Vereinsdichte im europäischen Vergleich
Die Vereine hatten lange ein spießig-muffiges Image. Seit einigen Jahren werden sie jedoch wieder häufiger als Orte bürgerschaftlichen Engagements entdeckt und geschätzt.
Mehr als 90 Prozent des ehrenamtlichen Engagements findet im Umfeld von Vereinen statt. Oft bieten sie bezahlbare Dienstleistungen, wie beispielsweise Unterricht in verschiedenen Sportarten. Jeder dritte Deutsche ist Mitglied in einem Sportverein.
Es wird auch viel darüber geklagt, dass die Vereine überaltert seien und darüber, dass sich junge Menschen kaum mehr engagieren. Doch dieses Vorurteil stimmt nur bedingt. Es gibt zwar Vereine, denen der Nachwuchs fehlt, wie der traditionelle Männergesangsverein oder der Schützenverein. Das hängt auch damit zusammen, dass es in den vergangenen 30 Jahren einen regelrechten Vereinsboom gegeben hat.
Viele junge Menschen engagieren sich in Naturschutz- oder Menschenrechtsvereinen, oder auch in solchen, die sich kritisch mit der Informationsgesellschaft beschäftigen. Es gibt also mehr Vereine, die Konkurrenz um die Mitglieder ist also groß.
Vereine als Vorreiter für gesellschaftlichen Wandel?
Das Vereinsleben, wie wir es kennen, geht auf das 18. Jahrhundert zurück. Das Revolutionäre an den Vereinen, die man damals "Gesellschaften" oder "Assoziationen" nannte, war, dass sich Menschen ständeübergreifend zusammenfanden. Adel, Intelligenz und gehobenes Beamtentum diskutierten in sogenannten "Lesegesellschaften" oder "Sprachgemeinschaften" über Tagesereignisse und politisch-philosophische Zeitprobleme.
Das aufgeklärte Bürgertum konnte in diesen Vereinen seine politischen Vorstellungen verwirklichen. Das Vereinswesen trug entscheidend dazu bei, dass der Adel das bürgerliche Wertesystem übernahm. Ein Beispiel eines solchen Vereins ist die "Patriotische Gesellschaft" in Hamburg, die bereits 1765 gegründet wurde und heute noch sehr aktiv ist.
Auch viele Turnvereine, Gesangs- oder Kleingärtnervereine haben eine lange Tradition und eine wechselvolle Geschichte. Ab dem 19. Jahrhundert spricht man von "Vereinen". Damals waren sie ein städtisches Phänomen. Sie galten als modern und zukunftsorientiert.
Die älteste deutsche Bürgerinitiative
Die älteste deutsche Bürgerinitiative entstand als Zusammenschluss von Menschen, die im Erziehungs- und Bildungswesen, in der sozialen Fürsorge, im Gesundheitswesen, in der Wirtschaftsförderung und im kulturellen Bereich für "Verbesserungen" eintraten, sie initiierten und zum Teil selbst realisierten.
Die Gesellschaft galt schon damals als Muster einer aufgeklärt-gemeinnützigen Sozietät, deshalb wurde sie bald die Patriotische Gesellschaft genannt. Patriotismus hatte damals nichts mit übertriebener Vaterlandsverehrung zu tun, ein Patriot war ein "Stadtfreund". Patrioten waren in Zeiten der Aufklärung Menschen, die sich uneigennützig für das Gemeinwesen einsetzten.

Die öffentliche Bücherhalle sollte "veredelnd und fördernd" auf die Leser wirken
Auf Initiativen der Patriotischen Gesellschaft gehen etwa die Einführung des Blitzableiters und des Kartoffel-Anbaus in Hamburg, die Gründung der ersten Sparkasse in Europa und der Hamburger Öffentlichen Bücherhallen sowie das Hamburger Armenwesen und der Arbeitsnachweis für Hafenarbeiter (ein Vorläufer des Arbeitsamtes) zurück.
Heute beschäftigt sich die Patriotische Gesellschaft mit fast jedem Bereich, der in der Stadt von Belang ist. Beispiel: "Seitenwechsel". Statt sich um normale Managementaufgaben wie Budgets, Produktionszahlen oder Computer-Probleme zu kümmern, gehen Führungskräfte aus Unternehmen für eine Woche in eine soziale Institution. Sie übernehmen beispielsweise die Pflege von Menschen mit Behinderungen, begleiten Wohnungslose zum Sozialamt, machen Hausaufgaben mit minderjährigen Flüchtlingen und lernen die Welt von Jugendlichen in sozialen Brennpunkten kennen.
Vereinsboom ab Mitte des 19. Jahrhunderts
Ab Mitte des 19. Jahrhunderts setzte sich ein reges Vereinsleben durch. Es war vor allem Folge der Industrialisierung und zunehmender Verstädterung. Viele Vereine übernahmen öffentliche Aufgaben, die der Staat damals nicht erfüllte. Es entstanden die Wohlfahrtsverbände, wie die Caritas, die Diakonie und das Deutsche Rote Kreuz.

Viele Vereine übernahmen öffentliche Aufgaben
Politisch Gleichgesinnte fanden sich in Kultur- und Freizeitvereinen zusammen, die sich damals aber politisch nicht frei bewegen durften. Ein Beispiel dafür sind Arbeitervereine. Auch konservative und nationalistische Vereine bekamen mehr Zulauf.
Vereinsrecht – ein demokratisches Grundrecht
Die Nationalversammlung von 1848 nahm das Vereinsrecht als Grundrecht an. Davor waren Vereine vom Staat kritisch beäugt, kontrolliert oder verboten worden. Im Nationalsozialismus wurde diese Praxis wieder aufgegriffen: Alle jüdischen Vereine, Arbeitervereine und solche, die den Machthabern politisch verdächtig erschienen, wurden verboten. In den Vereinen, die bestehen bleiben durften, wurden die jüdischen Mitglieder ausgeschlossen.
Kleingärtnervereine sind die einzigen, deren Anzahl in der NS-Zeit wuchs. Die Nationalsozialisten vereinnahmten diese Vereine politisch und stülpten ihnen die Blut-und-Boden-Ideologie über.

Kreissportfest der Werktätigen in Berlin/Weißensee
Nach dem Zweiten Weltkrieg entsprachen im Westen die neugegründeten Vereine der aufblühenden Freizeit- und Konsumgesellschaft. Rock'n'Roll-Tanzclubs, Vereine von Vespa-Fahrern oder zum Beispiel Freddy-Quinn-Fanclubs, von denen es Ende der 1960er-Jahre 2000 Stück gab, waren der Renner.
Waren bis zur NS-Zeit die Vereine vor allem auch weltanschauliche Gemeinschaften, so traten die Menschen in den 1950er- und 1960er-Jahren dem Verein vor allem zur Ausübung eines Hobbys bei.
In der DDR kamen die Vereine unter das Dach der Großbetriebe und der Massenorganisationen. Es gab Betriebssportgruppen, aber auch Kultur- und Musikgruppen wurden in den Betrieben organisiert. Freie Vereine versuchte man zu verbieten, was aber nicht immer gelang.
Besonders resistent gegen die Versuche, das freie Vereinsleben zu unterbinden, zeigten sich die Kleingärtner. Dass man sie dann tolerierte und später sogar hofierte, liegt sicherlich auch daran, dass man sie für die Lebensmittelversorgung benötigte.
Der heutige "Vereinstypus" entsteht
In den 1970er-Jahren beginnt die Ära der heutigen Trends im Vereinsleben. Es entstanden zahlreiche Bürgerinitiativen und Selbsthilfegruppen, die sich in der Folge oft in Vereinen zusammenschlossen.
Innerhalb der "Neuen sozialen Bewegungen" schossen Frauen-, Umwelt-, Friedens- und Kulturinitiativen aus dem Boden. Anti-Atomkraft-Gruppen, Selbsthilfe für Homosexuelle oder Dritte-Welt-Initiativen etablierten sich als moderne Vereine zur privaten Selbsthilfe oder für politisches und soziales Engagement. Eine erfolgreiche Beispiele sind "Ärzte ohne Grenzen" und "Greenpeace", die in den 1970er-Jahren gegründet wurden.

Greenpeace wurde 1971 gegründet und ist seit 1980 auch in Deutschland aktiv
Rund 40 Prozent der heutigen Umweltvereine entstanden zwischen 1976 und 1989. Diese "neuen" Vereine gerieten kaum in Verdacht der spießigen "Vereinsmeierei", aber es gab Gemeinsamkeiten mit den "alten" Vereinen: der Wunsch nach Geborgenheit in einer Gruppe oder einfach nach Geselligkeit.
Unter Fachleuten ist umstritten, ob der wachsende Individualismus die Vereine in die Krise führt, oder ob sie einfach neue Funktionen übernehmen. Existenzprobleme haben oder bekommen in nächster Zeit: der klassische männliche Gesangsverein und Schützenverein sowie Vereine mit christlichem Hintergrund wie die Jugendgruppen.
Zahlenmäßig steigt das Vereinswesen aber an. Andere Fachleute meinen, die Mitgliedschaft habe sich verändert, da die Lebensweisen sich ändern. Hohe Mobilität mache ein dauerhaftes Engagement in einem Verein schwierig. Aus altruistischen Gründen war man auch früher selten Vereinsmitglied.
Der Verein ist nach wie vor auch ein Kommunikationsforum, aus dem man sich die Kontakte für Aufträge und Jobs verspricht, vor allem in der lokalen Politik und Wirtschaft.
Wozu gründe ich einen Verein?
Ein Verein ist eine soziale Gruppe, die sich freiwillig zusammenfindet und ein gemeinsames, auf Dauer angelegtes Ziel hat. Wenn ich mich regelmäßig zum Kaffeetrinken verabrede, gründe ich keinen Verein.
Möchte ich aber beispielsweise mit anderen Menschen Essen an Bedürftige ausgeben, dann könnte eine Vereinsgründung durchaus sinnvoll sein, denn nur ein Verein kann Fördermittel beantragen. Außerdem ist ein Verein juristisch abgesichert – dessen Teilnehmer sind also vor finanzieller Haftung geschützt.
Einen Verein gründet man, wenn man eine "Idee auf Dauer" stellen will. Es müssen sich sieben Mitglieder finden, die eine Satzung schreiben. Der Verein wird beim zuständigen Amtsgericht mit einem Gesamtnamen eingetragen und bietet für seine Mitglieder regelmäßig Veranstaltungen an. Nicht alle Organisationen, die als Verein eingetragen sind, entsprechen den Vorstellungen, die man von ihnen hat.
Der Deutsche Caritasverband mit über 600.000 hauptamtlichen Mitarbeitern ist rechtlich betrachtet ein Verein. Der "Allgemeine Deutsche Automobilclub" (ADAC) ist mit 16 Millionen Mitgliedern der größte Verein in Deutschland. Selbsthilfegruppen, Betroffenengemeinschaften, Bürgerinitiativen, Netzwerke, Interessenverbände – sie haben oft juristisch die Form eines Vereins.

Mit 16 Millionen Mitgliedern ist der ADAC der größte deutsche Verein
Quelle: SWR | Stand: 08.10.2018, 10:07 Uhr