Frau mit Zettel auf der Stirn.

Schlafen

Schlaf, Gedächtnis und Immunsystem

Im Schlaf sortiert unser Gehirn Wichtiges von Unwichtigem. Forscher haben herausgefunden, dass das nicht nur mit unseren bewussten Sinneswahrnehmungen passiert: Das Gedächtnis umfasst offenbar mehr Bereiche des Körpers als angenommen.

Von Frank Drescher

Versuchsaufbau 1913

Vier Reihen mit zehn sinnfreien und zusammenhanglosen Silben hatten die Versuchspersonen vor sich. Sie sollten sie sich einprägen und so lange aus dem Gedächtnis wiederholen, bis sie sie erstmals fehlerfrei wiederholen konnten.

Dann sollten sie – je nach Tageszeit – sich entweder ihrem weiteren Tagesverlauf widmen oder aber schlafen gehen.

Ausgedacht hatte sich diese Versuchsreihe Rosa Katz, eine angehende Doktorin der Psychologie, die sie 1913 in Göttingen für ihre Dissertation durchführte. Sie wollte herausfinden: Was begünstigt die Erinnerung? Und was hindert sie?

Dazu kontrollierte sie nach 24 Stunden, wieviel ihre Probanden von den Silbenreihen noch fehlerfrei auswendig wiedergeben konnten. Eine Erkenntnis der jungen Forscherin dabei: Je weniger Zeit zwischen dem Lernen und dem Zubettgehen verstrich, umso besser war die Erinnerung.

Auf der Innenfläche einer Hand ist "nicht vergessen" notiert.

Hilft dem Gedächtnis: nach dem Lernen ab ins Bett

Wie sich im Schlaf das Gedächtnis bildet

Im Gedächtnis verlagern sich Informationen aus dem Kurzzeit- ins Langzeitgedächtnis. Wichtiges, wie das Wissen um die am Vortag ausgehandelte Gehaltserhöhung mit dem Chef, wird dabei von weniger Wichtigem getrennt, wie der Farbe des Autos vor einem an der Ampel auf dem Weg ins Büro.

Aber liegt dieses Prinzip der Gedächtnisbildung nicht nur unserem Geist, sondern auch unseren Körperfunktionen zugrunde?

Viele haben die Erfahrung gemacht: Bei Krankheiten hilft oft Schlaf. Bei einer Grippe etwa steigt bei vielen Menschen das Schlafbedürfnis.

Das Gedächtnis: umfassender als gedacht?

Einen Zusammenhang zwischen der Schlafdauer und dem Immunsystem erkannten 2012 Psychologen der University of Pittsburgh. Sie hatten festgestellt: Von den 125 Teilnehmern einer Hepatitis-B-Impfung ließ sich bei 18 keine Wirkung feststellen. Aber woran könnte das liegen?

Die Forscher untersuchten eine Reihe möglicher Faktoren wie Alter, Geschlecht und Body-Mass-Index. Doch hier konnten sie keinen Zusammenhang entdecken.

Auffällig dagegen: Wer im Durchschnitt auf weniger als sechs Stunden Schlaf pro Nacht kam, hatte im Vergleich zu Teilnehmern der Impfreihe, die regelmäßig mehr als sieben Stunden schliefen, ein 11,5-mal höheres Risiko, dass der Impfstoff keine Wirkung zeigte.

Hinweise auf ein "Immungedächtnis"

Eine Forschergruppe aus den Lübecker Medizinern Jürgen Westermann und Tanja Lange, dem Utrechter Informatiker Johannes Textor und dem Tübinger Psychologen und Mediziner Jan Born wollte das genauer wissen. Sie fand 2015 weitere Anhaltspunkte dafür, dass sich während des Tiefschlafs in unserem Immunsystem Ähnliches vollzieht wie zur selben Zeit im Gedächtnis.

Wenn ein Krankheitserreger, auch "Antigen" genannt, in den Körper gelangt, dann versuchen körpereigene Abwehrzellen, den Erreger zu verschlingen. Diese Abwehrzellen, auch "antigenpräsentierende Zellen" genannt, zeigen das Antigen anderen Zellen des Immunsystems.

Manche bilden dann spezielle Antikörper gegen den Eindringling. Sogenannte "Gedächtniszellen" merken sich dabei, wie sich der Erreger am besten bekämpfen lässt.

Nach der Auswertung von rund 120 Studien erkannte die Forschergruppe nun, dass die Abwehrzellen, die sogenannten "antigenpräsentierenden Zellen", ebenfalls während des Tiefschlafes ihre Informationen weitergeben. Mehr noch: Sie haben weitere Impfstudien gefunden, die die Vermutung nähren, dass die Schlafdauer nach einer Impfung Einfluss auf den Erfolg der Impfung hat.

Ein Arzt gibt einem Kind eine Impfung per Spritze in den Oberarm.

Viel Schlaf nach einer Impfung erhöht ihre Wirksamkeit

Quelle: SWR | Stand: 04.07.2019, 11:30 Uhr

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