Portraitaufnahme von Andreas Zumach.

Geopolitik

Andreas Zumach: "Vierte Großmacht EU?"

Wirtschaftlich ist die Europäische Union (EU) schon längst eine Großmacht. Führende Politiker plädieren nun dafür, dass sie auch militärisch zum Global Player wird. Andreas Zumach, Autor und internationaler Korrespondent der "taz", steht einer militärischen Großmacht EU skeptisch gegenüber. Er beobachtet seit 30 Jahren die internationale Außen- und Sicherheitspolitik und ist Träger des Göttinger Friedenspreises.

Von Beate Krol

Herr Zumach, wenn man über Geopolitik spricht, redet man vor allem über die USA, Russland und China. Heißt das, dass die EU keine Geopolitik macht?

Die EU stellt sich gern als Friedensprojekt dar, aber sie betreibt eine genauso harte Interessenpolitik wie die USA und zunehmend auch China. Ganz besonders gilt das für die Handelspolitik, wenn es beispielsweise um den Zugang zu Märkten in den Ländern des Südens geht oder darum, gute Bedingungen für multinationale Konzerne zu schaffen, die ihren Stammsitz in einem der EU-Staaten haben. Die EU formuliert aber auch explizite geopolitische Strategien. Anfang der 2000er Jahre lautete das geopolitische Ziel zum Beispiel, die EU bis 2010 zum innovativsten und wettbewerbsfähigsten internationalen Player zu machen. Die Nachbarschaftsstrategie wiederum zielte darauf, den ökonomischen und politischen Einfluss der EU auf die Staaten an den EU-Außengrenzen zu stärken, um eine Art Schutzkordon um die EU zu bilden.

Rückblickend zeigt sich, dass beide Strategien gescheitert sind. Wer entscheidet in der EU, was geopolitisch passieren soll?

Die wesentlichen Konzepte und Strategiepapiere entstehen auf der Ebene der EU-Kommission, die auch über sicherheitspolitische Abteilungen verfügt. An der Strategie, die EU zum stärksten internationalen Player zu machen, war zum Beispiel der damalige sozialdemokratische EU-Kommissar Günter Verheugen beteiligt.

Welche geopolitische Linie vertritt Deutschland sonst in der EU?

Deutschland hat als Ergebnis des von Deutschland geführten Zweiten Weltkrieges zunächst eine sehr zurückhaltende militärische Außenpolitik betrieben. Inzwischen erheben CDU/CSU, SPD und FDP den Anspruch, den beiden Atomwaffenmächten Frankreich und Großbritannien gegenüber ebenbürtig zu sein. Das geht so weit, dass man Mitsprache haben will an französischen und britischen Atomwaffen. Also hier ist ein Aufholwettbewerb Deutschlands zu beobachten. Außerdem haben sich führende deutsche Politikerinnen und Politiker in jüngster Zeit mehrfach zu einer europäischen Armee bekannt.

Das Ziel einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik hat die EU schon 1992 beschlossen. Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass eine europäische Armee tatsächlich bald kommt?

Ich bin sehr skeptisch. In einer europäischen Armee gäbe es keine nationalen Kommandoverantwortlichkeiten, und die Frage ist, ob sich die EU-Staaten dazu überwinden können. Außerdem verfolgen alle EU-Mitgliedsländer mit einer relevanten Rüstungsindustrie trotz aller Lippenbekenntnisse nach wie vor das Ziel, in so gut wie allen Waffen- und Munitionsbereichen eine eigenständige, international wettbewerbsfähige Industrie aufrechtzuerhalten. Es gibt also erhebliche Widersprüche zwischen der politischen Zielsetzung und der Realität im Rüstungsbereich.

Eine Karte der Staaten der Europäischen Union umkreist von zwölf gelben Sternen vor blauem Hintergrund.

Wirtschaftlich ist die EU schon längst eine Großmacht

Sie sind gegen eine europäische Armee. Aber wird die EU ohne Armee nicht zum Spielball der anderen Großmächte? Insbesondere Chinas und Russlands?

Ich bin nicht der Meinung, dass die Europäer eine europäische Armee brauchen. Im Gegenteil: Ich hielte sie für eine enorme Verschwendung von Ressourcen, die dann für andere wichtige Zwecke fehlen. Außerdem frage ich mich: Glaubt man ernsthaft, dass die europäischen Handelswege künftig durch China und Russland bedroht sind? Und wenn man dieser Meinung ist, glaubt man ernsthaft, dass man die Handelswege durch militärische Instrumente schützen kann? Denn das hieße zu Ende gedacht, sich auf einen Krieg gegen China oder Russland einzurichten.

Aber was ist, wenn China und Russland doch die europäischen Handelswege und damit den europäischen Wohlstand bedrohen? Wie soll sich die EU schützen, wenn sich die USA als Schutzmacht zurückziehen?

Dann muss man mit China und Russland verhandeln und Verträge machen. Zu glauben, man könne mit militärischen Mitteln etwaige künftige Bedrohungen abschrecken oder gar bekämpfen, ist jedenfalls eine Illusion. Im Übrigen glaube ich nicht, dass Donald Trump tatsächlich will, dass sich die EU militärisch so weit emanzipiert, dass sie die USA nicht mehr braucht. Klar, Trump hat Druck auf die EU ausgeübt, aber die USA wollen auch ihre Einfluss- und Kontrollmöglichkeit behalten, die sie als Nato-Führungsmacht in Europa haben.

Dann bleibt immer noch das Argument, dass die EU als drittgrößte Wirtschaftsmacht mehr Verantwortung in der Welt übernehmen muss, gerade auch militärisch.

Hier stellt sich mir die Frage, ob die EU nicht besser auf eine größere Handlungsfähigkeit der UNO hinwirken sollte, statt eine Militärmacht zu werden. Zum Beispiel indem sie sagt: Wir schaffen in der UNO eine ständige Armee von plus minus 50.000 Soldatinnen und Soldaten, die in klar definierten Fällen eingesetzt wird. Also etwa wenn es um die Verhinderung oder die Beendigung von Völkermord geht. Eine UNO-Armee mit einem klaren Mandat wäre meines Erachtens weltweit akzeptabler, als wenn die EU als neue interessengeleitete Militärmacht auftreten würde, wie bisher die USA oder die Nato.

Das hieße aber, die EU bliebe eine Macht in der zweiten Reihe.

Das kommt auf die Perspektive an. Die USA sind gegenüber den anderen hochentwickelten Industriestaaten und China auch deshalb so weit zurückgefallen, weil sie einen extrem hohen Anteil ihres Bruttosozialprodukts für die militärische Aufrüstung aufgebracht haben. Diesen mittel- und langfristigen Preis einer Sicherheitspolitik mit militärischen Mitteln muss man bedenken.

Quelle: SWR | Stand: 26.03.2019, 11:00 Uhr

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