
Gewalt
Was tun bei häuslicher Gewalt?
Maria ist seit Jahren glücklich verheiratet, denken alle. Doch niemand sieht die blauen Flecken auf dem Rücken, die von den Schlägen ihres Mannes herrühren. Dieser fiktive Fall spielt sich – so oder ähnlich – in unzähligen Beziehungen tatsächlich ab.
Von Franziska Badenschier
- Erkennen: Was ist häusliche Gewalt?
- Einschätzen: Wie oft kommt häusliche Gewalt vor?
- Aktiv werden: Wo bekomme ich im akuten Fall Hilfe?
- Entscheiden: Wo möchte ich unterkommen?
- Klären: Wann kann man den Täter oder die Täterin anzeigen?
- Weiter planen: Wie kann ich mich künftig schützen?
- Vorsorgen: Warum ist es wichtig, häusliche Gewalt nicht zu verheimlichen?
Erkennen: Was ist häusliche Gewalt?
Häusliche Gewalt kommt in den besten Familien vor. Es ist auch nicht so, dass immer nur Männer ihre Frauen und Kinder schlagen; sie können selbst Opfer sein. Und nicht nur Schläge stellen häusliche Gewalt dar. Deswegen ist es wichtig, häusliche Gewalt zu erkennen und etwas dagegen zu unternehmen.
Häusliche Gewalt ist physische, psychische oder sexuelle Gewalt zwischen Menschen, die gemeinsam in einem Haushalt leben. Hinter dieser spröden Definition verbergen sich zahlreiche Fälle.
Wenn Eltern Kinder schlagen oder Kinder ihre Eltern, dann ist das häusliche Gewalt. Ebenso wenn ein Mann seine Freundin zum Geschlechtsverkehr zwingt oder eine Frau ihrem Noch-Ehemann nachstellt. Beschimpfen, Beleidigen, Demütigen, Freiheitsberaubung, emotionaler Missbrauch, Beschlagnahmung von Geld und vieles mehr kann ebenfalls als häusliche Gewalt angesehen werden.
Wichtig: Nicht nur Gewalt in den eigenen vier Wänden zählt als häusliche Gewalt – entscheidend ist, dass Opfer und Täter eine häusliche Gemeinschaft haben.
Bei der Einschätzung häuslicher Gewalt hilft der Fragebogen "The Big 26" vom so genannten "Domestic Abuse Intervention Project", dem ältesten Interventionsprojekt gegen häusliche Gewalt.
Einschätzen: Wie oft kommt häusliche Gewalt vor?
Eine repräsentative Studie, die 2003 im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) durchgeführt wurden, ergab: Von 100 befragten Frauen zwischen 16 und 85 Jahren haben 25 mindestens einmal Gewalt in ihrer aktuellen Beziehung oder in einer früheren Partnerschaft erlebt.
Bei zwei der 25 Betroffenen handelte es sich um erzwungene sexuelle Handlungen, bei 18 Betroffenen um rein körperliche Auseinandersetzungen und bei fünf Betroffenen um beide Formen zusammen.

Blaue Flecken sind typische Folgen
16 der 25 betroffenen Frauen aus einer Gruppe von 100 Frauen hatten körperliche Verletzungen davongetragen: Prellungen, blaue Flecken, Verstauchungen, Knochenbrüche, offene Wunden oder Kopfverletzungen.
Die Studie ergab außerdem: Häusliche Gewalt kommt hierzulande "in allen gesellschaftlichen Schichten und unterschiedlichen ethnischen Zugehörigkeiten" vor; ein besonders hohes Risiko bestehe für Frauen in Trennungsphasen.
Der Psychologe Martin Fiebert von der California State University in den USA hingegen ist überzeugt: Frauen seien in ihren Beziehungen genauso physisch aggressiv oder sogar aggressiver als die Männer.
Dazu führt er seit geraumer Zeit eine lange Liste mit wissenschaftlichen Publikationen, die das untermauern. Mitte April 2012 enthielt diese kommentierte Bibliographie 218 statistische Studien und 64 Übersichtsartikel.
Eine Pilotstudie zum Thema "Gewalt gegen Männer in Deutschland" kam 2004 zu dem Ergebnis: 50 der rund 200 befragten Männer hatten mindestens einmal körperliche Gewalt durch die aktuelle oder die vorangegangene Partnerin erlebt. Zehn der Betroffenen wurden mindestens einmal verletzt.
Aktiv werden: Wo bekomme ich im akuten Fall Hilfe?
Am schnellsten erhält man Hilfe, wenn man die Polizei über den Notruf 110 ruft. Die Polizei kann den Täter oder die Täterin sofort der Wohnung verweisen, vorübergehend in Gewahrsam nehmen und den Kontakt zum Opfer verbieten. Eine hilfreiche Anlaufstelle kann auch ein Frauenhaus in der Nähe sein; mittlerweile gibt es in ganz Deutschland mehr als 400 solcher Einrichtungen.
Weitere Kontakte können die folgenden Einrichtungen vermitteln: der örtliche Frauennotruf, die örtliche Frauenberatungsstelle oder der Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe e.V.
Männer, die Opfer von häuslicher Gewalt werden, können sich an spezielle Männerbüros und Männerberatungsstellen wenden – diese gibt es bislang jedoch nur in größeren Städten. Außerdem gibt es seit 2009 auch ein Männerhaus: Das Gewaltschutzhaus steht in Ketzin bei Potsdam.
Minderjährige können sich an das Kinder- und Jugendtelefon "Nummer gegen Kummer" wenden.
Für Frauen, Männer und Kinder gleichermaßen da ist der "Weiße Ring", ein gemeinnütziger Verein zur Unterstützung von Kriminalitätsopfern und zur Verhütung von Straftaten.
Entscheiden: Wo möchte ich unterkommen?
Wer schlägt, muss gehen – das Opfer bleibt in der Wohnung: Dieser Grundsatz ist im Gewaltschutzgesetz verankert, das 2002 in Kraft trat. Dieser Maxime zufolge soll es den Opfern nicht länger zugemutet werden, selbst für ihren Schutz zu sorgen und dabei auch noch auf die vertraute Wohnung und Umgebung verzichten zu müssen.
Die Behörden sprechen in diesem Fall von Wohnungsüberlassung.
Ist das Opfer an der Wohnung nicht (mit-)berechtigt, weil es zum Beispiel nicht im Mietvertrag genannt ist, dann kann die Wohnung dem Opfer bis zu sechs Monate lang überlassen werden. Wenn es in dieser Zeit keine Ersatzwohnung findet, kann die Frist gerichtlich um höchstens sechs weitere Monate verlängert werden.
Sind Opfer und Täter hingegen verheiratet, kann die Wohnung bis zur Scheidung dem Opfer überlassen werden. Die Praxis zeigt jedoch: Es gibt nach wie vor Frauen, die lieber in ein Frauenhaus fliehen, als in der Wohnung zu bleiben, etwa weil sie sich dort nach wie vor ängstigen. Jedes Opfer häuslicher Gewalt kann selbst entscheiden, wo es unterkommen möchte.

Zufluchtsort Frauenhaus
Klären: Wann kann man den Täter oder die Täterin anzeigen?
Wenn das Opfer häuslicher Gewalt am Körper verletzt, vergewaltigt, genötigt oder eingesperrt wird, dann sind das alles Fälle von strafbaren Handlungen – und dann ist die Polizei verpflichtet, eine Anzeige aufzunehmen. Diese wird dann an die Amts- oder Staatsanwaltschaft weitergeleitet. Dort wird entschieden, ob Anklage erhoben wird und es zu einem Prozess kommt.
Außerdem gibt es sogenannte zivilrechtliche Schutzmöglichkeiten, die statt eines Strafverfahrens oder zusätzlich dazu in Anspruch genommen werden können.
Zu diesen zivilrechtlichen Schutzmöglichkeiten zählen: Schadenersatz, Schmerzensgeld, alleiniges Sorgerecht für die Kinder sowie die Aussetzung oder Beschränkung des Umgangsrechts. Zuständig ist in jedem Fall das Familiengericht, das eine Spezialabteilung am Amtsgericht ist.
Weiter planen: Wie kann ich mich künftig schützen?
Die Wohnungsüberlassung ist nicht die einzige Möglichkeit, sich vorerst und auch längerfristig vor dem gewalttätigen (Ex-)Partner zu schützen. Das Gericht kann auch festsetzen, dass der Täter sich nicht an Orten aufhält, an denen das Opfer regelmäßig ist, etwa rund um den Arbeitsplatz, den Kindergarten oder die Schule der Kinder oder am üblichen Fitnessstudio. Ebenfalls verboten werden kann der Kontakt mit dem Opfer, egal ob per Besuch, Telefon, Fax, Brief oder E-Mail.
Wichtig: Diese sogenannten Schutzanordnungen sind auch schon dann möglich, wenn der (Ex-)Partner lediglich Gewalt angedroht hat, er beziehungsweise sie aber noch nicht handgreiflich geworden ist. Da zählt auch die beliebte Ausrede "Ich war betrunken" nicht.

Sonderbriefmarke aus dem Jahr 2000: "Keine Gewalt gegen Frauen"
Vorsorgen: Warum ist es wichtig, häusliche Gewalt nicht zu verheimlichen?
Zunächst einmal geht es um den eigenen Schutz. Vorzusorgen ist aber auch wichtig, um den eigenen Kindern Leid zu ersparen – sowohl aktuell als auch später. Studien belegen nämlich: Kinder, die häusliche Gewalt mitbekommen haben, sind aggressiver, ängstlicher, können depressiv werden und können schwerer Probleme lösen.
Und die BMFSFJ-Studie zeigte: Frauen, die in ihrer Kindheit oder Jugend Gewalt bei ihren Eltern beobachtet und miterlebt hatten, waren später mehr als doppelt so häufig selbst Opfer von Gewalt durch ihren (Ex-)Partner als Frauen, die als Kind oder Jugendliche keine solchen Erfahrungen gemacht hatten.
Frauen, die früher Gewalt nicht nur gesehen hatten, sondern sogar selbst Gewalt von Erziehungspersonen zu spüren bekamen, waren als Erwachsene sogar dreimal so oft von Gewalt durch einen Partner betroffen.

Kinder leiden – auch später noch
Quelle: WDR | Stand: 24.07.2018, 15:00 Uhr