilepsiezentrum Kehl-Kork. Insgesamt betrachtet sind Epilepsien bei Kindern jedoch recht selten. Rund 0,5 Prozent der Kinder und Jugendlichen bis 18 Jahren sind in Deutschland betroffen.

Die Ursachen sind ähnlich vielfältig wie bei Erwachsenen. In manchen Fällen lösen Schädigungen im Gehirn die Anfälle aus. Diese können angeboren sein, während der Geburt oder der ersten Lebensjahre entstehen. Bei einigen Kindern macht der Arzt eine Stoffwechselstörung als Ursache ausfindig. Es gibt zwei mögliche Arten:

Aminosäuren-Stoffwechselstörung: Dabei kann der Körper die Bausteine der Proteine, die sogenannten Aminosäuren, nicht richtig verarbeiten. Das Gehirn ist dadurch erregbarer und es kann zu epileptischen Anfällen kommen.
Zucker-Stoffwechselstörung: Hier schafft es der Körper nicht, genügend Zucker zum Gehirn zu transportieren. Es entsteht ein Energiemangel im Gehirn, der die Anfälle auslösen kann.

Und: Bei vielen der jungen Patienten kann der Arzt wie bei Erwachsenen keine Ursache finden.

"Die Epilepsieformen sind bei Kindern und Jugendlichen noch komplexer als bei Erwachsenen", sagt Spezialist Steinhoff. Die Kinder können beispielsweise kurz abwesend sein (sogenannte Absencen). Es kann sich lediglich ein Bein oder Arm bewegen (motorischer Anfall) oder der gesamte Körper krampft und zuckt (tonisch-klonischer Anfall). Darüber hinaus gibt es bei Kindern die folgenden Sonderformen:

West-Syndrom: Das ist eine Form der Epilepsie, die sich bereits im Säuglingsalter zeigt. Die Anfälle treten häufig beim Einschlafen oder nach dem Aufwachen auf. Die Muskulatur des Kindes verkrampft sich, woraufhin sich der Körper beugt und streckt. Die Anfälle dauern meist nur einige Sekunden, können sich aber in kurzen Abständen wiederholen.
Schulkind-Absence: Die Form zeigt sich meist zuerst bei Kindern im Alter von fünf bis acht Jahren. Dabei hört das Kind kurz auf, zu spielen, zu reden oder zu laufen und ist abwesend. Danach macht es weiter als wäre nichts passiert.
Rolando-Epilepsie: Die Rolando-Epilepsie macht sich meist zwischen dem fünften und zehnten Lebensjahr bemerkbar. Auch die Anfälle dieser Epilepsie-Art treten meist auf, wenn das Kind einschläft oder aufwacht. Dabei zuckt häufig eine Gesichtshälfte, seltener auch ein Arm oder ein Bein. Manchmal verspürt das Kind ein Kribbeln oder ein Taubheitsgefühl in der betreffenden Körperzone. Auch Sprech- und Schluckstörungen sind möglich.
Juvenile myoklonische Epilepsie: Diese Form tritt erstmals in der Pubertät auf. Die Muskeln der Jugendlichen zucken und die Arme bewegen sich unkontrolliert. Auch die Beine können dabei einknicken. Meist kommt es morgens nach dem Aufwachen zu den Anfällen.
Primäre Lese-Epilepsie: Anders als der Name es vermuten mag, beginnt diese Form meist erst im Alter von 17 bis 18 Jahren. Die Anfälle treten auf, wenn der Jugendliche laut oder leise liest. Dabei zucken die Zunge, die Lippen und der Kiefer.

Kinder können auch bei zu hoher Körpertemperatur einen Anfall bekommen. Dabei verliert der Junge oder das Mädchen das Bewusstsein und die Muskeln zucken oder erschlaffen. In der Regel handelt es sich hier jedoch nicht um einen epileptischen Anfall, sondern um einen Fieberkrampf. Die Eltern sollten mit ihrem Sohn oder ihrer Tochter zur Abklärung zum Kinderarzt fahren.

Ein Mädchen sitzt auf einer Treppe neben ihrem Tornister

Die Rolando-Epilepsie tritt meist zuerst im Grundschulalter auf

Medikamente helfen den meisten Kindern

"Diagnose und Behandlung sind bei Kindern ähnlich wie bei Erwachsenen", sagt Neurologe Steinhoff. Allerdings warten die Ärzte in der Regel erst ab, bis mehrere Anfälle aufgetreten sind. So wollen sie ausschließen, dass es sich um einmalige Anfälle handelt und sie den kleinen Patienten unnötig Medikamente verschreiben. Auch bei leichten Aussetzern sind keine Arzneimittel notwendig.

Ungefähr sechs von zehn Kindern sprechen direkt auf das erste Medikament an. Bei einem von zehn hilft der Wechsel auf ein zweites Medikament. Drei von zehn Kindern haben trotz der Arzneimittel weitere Anfälle.

Vermutet der Arzt eine Stoffwechselstörung hinter den Störangriffen, schlägt er häufig vor, die Ernährung des Kindes umzustellen. Wenn der Körper die Aminosäuren nicht richtig verarbeitet, ist es sinnvoll, bestimmte Aminosäuren wegzulassen und andere zuzuführen.

Ist eine Zucker-Stoffwechselstörung der Auslöser, empfiehlt der Mediziner eine ketogene Diät. Dabei isst der Junge oder das Mädchen wenig Kohlenhydrate und stattdessen mehr Fette. Das Gehirn verschafft sich so genügend Energie.

Die Hälfte der Kinder haben durch die Diät deutlich weniger Anfälle. Vielen der jungen Patienten fällt es jedoch schwer, die Ernährungsweise durchzuhalten. Und: Weil Forscher die Langzeiteffekte der Diät noch nicht kennen, sollten Kinder nach jetzigem Stand maximal zwei Jahre lang ketogen essen.

Ein Kind hält eine Medikamentendose in der einen und zwei Tabletten in der anderen Hand

Sieben von zehn Kindern sind durch Medikamente anfallsfrei

Kindheit mit Epilepsie

Zwar diagnostizieren und behandeln Ärzte Kinder ähnlich wie Erwachsene, die Erkrankung hat aber einen anderen Einfluss auf das Leben der Kleinen. Für viele Kinder ist es zu Beginn der Epilepsie schwer zu verstehen, dass nur sie die Anfälle bekommen und ihre Spielkameraden nicht.

Einige Kinder haben Angst davor, einen weiteren Anfall zu erleiden. Sie sind unruhig und können sich schwer konzentrieren. Bei anderen sinkt das Selbstwertgefühl. Auch für die Familie ist die Erkrankung zu Beginn oft eine große Belastung.

Im Laufe der Zeit lernen die meisten Kinder aber, mit der Epilepsie umzugehen – auch dann, wenn Medikamente nicht wirken und sie weiter Anfälle erleiden. In der Regel gehen die Kinder in den normalen Kindergarten und in die Regelschule. Eltern sollten den Erziehern und Lehrern die Erkrankung jedoch nicht verschweigen, sondern sie darüber aufklären und beschreiben, was sie im Notfall tun sollen.

Die Kinder können bei fast allen Sportarten mitmachen. Tauchen und Klettern sollten die jungen Patienten aber vermeiden. Schwimmen sollten die Kleinen nur, wenn ein Erwachsener sie die ganze Zeit über beaufsichtigt. Bei manchen Kindern, die häufig starke Anfälle haben, kann ein Helm beim Spielen und Sport sinnvoll sein. Er verhindert, dass sich die Kinder bei einem Sturz am Kopf verletzen.

Ärzte und Beratungsstellen sagen: Die Kinder sollten bei so vielen Aktivitäten mitmachen wie möglich. Sind die Eltern zu vorsichtig, kann das Selbstwertgefühl der jungen Patienten darunter leiden. Der Arzt kann unsichere Eltern beraten, welche Unternehmungen das Kind mitmachen sollte und welche eher nicht.

Ein Mädchen trägt einen rosafarbenen Helm und lässt sich von zwei Frauen an den Armen hochziehen

Wenn häufig Anfälle auftreten, empfehlen Mediziner einen Helm beim Sport und Spielen

Die Prognose ist bei vielen Epilepsieformen gut

Viele Eltern fragen sich, ob sich ihr Kind trotz der Anfälle normal entwickelt. Die allermeisten Epilepsie-Formen verursachen keine Folgen – selbst dann, wenn viele große Anfälle auftreten. Nur bei einigen Jungen und Mädchen geht die Epilepsie mit einer geistigen Behinderung einher. Diese ist aber die Ursache (etwa eine Schädigung eines Hirnbereichs) und nicht die Folge der Epilepsie.

Viele Kinder haben eine leichte Form der Epilepsie, bei der sie wie ihre Freunde problemlos spielen und lernen können. Und: Manche Arten hören nach einiger Zeit auf. "Die Prognose ist vor allem für jene Patienten gut, bei denen der Arzt keine Ursache finden konnte.", sagt Neurologe Steinhoff. Die Rolando-Epilepsie höre beispielsweise oft im Jugendalter auf. "Spätestens mit 19 Jahren sind die Patienten in der Regel anfallsfrei", so der Mediziner.

Auch die Schuldkind-Absence und die Primäre Lese-Epilepsie verschwinden bei vielen Kindern und Jugendlichen im Laufe der Zeit. Das West-Syndrom ist hingegen eine schwere Form der Epilepsie. Die Prognose hängt davon ab, welche Ursache die Anfälle haben – etwa eine Fehlbildung des Gehirns oder eine Infektion.

Andere Arten wie die Juvenile myoklonische Epilepsie bleiben zwar bis ins Erwachsenenalter bestehen, sie lassen sich aber sehr gut mit Medikamenten behandeln. Die Betroffenen leben in der Regel komplett ohne Anfälle.

Zwei jugendliche Mädchen machen ein Selfie am Strand

Die Rolando-Epilepsie und die Schulkind-Absence verschwinden meist im Jugendalter

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