Die Stadtbauern kommen

Von SWR

Landwirtschaft in der Stadt ist kein neues Phänomen: Schon im 18. Jahrhundert wurde der Grundstein für diese Bewegung gelegt.

Die Schönfeldwiese im Englischen Garten mit dem Monopteros im Hintergrund lädt zu gemütlicher Auszeit ein. Doch wo heute Rasen wächst, bauten einst Soldaten Obst und Gemüse an. 1789 verfügte der pfälzische Kurfürst Carl Theodor auf dem damaligen "Hirschangergebiet" die ersten, sogenannten Militärgärten anzulegen. Die Soldaten der bayerischen Armee sollten so Erfahrungen in der Landwirtschaft sammeln und gleichzeitig Gelegenheit zur Erholung bekommen.

Ein munteres Kaffeekränzchen in der Berliner Gartenkolonie Wildenbruchsthal um 1900. Die Laubenkolonien des Roten Kreuzes oder der Arbeiterbewegung entwickelten sich aus den sogenannten Armengärten, die seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts zunehmend in deutschen Städten angelegt wurden. Ihr Ziel war es ursprünglich, die Not der vielen Verarmten und Hungernden zu lindern.

"Dig for Victory" (zu Deutsch: "Grabe für den Sieg!). Plakat einer Kampagne, mit der unter anderem in den USA und England die Bevölkerung aufgerufen wurde, sogenannte "Victory Gardens" ("Siegesgärten") anzulegen. Der eigene Garten sollte helfen, die rationierten Lebensmittel aufzustocken.

Tatsächlich gingen auch Kinder mit großem Enthusiasmus ans Werk wie etwa hier in einem Hinterhof der Ludlow Street in Manhattan um 1940...

… oder etwas außerhalb von New York, wie hier im St. Gabriel's Park mit dem imposanten Chrysler Building im Hintergrund (Aufnahme um 1943).

Nach dem Krieg sehnten sich viele Menschen vor allem nach Frieden und Ordnung. Geradezu ein Sinnbild dafür sind die ordentlich wie auf einer Perlenschnur aufgereihten Gartenhäuschen auf den Parzellen einer Kleingartenkolonie in Frankfurt am Main (Aufnahme von 1963).

Auch im Osten Deutschlands war der Kleingarten, hier nach der russischen Bezeichnung "Datscha" liebevoll "Datsche" genannt, weit verbreitet. Gern wurde eine Einladung zum Kaffee oder zu einem Gartenfest im Grünen angenommen, auch um den beengten Verhältnissen in den Plattenbauten zu entfliehen (Aufnahme 1987).

Doch die Datschen waren mehr als nur Freizeit. Das angebaute Gemüse bereicherte nicht nur den eigenen Speiseplan, sondern wurde zum Teil zu guten Preisen an den staatlichen Handel verkauft. Die Produktion der Kleingärten war in der Handelsbilanz der DDR voll einkalkuliert und erreichte etwa beim Gemüse rund 25 Prozent der Gesamtmenge.

Die einstige Autostadt Detroit hat einen langen Niedergang hinter sich. Mehr als die Hälfte der Einwohner verließ nach den Unruhen in den 1960er Jahren und dem Zusammenbruch der Autoindustrie in den 1970er und 1980er Jahren die Stadt. Große Teile des Stadtgebietes sind von leer stehenden und zerfallenen Häusern geprägt. Der Nahverkehr brach zusammen, Geschäfte und Supermärkte verwaisten. Für die Zurückgebliebenen wurde schon der tägliche Einkauf zum Problem. Anfang der 1990er Jahre begannen sich schließlich die ersten Bewohner zu organisieren und besetzten aufgegebene Flächen, um dort Gemüse und Obst anzubauen. Das Urban Farming machte Schule und wurde in Detroit zu einer riesigen Bewegung mit inzwischen weit über 1000 "Urban Farms".

Der kleine Obst- und Gemüseladen in Havanna verkauft Produkte der Agricultura Urbana, also der städtischen Landwirtschaft. Auch in Kuba wurde aus der Not eine Tugend: Als Anfang der 1990er Jahre der Ostblock zusammenbrach, brachte das die extrem importabhängige Insel in größte Nöte. Das Prinzip "Zucker gegen Erdöl, Rohstoffe und Nahrungsmittel" funktionierte nicht mehr. Grundlegende Reformen waren unumgänglich und die Kubaner begannen mit dem zu wirtschaften, was die Insel hergab. So entstanden Kollektive, die mangels Treibstoff, Dünger und Pestiziden das Obst und Gemüse direkt vor Ort und ökologisch anbauten. Inzwischen wächst das Obst und Gemüse für die rund zwei Millionen Einwohner Havannas zu großen Teilen innerhalb der Stadtgrenzen – eine wirklich beeindruckende Entwicklung.

Blick auf die Surrey Docks Farm, einem Bauernhof mitten in London. Für die Londoner bietet der Hof die Möglichkeit, aus dem Stress und der Hektik der Großstadt für einige Stunden auszubrechen. Außerdem können hier vor allem auch Heranwachsende hautnah miterleben, wie Lebensmittel hergestellt werden. Ziel ist es dabei, den Kindern und Erwachsenen das Bewusstsein für eine gesunde Lebensweise nahezubringen.

2009 begannen Freiwillige in Berlin-Kreuzberg ein ödes Brachland in einen frei zugänglichen Gemeinschaftsgarten umzuwandeln, den Prinzessinnengarten. Von Anfang an stand das gemeinsame Arbeiten und das miteinander und voneinander Lernen im Mittelpunkt. Beim Austausch von Kochrezepten und Saatgut kommen die Multikulti-Freizeitgärtner sich viel näher als in manchem Schrebergarten, wo Besitzer lieber für sich sein wollen. Eine weitere Besonderheit sind die mobilen Beete. Das Gemüse wird nicht im Boden angepflanzt, sondern in ausrangierten Kisten und Behältern aller Art. So kann die Anlage problemlos umziehen, sollten die Hobbygärtnern das Nutzungsrecht für die Fläche einmal verlieren.

Ernte eines Kohlkopfes vor der Burgmauer in Andernach. Das kleine Städtchen am Rhein schmückt sich mit dem Titel "Essbare Stadt". Und das zu Recht: Seit 2010 sind die Zierpflanzen auf den öffentlichen Grünflächen der Stadt verschwunden. Stattdessen wachsen hier Obst, Gemüse und auch Kräuter in Bio-Qualität. Und das nicht nur fürs Auge, sondern auch für den Mittagstisch zu Hause. Jeder, der will, kann beim Anlegen und Pflegen der Beete mithelfen. Nach anfänglicher Skepsis sind die Bürger inzwischen stolz auf ihre grüne Stadt.

Reisernte unter Kunstlicht und im Untergeschoss eines Bürogebäudes mitten in Tokyos Finanzbezirk Otemachi. In den asiatischen Riesenmetropolen setzt man große Hoffnung auf die Möglichkeiten und das Potenzial urbaner Landwirtschaft. Das Indoor-Reisfeld dient in erster Linie der Ausbildung, um junge Menschen auf künftige Projekte der innerstädtischen Landwirtschaft vorzubereiten.

Im gleichen Untergeschoss werden neben dem Reis auch Tomaten angebaut. Auch bei diesem Projekt geht es in erster Linie darum, Erfahrungen für künftige Aufgaben zu sammeln.

Eine Salatpflanzung mitten in der japanischen Hauptstadt Tokio, genauer in einem Labor im Ministerium für Wirtschaft und Industrie. Die Pflanzen wachsen hier unter kontrollierten Bedingungen mit Kunstlicht in Hydrokultur. Licht, Temperatur und Feuchtigkeit sowie die Versorgung der Pflanzen mit Nährstoffen wird gesteuert. Das ermöglicht eine von den Jahreszeiten unabhängige Ernte. Guten Appetit!

Stand: 22.10.2018, 09:44 Uhr

Darstellung: