
Beruf Arzt
Monika Hauser – Ärztin und Aktivistin
Monika Hauser war wütend: Die Welt reagierte zwar entsetzt auf die Massenvergewaltigungen an bosnischen Frauen im Jugoslawienkrieg, aber niemand unternahm etwas dagegen. Kurzentschlossen gründete die Ärztin 1993 ein Hilfsprojekt, aus dem die Organisation "Medica Mondiale" entstand.
Von Hildegard Kriwet
Heute unterstützt "Medica Mondiale" weltweit Frauen, die durch Krieg, Vergewaltigung und Misshandlung traumatisiert sind. Aus der Ärztin Monika Hauser, die selbst am Operationstisch stand, wurde eine international anerkannte politische Aktivistin.
Ärztin und Menschenrechtlerin aus Berufung
Monika Hauser wird 1959 als Kind Südtiroler Eltern geboren. Ihre Eltern arbeiten in der Schweiz und dort wächst sie auch auf. Schon früh wird sie mit zwei Lebensthemen konfrontiert: Krieg und Gewalt gegen Frauen.
Ihre Großmutter sucht ausgerechnet sie als Vertraute aus, um ihr von der alltäglichen Gewalt gegen Frauen in der Südtiroler Heimat zu erzählen. Monika Hauser erfährt von sexueller Ausbeutung und Vergewaltigungen, denen Frauen durch die Ehemänner oder ihre Dienstherren ausgesetzt sind.
Nach dem Abitur studiert Hauser Medizin. Sie strebt einen Beruf an, mit dem sie existenziell helfen kann, in dem es aber auch um Menschenrechte geht. Ihr schwebt vor, als Ärztin in die Dritte Welt zu gehen. Doch Praktika in Kliniken von sogenannten Entwicklungsländern zeigen ihr die Grenzen der staatlichen Entwicklungshilfe auf.
1984 schließt Monika Hauser ihr Medizinstudium in Österreich und Italien ab. Als Assistenzärztin in einem Südtiroler Regionalkrankenhaus eckt sie wegen ihres Engagements für Patientinnen an. Sie fordert sensiblere Behandlungsmethoden und stellt Autoritäten infrage.
1988 geht sie für vier Jahre nach Essen in die gynäkologische Abteilung der Uni-Klinik, um die Fachärztinnenausbildung abzuschließen. Zwar findet sie dort verständnisvollere Kolleginnen, doch auch in Essen reibt sie sich an Klinikroutinen auf.
Hauser sucht nach einem ganzheitlichen Ansatz, will nicht nur die Krankheiten und Verletzungen heilen, sondern deren Ursachen als Zusammenspiel von psychischen und medizinischen Faktoren erkennen und würdigen.
Zusammen mit einer Psychologin baut sie Selbsthilfegruppen auf und bietet auch nach Feierabend noch Unterstützung an. Das alles kostet sie viel Kraft. 1992 unterbricht Hauser die Ausbildung zur Fachärztin und sucht nach einer Aufgabe, in die sie sich ganz einbringen kann.

2008 gab es den "Alternativen Nobelpreis" für Monika Hauser
Hilfsprojekt für Frauen im Bosnienkrieg
Ende 1992 werden zum ersten Mal die Massenvergewaltigungen bosnischer Frauen im Jugoslawienkrieg bekannt. Monika Hauser ist entsetzt über die Kriegsverbrechen und über die voyeuristische Berichterstattung.
Sie will eingreifen und verabredet sich mit der freien Journalistin Gabriela Mischkowski. Sie treffen sich in Zagreb, von wo aus damals die Hilfe koordiniert wird. Doch niemand hat einen konkreten Plan, um diesen Frauen zu helfen.
Es sei zu früh, die Lage zu unübersichtlich und die Informationen seien zu wenig konkret – so die damalige Einschätzung der etablierten Hilfsorganisationen. Monika Hauser empfindet es als unerträglich, zu wissen, dass weiterhin Frauen misshandelt und sexuell ausgebeutet werden, die Hilfsorganisationen aber untätig bleiben.
Mit Wut im Bauch und der Unterstützung einiger Freundinnen plant Monika Hauser ein eigenes Projekt und beantragt Fördergelder aus einem Spendenfonds. Sie wählt die bosnische Stadt Zenica als Standort. Dort gibt es eine Dokumentationsstelle für Kriegsverbrechen, deren Mitarbeiter sie kennengelernt hat.
Und dort kommen auch die Flüchtlingsströme aus den vom Krieg verwüsteten Landesteilen Bosnien-Herzegowinas zusammen. Zenica selbst liegt (noch) nicht im Kriegsgebiet. Anfang 1993 kommt Monika Hauser dort an und legt los.

Vor allem den Frauen im Bosnienkrieg wollte Monika Hauser helfen
Sich einmischen – der Aufbau von "Medica Zenica"
Monika Hauser ist hartnäckig. Mit der Hilfe einer engagierten Übersetzerin verhandelt sie mit der örtlichen Bürokratie, den Militärs und den internationalen Organisationen. Und sie überzeugt ihre Gesprächspartner, obwohl sie zu Beginn der Planung keinerlei finanzielle Zusagen aus Deutschland oder von Hilfsorganisationen hat.
Sie bekommt ein Gebäude zugesagt, und schon Anfang April kann "Medica Zenica" als Zentrum für die kriegstraumatisierten Frauen öffnen. Die grundsätzliche Planung übernimmt Monika Hauser von der Konzeption der Frauenhäuser in Deutschland, wo auch psychologische und juristische Hilfe in einem geschützten Bereich angeboten werden.
In Bosnien kommt die medizinische Hilfe dazu, vor allem für die Verletzungen, die durch Vergewaltigungen und Misshandlungen entstanden sind. Auch Schwangerschaftsabbrüche sind notwendig.
Monika Hauser geht das Tabuthema Vergewaltigung offen an: Sie will dokumentieren, dass die systematische sexualisierte Gewalt eine Kriegswaffe ist und die Frauen Opfer sind, genauso wie die im Kampf verwundeten Soldaten.
Schwierig wird die Situation, als die Kriegsfront schon kurz nach Eröffnung des Zentrums im April 1993 immer näher rückt und auch Zenica beschossen wird. Andere Hilfsorganisationen ziehen ihre Mitarbeiter ab, doch Monika Hauser bleibt als einzige "Internationale" in der Stadt: Sie sei nicht gekommen, "um zu gehen, wenn es schwierig wird".
Immer mehr Flüchtlinge kommen in die Stadt. Im Kriegsgebiet werden weiterhin Frauen verschleppt und über Tage vergewaltigt. Immer wieder versuchen die Medica-Mitarbeiterinnen Frauen zu retten, wenn bekannt wird, wo sie festgehalten werden.
Doch das gelingt nicht immer, und Monika Hauser verzweifelt darüber. Dennoch macht sie weiter und merkt erst viel später, welche Auswirkungen ihre eigenen traumatischen Kriegserlebnisse haben und wie sie die Schicksale der Frauen mitnehmen.

Trotz angespannter Lage blieb Monika Hauser in Zenica
Politische Lobbyarbeit für Gehör und Gerechtigkeit
Persönlich geht Monika Hauser so an ihre Grenzen, dass sie sich Ende 1995 nach einem Zusammenbruch monatelang zurückzieht. In der Folgezeit versucht sie zu lernen, wie sie ihre Erlebnisse verarbeiten und mit ihren Kräften haushalten kann.
Ab Mitte der 1990er-Jahre übernimmt Hauser mehr und mehr die Rolle der politischen Botschafterin. Sie kämpft um Gehör und Gerechtigkeit für die Frauen, die als "Kriegsbeute" gedemütigt werden.
Als sie 1996 das Bundesverdienstkreuz bekommen soll, nutzt Monika Hauser die Situation für ein politisches Statement. Sie lehnt die Ehrung ab, weil die Bundesrepublik zu dieser Zeit anfängt, bosnische Flüchtlinge in ungeklärte Verhältnisse abzuschieben.
Aus "Medica Zenica" ist mittlerweile "Medica Mondiale" geworden – eine Nicht-Regierungsorganisation, die als reines Frauenprojekt aufgestellt ist und die ihr Engagement auf weitere internationale Krisenherde ausgeweitet hat.
Gesicht und Motor von "Medica Mondiale"
Monika Hauser bleibt in den 2000er-Jahren das Herz, das Gesicht und der Motor der Organisation. Sie ist eine der beiden Geschäftsführerinnen, zuständig für öffentliche Termine. Sie ist radikal und legt auch bei Ehrungen und Preisverleihungen stets den Finger in die Wunde.
Sie ist Feministin und klopft alle Problemlösungsstrategien auch im politischen Raum auf ihre Bedeutung für Frauen ab. So bemängelt sie zum Beispiel, dass bei UN-Friedensgesprächen häufig Frauen und Mädchen schlicht vergessen werden, weil Männer als Ansprechpartner vertraut und schneller zu finden sind.
Monika Hauser versteht ihre Arbeit für Medica Mondiale nicht als Job, sondern als Berufung, als Verantwortung und als ihr Lebensthema. Ein Wechsel in die Politik ist für sie unvorstellbar. Den Begriff "helfen" akzeptiert sie nicht, ihr geht es um Unterstützung und um Verantwortung.
Wie schon während ihrer Ausbildungszeit als Ärztin eckt sie auch heute noch oft an: Das Thema der sexualisierten Gewalt gegen Frauen reduziert sie nicht auf Kriegs- und Krisensituationen, sondern weist etwa bei Preisverleihungen darauf hin, dass rein statistisch auch im anwesenden Publikum Opfer und Täter sitzen.

Immer wieder bringt Monika Hauser (rechts) ihr Thema in die Öffentlichkeit
Alternativer Nobelpreis und NRW-Staatspreis
Monika Hauser ist es gelungen, ein Tabuthema in die Öffentlichkeit zu rücken. Ihre Arbeit und die von Medica Mondiale ist in den vergangenen zwei Jahrzehnten mit Preisen und Ehrungen gewürdigt worden. Schon 1993 – im ersten Jahr ihres Bosnien-Engagements – wurde Hauser von der ARD-Tagesthemen-Redaktion zur "Frau des Jahres" gewählt.
1994 erhielt sie den Gustav-Heinemann-Bürgerpreis. 2008 wurde ihr Engagement mit dem alternativen Nobelpreis "Right Livelihood Award" gewürdigt. 2011 wurde sie "Europäerin des Jahres" des europaweiten Magazins "Reader's Digest". 2012 bekam sie die höchste Auszeichnung des Landes Nordrhein-Westfalen und im gleichen Jahr den "Nord-Süd-Preis" des Europarates.

2012 erhielt Monika Hauser den Staatspreis des Landes NRW
(Erstveröffentlichung 2014. Letzte Aktualisierung 19.04.2018)
Quelle: WDR