Organmangel – Die Rolle der Kliniken
Planet Wissen. 16.05.2019. 02:46 Min.. Verfügbar bis 16.05.2024. SWR.
Organverpflanzung
Organmangel in Deutschland
Mehr als 10.000 Menschen warteten 2018 in Deutschland auf ein lebensrettendes Spenderorgan, aber nur 3100 Spenderorgane wurden im gleichen Jahr entnommen. Die Gründe dafür liegen auch in der Organisation der Organspende hierzulande.
Von Annika Erbach
Immer weniger Organspenden in Deutschland
Die Zahl der Organspenden in Deutschland ist 2018 wieder etwas gestiegen, nachdem sie 2017 auf den niedrigsten Stand seit 20 Jahren gefallen war. Dennoch schlägt die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) Alarm: Jeden Tag sterben in Deutschland zwei bis drei Menschen, weil sie nicht rechtzeitig ein neues Herz, eine neue Lunge, Leber oder Bauchspeicheldrüse bekommen.
Im europäischen Vergleich liegt Deutschland weit hinten: Länder wie Spanien, Frankreich oder Kroatien kommen auf mehr als 30 Organspender pro eine Million Einwohner, in Deutschland sind es laut DSO nur knapp zwölf.
Eine alarmierende Zahl, denn der europäische Verbund Eurotransplant, der Organe grenzüberschreitend vermittelt, nimmt Länder mit so wenigen Spendern gar nicht erst auf. Deutschland muss Eurotransplant wegen der geringen Spenderzahl zwar nicht verlassen oder andere Konsequenzen fürchten, aber: Wo bleibt die Gerechtigkeit, wenn Organe in Länder vermittelt werden, die selbst sehr wenige Spenden haben?
Skandale erklären Rückgang der Organspenden nur zum Teil
Dass es in Deutschland weniger Organspenden als anderswo gibt, liegt zum Teil an gesetzlichen Bestimmungen. In Spanien, Frankreich und Österreich beispielsweise gilt die sogenannte Widerspruchslösung. Danach ist jeder Mensch automatisch Organspender, außer er legt aktiv Widerspruch ein.
In Deutschland gilt das umgekehrte Prinzip. Hier müssen sich die Menschen ausdrücklich zur Organspende bereit erklären. Dazu können sie einen Organspenderausweis ausfüllen, ihren Willen gegenüber ihrer Familie oder Freunden kundtun oder ihre Spendenbereitschaft in einer Patientenverfügung dokumentieren.
All dies setzt eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Tod voraus, die nicht jedem liegt. Das ist eine Erklärung für Deutschlands geringere Organspenderquote im europäischen Vergleich.
Doch diese Begründung kann nicht erklären, warum die Zahl der Organspender in Deutschland seit dem Jahr 2010 kontinuierlich sinkt. Nach Einschätzung der DSO haben die Skandale um manipulierte Wartelisten eine Mitschuld an dieser Entwicklung.
Denn 2012 wurde bekannt, dass einige Ärzte ihre Patienten auf dem Papier kränker machten, damit diese auf der Warteliste nach vorne rückten. Das erschütterte laut DSO in der Bevölkerung massiv das Vertrauen in die Organspende.
Als Erklärung für die sinkenden Spenderzahlen reichen die Skandale allerdings nicht aus. Denn die Spendenbereitschaft ging bereits 2010 deutlich zurück, die Skandale wurden aber erst 2012 aufgedeckt. Der Rückgang muss also andere Gründe haben.
Viele Kliniken scheuen den Aufwand
Die DSO hat nachgeforscht und ihre Untersuchung ergab: Die größte Schwachstelle im deutschen Organspendensystem sind die Kliniken, die die Organe entnehmen. Davon gibt es mehr als 1300 Stück in Deutschland.
Diese sogenannten Entnahmekliniken sollen mögliche Spender identifizieren, an Eurotransplant melden, mit den Angehörigen sprechen und die Spenderorgane entnehmen. Doch bei sterbenskranken Intensivpatienten werde die Therapie häufig abgebrochen, ohne eine mögliche Organspende in Erwägung zu ziehen, berichtet die DSO.
Denn eine Organspende ist eine große Belastung für eine Klinik. Nach der aufwendigen Hirntoddiagnostik stehen weitere Untersuchungen an. Diesen Aufwand scheuen viele Kliniken. Verantwortlich dafür sind neben Personalmangel auch wirtschaftliche Überlegungen. Für die Entnahme der Organe bekommen die Kliniken Pauschalen von der DSO, die gerade mal kostendeckend sind.
Im Jahr 2017 waren dies in der Regel 3890 Euro und bei mehreren entnommenen Organen 4878 Euro. Die Vergütung, die Kliniken für Operationen von den Krankenversicherungen erhalten, ist höher als die DSO-Pauschale. Deshalb nutzen Krankenhäuser ihre OP-Säle eher für Operationen, und Spenderorgane werden häufig nachts entnommen, wenn die OP-Säle frei sind.
Wegen des Organmangels kommen zunehmend auch ältere Spender in Betracht, obwohl ihre Organe eine geringere Lebensdauer haben. Bei älteren Menschen ist die Organentnahme jedoch aufwendiger und verursacht so höhere Kosten. Kosten, auf denen die Kliniken zum Teil sitzenbleiben.
In kleinen Entnahmekliniken kommt es laut DSO durchschnittlich nur alle fünf Jahre zu einer Organspende. Einige Transplantationsexperten vermuten, dass diese Kliniken bewusst Spender übersehen, weil sie den Aufwand der Diagnostik und Organentnahme scheuen.
Mehr Geld für Organentnahmen, weniger Entnahmekliniken
Um die Zahl der Organspenden zu erhöhen, schlägt die DSO zunächst eine bessere Schulung der Intensivmediziner vor. Sie sollen Patienten zum Beispiel schon vorzeitig auf einen möglich bevorstehenden Hirntod untersuchen. Außerdem müssten die Transplantationsbeauftragten der Kliniken in ihrer Funktion gestärkt werden. Die Organspende soll so zur Selbstverständlichkeit werden, nicht zur Ausnahme.
Weil das Vorbereiten einer Organentnahme viel Zeit und Personal bindet, plant die DSO, den Kliniken mehr Geld als bisher zu zahlen. Außerdem überlegt die Organisation, die Zahl der Entnahmekrankenhäuser zu reduzieren und sich auf die größeren Kliniken zu konzentrieren, die zumindest gelegentlich Spenderorgane entnehmen.
Wenn die Kompetenzen gebündelt werden, könnte die Organspende besser in den Klinikalltag integriert werden, so die Hoffnung. In diesen Kliniken sollen dann konsequent alle möglichen Organspender identifiziert werden.
Quelle: SWR | Stand: 08.02.2019, 10:30 Uhr