Wintersport im Schwarzwald

Georg Thoma – vom Hirtenjungen zum Ski-Star

Wintersport im Schwarzwald: Wie kaum ein anderer steht Georg Thoma für den großen Erfolg der Region. In den 1960er-Jahren war der junge Mann aus Hinterzarten der Star der Nordischen Kombinierer, von einem Tag auf den anderen wurde er weltberühmt.

Von Veronika Simon und Andrea Wengel

Georg Thoma wächst in einfachen Verhältnissen auf. Er ist eines von sieben Kindern, zu viele für das bescheidene Auskommen der Eltern. So müssen die beiden Ältesten als größte Esser den elterlichen Hof verlassen – und der kleine Georg muss schon im Alter von acht Jahren auf einem fremden Hof als Hirtenjunge aushelfen.

Hier wächst er in der Einsamkeit auf, lernt Heimweh und Hunger kennen, hat nur seine Tiere und Karl May, wie er später einmal erzählt. Den rund zwölf Kilometer langen Weg zur Schule muss er laufen, das ist damals so üblich. Nur im Winter ist es leichter, wenn die Kinder den Schulweg auf Skiern zurücklegen können. Ein gutes Training und vielleicht das Rezept für seinen späteren Erfolg, sagt Thoma.

In Neuglashütten bestreitet er seine erste Schülermeisterschaft. Da ist er zwölf. Es folgen die Schwarzwald-Schülerjugendmeisterschaften in Schönwald. Georg Thoma erinnert sich noch gut daran, wie die jungen Sportler mit dem Holzvergaserlastwagen dorthin gefahren werden – und auch daran, dass es nur ein einziges Paar Ski für ihn und seine Brüder gibt.

Also müssen sie sich ihre Wettkämpfe so aufteilen, dass alle nacheinander fahren können: Abfahrt, Langlauf und Skispringen. Dabei zeigt sich, dass Georg das größte Talent hat.

Im Jahr 1950 gewinnt er die Schülerskimeisterschaft im Sprunglauf und wird 1953 dreifacher Schwarzwaldjugendmeister in den Disziplinen Spezialsprunglauf, Langlauf und Nordische Kombination.

Der Skiverband Schwarzwald wird auf sein Talent aufmerksam und nimmt den jungen Sportler 1954 mit auf die Schwäbische Alb nach Onstmettingen zu den Deutschen Jugendmeisterschaften. Dort holt sich der 16-jährige Georg Thoma den ersten von insgesamt sieben Deutschen Meisterschaftstiteln.

1958 wird er erstmals Deutscher Meister bei den Senioren. Insgesamt schafft er es zwölfmal ganz nach oben aufs Treppchen: neunmal in der nordischen Kombination und dreimal im Spezialsprunglauf.

Im Sport ist das Leben in den 1950er- und 1960er-Jahren denkbar schlicht. Es regiert kein Geld, stattdessen gibt es Sachpreise. Sehr begehrt ist das Wurstbrot mit "Stadtwurst", einer Lyoner, denn von zu Hause kennen die jungen Athleten nur "Schwarzwurst" (Blut- oder Leberwurst).

Und bei all dem Erfolg ist Georg Thoma jeglicher Rummel um seine Person seit jeher unangenehm. Der junge Mann, der die Einsamkeit sucht, der nach der Schule zunächst als Holzfäller arbeitet, dann zu den Mittenwalder Gebirgsjägern berufen wird und schließlich als Briefträger seinen Lebensunterhalt verdient – er möchte anfangs am liebsten den Siegerehrungen fernbleiben.

Olympiagold für Hinterzarten

"Also jetzt, vor allem die Leute in Hinterzarten, jetzt setzen Sie sich mal hin und atmen Sie ganz tief ein und aus! Ich hab's nämlich ganz genauso gemacht. Ich hab's nicht fassen können, was heute passiert ist. Es hat eine Riesen-Sensation gegeben: Georg Thoma hat die Goldmedaille gewonnen!"

Mit diesen Worten übermittelt SWF-Sportreporter-Legende Gerd Mehl den Sieg, mit dem niemand gerechnet hat. Es ist der 22. Februar 1960. Bei den Olympischen Winterspielen in Squaw Valley, Kalifornien, schreibt ein junger Postbote aus Hinterzarten Wintersportgeschichte – und kann es selbst kaum glauben.

Nicht mal nach seiner Führung im Springen scheint es möglich, die seit 1924 ungeschlagenen Skandinavier in der Nordischen Kombination zu besiegen. Doch dann läuft er das Rennen seines Lebens, wie er selbst sagt. Und immer noch denkt Georg Thoma an einen Irrtum, will nicht mal zur Siegerehrung.

"Da brauchen wir gar nicht hingehen, die haben sich verrechnet", ist er überzeugt. Doch tatsächlich steht der Schwarzwälder wenig später ganz oben auf dem Siegerpodest, ausgezeichnet mit olympischem Gold.

Portrait Georg Thoma

Planet Wissen 08.12.2020 02:47 Min. Verfügbar bis 11.12.2024 SWR

Mit einem Mal ist Georg Thoma überall bekannt, steht der Wintersport im Schwarzwald im öffentlichen Fokus. Bei seiner Heimkehr aus Squaw Valley empfangen den frischgebackenen Olympiasieger 20.000 begeisterte Schwarzwälder in Hinterzarten.

Mit dem Auto fährt er durch die Menge und winkt, eher verlegen. Der ganze Wirbel um seine Person sei ihm etwas peinlich, meint er bescheiden. Noch im gleichen Jahr wird Georg Thoma "Sportler des Jahres" und bekommt das Silberne Lorbeerblatt verliehen. Er ist nun einer der Großen des Sports, Fritz Walter wird sein Trauzeuge, Max Schmeling sein Freund.

Ein Schwarzwälder wird zur Ski-Legende

Bis Mitte der 1960er-Jahre ist Georg Thoma erfolgreich im internationalen Sport unterwegs. Unter anderem wird er 1963 Weltranglistenerster in der Nordischen Kombination. Ein Jahr später bekommt er den Holmenkollen-Orden durch Kronprinz Harald von Norwegen verliehen. Voraussetzung dafür ist eine fünfmalige Teilnahme, dabei dreimal unter den ersten Siegern; Thoma siegte in den Jahren 1963 bis 1965.

Bei seinen zweiten Olympischen Winterspielen 1964 in Innsbruck gewinnt er noch einmal die Bronzemedaille in der Nordischen Kombination. Mit dem Sieg der Weltmeisterschaft 1966 im norwegischen Oslo in der gleichen Disziplin beendet er seine Karriere und gibt noch vor Ort bei Sportreporter Harry Valérien seinen Rücktritt bekannt.

Sportler durch und durch

Aber auch nach seiner aktiven Laufbahn bleibt Georg Thoma dem Skisport treu. In den 1980er-Jahren wird er mehrfach Senioren-Weltmeister im Skilanglauf, beim 100-Kilometer-Rucksacklauf (Wäldercup) hält er bis heute mit fünf Stunden und 51 Minuten den Rekord. Der Hinterzartener nimmt insgesamt sechsmal am berühmten Wasalauf in Schweden teil und belegt dabei 1980 bei 12.000 Läufern Platz 79.

Und auch ohne Schnee ist Georg Thoma immer in Bewegung. 20 Jahre lang arbeitet er als Tennislehrer, führt Touristen-Touren mit dem Mountainbike und fährt mit dem Rennrad alle großen Alpenpässe. Aber immer wieder sucht er auch die Stille der Natur in seiner Schwarzwälder Heimat. Der Wald, so sagt er, sei sein Lebenselixier.

Schwarzwälder Skimuseum

Was wünscht sich ein Sportler, der in seiner aktiven Laufbahn alles erreicht hat? Nicht viel – und doch etwas ganz Besonderes. Anlässlich seines 50. Geburtstages bittet Georg Thoma seine zahlreichen Gäste um Spenden für ein Skimuseum.

Es dauert noch gut ein weiteres Jahrzehnt, bis aus dieser Idee Wirklichkeit wird. 1997 ist es dann so weit: Im mehr als 300 Jahre alten Hugenhof, einem ehemaligen Bauernhof, wird die Geschichte des Skilaufens wieder lebendig – von den Anfängen im Schwarzwald um 1890 bis zum Trendsport heute.

Unter den vielen erfolgreichen Athleten, denen der Besucher hier wieder begegnen kann, hat einer einen ganz besonderen Platz: Georg Thoma, die Ski-Legende aus Hinterzarten.

Quelle: SWR | Stand: 05.12.2019, 17:00 Uhr

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