War es Selbsttötung?
Ein vermisster Mechaniker und Gewebereste in einer Schreddermaschine eines Recyclingunternehmens stellten den Rechtsmediziner Klaus Püschel vor ein Rätsel: War es Suizid? Ein Unfall? Oder vielleicht sogar ein Mord?
Ein Verbrechen ohne Leiche ist schwer aufzuklären. Gibt es einen Leichnam, können Spuren gesichert werden, man sieht Verletzungen, es gibt Hinweise auf die Tatwaffe und vielleicht auch auf den Täter.
Doch die gründliche Recyclingmaschine hatte fast nichts mehr von dem Mitarbeiter übrig gelassen. Das, was gefunden wurde, landete in der Rechtsmedizin: 17,8 Gramm gehäckselte biologische Masse.
Am Arbeitsplatz des Verschwundenen stellte die Polizei persönliche Gegenstände sicher. Sein Auto parkte noch vor der Firma, auch sein Handy war in seinem Rucksack. Seine Ehefrau war besorgt. Es habe familiäre Probleme gegeben, ihr Mann habe sich auffallend verhalten in der letzten Zeit. Ein wichtiges Indiz für einen möglichen Suizid.
Eine molekulargenetische Analyse der DNA aus den menschlichen Überresten aus dem Schredder identifizierte diese eindeutig als den verschwundenen Mitarbeiter. Rückschlüsse auf Verletzungen oder Fremdeinwirken gaben diese Befunde natürlich nicht. Püschel hatte nur noch die Möglichkeit der toxikologischen Untersuchung, doch die erwies sich als negativ. Mord? Unfall? Suizid?
Die Polizei entdeckte schließlich Spuren des Mitarbeiters an der Maschine. Anhand der Aussagen seiner Kollegen konnte der Fall schließlich rekonstruiert werden. Der Mitarbeiter hatte das Förderband zum Einfülltrichter abgestellt, war dann zum Trichter hochgeklettert und hatte sich in die Schreddermaschine fallen lassen.
Anzeichen, dass ein weiterer Mensch beteiligt war, gab es nicht. Die Ermittler kamen anhand dieser Befunde zu dem Schluss, dass es sich um eine Selbsttötung gehandelt haben musste.
Die verschwundenen Opfer
Aufsehen erregte auch eine Mordserie in Hamburg: Die Opfer lösten sich buchstäblich auf – jedoch nicht in Luft, sondern in Säure.
Im Dezember 1992 hatte die Hamburger Polizei nach der 61-jährigen Hildegard K. gesucht, die seit Jahren vermisst wurde. Eine Spur führte die Polizisten zum Grundstück des Kürschnermeisters Lutz R. im Norden von Hamburg.
Dort machten sie eine grausige Entdeckung: Unter einer zwei Meter dicken Betondecke fanden sie ein Säurefass, darin schwammen Leichenteile. Klaus Püschel und seine Kollegen in der Rechtsmedizin konnten diese schließlich Hildegard K. zuordnen. Der Fund war das letzte Puzzlestück in einer unheimlichen Mordserie.

In einem Säurefass finden die Rechtmediziner die Überreste einer Frau
Wenige Wochen vorher hatte es einen ähnlichen Fund gegeben, in Basedow auf dem Grundstück des Ferienhauses von Lutz R. Hier hatten die Ermittler das erste Säurefass gefunden. Für Püschel und sein Team war es der erste Fall dieser Art gewesen. Beim Auskippen des Inhalts verätzte die Salzsäure die Edelstahloberfläche des Seziertisches der Rechtsmedizin.
Neben ätzender Säure fanden die Rechtsmediziner auch Leichenteile: die Überreste der seit 1988 vermissten Industriekauffrau Annegret B.
Lutz R. hatte seine Opfer verschleppt, missbraucht und gequält, bevor er sie tötete, zerstückelte und in Säurefässer steckte.
Die Opfer einfach in Salzsäure auflösen? Was in TV-Serien funktioniert, ist in der Realität nicht so einfach. So war der Zustand des ersten Säurefass-Opfers für Püschels rechtsmedizinisches Auge noch ganz gut: "Wir konnten die einzelnen Körperteile noch sehr gut unterscheiden und haben zum Beispiel am Schienbeinknochen noch Sägespuren gefunden."
Die Leichen wurden also sorgfältig zerteilt, ehe sie in der Salzsäure für immer verschwinden sollten. Der Zustand des zweiten Opfers war deutlich schlechter, doch anhand der Überreste der Zähne konnte die Leiche identifiziert werden.
Der Säurefassmörder Lutz R. wurde zu lebenslanger Freiheitsstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt.
Ein atem(be)raubender Fall
In seinen 40 Dienstjahren hat Rechtsmediziner Klaus Püschel über 12.000 Obduktionen durchgeführt. Manches, was er auf den Seziertisch bekam, war dabei durchaus sonderbar. Speziell bei autoerotischen Unfällen zitiert Püschel den Satz: "Es gibt nichts, was es nicht gibt."
So wie der Fall dieses Mannes: Als Püschel sich des Toten annimmt, entdeckt er, dass die Leiche vollständig mit Scheiblettenkäse bedeckt ist. Fixiert ist die Käseauflage am Körper durch Nylonstrumpfhosen. Darüber trägt der Tote einen Taucheranzug aus Neopren. Über seinen Kopf ist eine Plastiktüte gestülpt, in der es nach Äther riecht. Ein perverser Mord? Nein.
Polizei und Rechtsmedizin stufen diesen Fall als typischen autoerotischen Unfall ein. Manche Menschen suchen Wege, ihre Lust bei autoerotischen Handlungen zu steigern. Das Gefühl, zu ersticken – verursacht durch eine Plastiktüte über dem Kopf – soll Dopamin im Körper freisetzen und das sexuelle Empfinden verstärken.
Der Mann im Taucheranzug hatte die Lust gesucht und den Tod durch Ersticken gefunden.
Püschel empfiehlt bei solchen autoerotischen Unfällen, trotzdem genau hinzusehen. War eine andere Person anwesend? Gibt es Spuren, die auf Kampfgeschehen hinweisen? Oder stand das Opfer vielleicht unter Drogeneinfluss?
Seine spektakulärsten Mordfälle hat Klaus Püschel zusammen mit der Gerichtsreporterin Bettina Mittelacher in zwei Büchern niedergeschrieben. Hierin erzählt er von prominenten Opfern, verwirrenden Moorleichen und falschem Voodoo-Zauber.

Rechtsmediziner untersuchen penibel die Todesursache
Quelle: SWR | Stand: 24.07.2018, 16:00 Uhr