Mehrere Langläufer laufen einen Hügel hinauf

Skilanglauf

Langlauf extrem

Auf Skiern zum Nordpol, durch die eisigen, endlosen Schneewüsten der Arktis bei Temperaturen bis minus 30 Grad – Sport oder Wahnsinn? Die Lust am Extremen wächst. Extremtourismus, Skimarathons und ultraharte Skirennen liegen voll im Trend.

Von Monika Sax

Wintermarathon

Jedes Jahr am ersten Wochenende im März ist es so weit: In Schweden starten 14.000 Langläufer zum bekanntesten Volksskilauf der Welt, dem Wasalauf. Es geht 90 Kilometer durch winterliche Wälder und über verschneite Seen. Dieser Skimarathon ist so beliebt, dass die Startplätze bereits im Oktober ausgebucht sind.

Wer dort keinen Platz ergattert, für den gibt es noch andere Möglichkeiten: Die 14 größten, traditionsreichsten und beliebtesten Skimarathons aus Europa, Asien, Amerika und Australien haben sich im Worldloppet-Skiverband zusammengeschlossen.

Insgesamt 80.000 Menschen starten jedes Jahr bei einem dieser Wintermarathons. Auf manchen Rennstrecken tummelt sich die internationale Langlaufelite, auf anderen die lokale Prominenz. Teilnehmen kann jeder, der fit genug ist.

Deutsches Mitglied des Worldloppet-Skiverbands ist der König-Ludwig-Lauf. Mehr als 4000 Skibegeisterte aus 35 Ländern gehen jährlich am ersten Wochenende im Februar im bayerischen Oberammergau an den Start der etwa 50 Kilometer langen Strecke.

"Im Ziel weißt du nicht, ob du froh sein sollst, dass es vorbei ist, oder traurig, weil es nicht mehr weitergeht", meinte ein Amateurskiläufer nach knapp drei Stunden körperlicher Höchstleistung.

Menschenmassen auf Langlaufskiern starten beim Wasalauf.

Wasalauf – für viele das große Ziel

Skibergsteigen

Sich zwei Skier unter die Füße schnallen kann jeder. Auf den Brettern den Hang hinunterzudüsen, ist selbst für Anfänger nach ein paar Trainingsstunden kein Problem. Aber hinauf?

Skibergsteiger oder Skitourengeher verzichten auf Lifte. Um nicht auszurutschen, stapfen sie, wie früher skandinavische Jäger, mit Fellen unter den Skiern die steilsten Berge hinauf. Dafür werden sie mit einzigartigen Aussichten belohnt, mit der Stille und Unberührtheit der Natur und mit traumhaften Abfahrten in unverspurtem Schnee.

Wem diese Herausforderung noch nicht reicht, der kann Skibergsteigen auch als Wettkampf erleben. Immer beliebter werden Tourenski-Rennen wie das Saalbacher "Mountain Attack": 40 Kilometer Renndistanz, sechs Gipfel, Steigungen bis zu 70 Prozent und 3008 Höhenmeter überwinden die besten Skitouren-Begeisterten in ungefähr zweieinhalb Stunden.

Neben einer Bärenkondition braucht man für dieses Rennen vor allem den Willen, sich bis in die letzte Faser des Körpers zu quälen. Daher war der Mountain-Attack-Erfinder Roland Kurz ziemlich überrascht über den großen Andrang, als er das Rennen 1999 zum ersten Mal ausrichtete: "Ich hab' gedacht, es kommen maximal 100 Leute", sagte der ehemalige Skilehrer. Damals kamen 335, mittlerweile tun sich mehr als 1000 Starter in verschiedenen Disziplinen die Strapazen an.

Langläufer auf einem Berggrat.

Skibergsteiger auf dem Weg zum Gipfel

Auf Skiern zum Nordpol

Eine Tour zum Nordpol ist in vielerlei Hinsicht extrem: Zum einen ist da die überall eindringende, ewige Kälte. Besonders schlimm ist diese in Kombination mit Wind – der gefürchtete Windchill-Faktor. Wenn Wind mit 15 Metern pro Sekunde weht, verwandelt er 29 Grad minus in etwa gefühlte 65 Grad unter null. Augen tränen und Wimpern vereisen, Erfrierungen drohen.

Dazu kommt die psychische Belastung. Das Gefühl, wirklich alleine und abgeschieden zu sein. "In Grönland oder in der Arktis gibt es keinen Notausstieg. In einem Notfall, oder wenn man einfach nicht mehr kann, dauert die Rettung mindestens mehrere Tage. Und dieses Gefühl muss man erst mal aushalten", sagt Harald Fuchs, ehemaliger Leiter des Kurses "Polartraining für Touren in die Arktis" des Deutschen Alpenvereins in München.

Trotzdem zieht es viele Menschen zu genau solchen extremen Touren. Dafür sind sie bereit, einen ebenfalls extremen Preis zu zahlen: Bis zu 25.000 Euro ist es Extrem-Skiwanderern wert, 120 Kilometer in 16 Tagen durch die eisige Einsamkeit der Arktis zum Nordpol zu laufen.

Gesicht von Extremsportler in eisiger Kälte mit gefrorenen Wimpern, eingepackt in Felljacke mit dickem Schal. Nur die Augen bleiben frei.

Der Kampf gegen Extreme findet im Kopf statt

Suche nach Extremen

Irgendwann wird vielen der schönste Sport langweilig, wenn man immer die gleiche Strecke läuft, immer die gleichen Dinge sieht und das Gefühl hat, sich nicht weiterzuentwickeln.

Ob Gelegenheits- oder Profisportler: Über kurz oder lang ereilt diese schleichende Unzufriedenheit viele. Echte Ziele müssen her. Man möchte herausfinden, was man kann und wo Schluss ist. Für die einen reicht ein Skimarathon über 50 Kilometer, für den anderen muss es die Tour in die Arktis sein.

"In einer Gesellschaft der Sicherheiten und Versicherungen, zwischen Vollkasko-Angeboten und Rundum-Sorglos-Paketen, nimmt der Reiz des Risikos zu", sagt der Freizeitforscher Horst Opaschowski. Immer mehr Menschen suchen auf der Flucht vor der Langeweile des Alltags den Thrill, das No-Limits-Erlebnis jenseits ausgetretener Pfade.

Der ultimative Kick lässt die Seele fliegen, wenn er auch extreme Belastungen für den Körper bedeutet. Bei Erfolg erfahren Extremsportler einen immensen Schub für das Selbstbewusstsein, eine große Selbstbestätigung.

Dabei suchen Extremsportler weder den eigenen Untergang, noch handelt es sich um Verrückte, die ohne Rücksicht auf Verluste dem Abenteuer nachjagen. Extremsportler sind vielmehr Menschen, die Lust haben, sich in Grenzsituationen zu begeben.

"Was mich betrifft, ist die Gefahr nicht das Ausschlaggebende. Ich bin zufrieden, wenn ich an meine Grenzen komme. Ich brauche die Angst, die Schmetterlinge im Bauch", meint der Extremsportler Thomas Ulrich.

Ökologische Bedenken

Natur steht für Ruhe und Ausgeglichenheit. Gestresst vom Tempo der globalisierten Welt wird für viele Menschen eines immer wichtiger: Konzentration auf das Wesentliche und Entschleunigung. Womit könnte das besser gehen als mit Sport in der Natur?

"Naturerlebnisse beeinflussen mich. Sie geben mir Halt. Weitab von der Zivilisation bin ich meinem Leben am nächsten", so Extremsportler Thomas Ulrich.

Ob Wasalauf, Skibergsteigen oder die Expedition zum Nordpol: Alle Teilnehmer schwärmen nach der Anstrengung von dem einmaligen Naturerlebnis. Aber zerstören sie mit ihrem Sport nicht genau das, was sie lieben?

Wenn 14.000 Menschen durch die skandinavischen Wälder laufen, hinterlässt das Spuren. Wenn immer mehr Touristen in die Arktis reisen, werden Gefährdungen des extrem empfindlichen Ökosystems durch Verschmutzungen und eingeschleppte fremde Arten wahrscheinlicher.

Wie viel Natur darf der Sport kosten? Manche Veranstalter bieten den Kunden an, klimabewusst zu fliegen und freiwillig etwas mehr Geld zu zahlen, das dann in Klimaschutzprojekte investiert wird. Andere bemühen sich, ökologische Forschungsprojekte zu unterstützen.

Expeditionsschiff lädt Touristen auf Eisscholle ab. Die Touristen fotografieren Pinguine.

Touristen dringen in unberührte Naturräume vor

(Erstveröffentlichung 2004. Letzte Aktualisierung 03.06.2019)

Quelle: WDR

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