Ein Tatort mit Nummernschildchen versehen.

Kriminalistik

Fallanalytiker

Wenn ein Verbrechen geschehen ist und die Kriminalbeamten kein klares Verhaltensmuster erkennen, werden oft Fallanalytiker in die Ermittlungen einbezogen.

Von Wiebke Ziegler

Ein Fall für Axel Petermann

Eine Leiche wird gefunden. Verletzungen am Körper weisen darauf hin, dass die Frau vermutlich erwürgt wurde. Ihr Körper ist verstümmelt. Während der Obduktion finden Rechtsmediziner Spuren eines Schlafmittels.

Die Kriminalbeamten stehen vor einem Rätsel. Wie kam es zu dieser Gräueltat? Wer ist der Mörder und was das Motiv? Der Fallanalytiker Axel Petermann geht diesen Fragen auf den Grund. Er untersucht den Fall und rekonstruiert den Tathergang.

Mord, Raub, Vergewaltigung: Fälle wie diese landen auf seinem Tisch. Axel Petermann vom Landeskriminalamt Bremen leitet die Dienststelle für operative Fallanalyse. Petermann und seine Kollegen werden in die Ermittlungen einbezogen, wenn der Täter Verhaltensmuster aufweist, die für die Kriminalbeamten auf Anhieb keinen Sinn ergeben.

Den Tathergang verstehen

Sein Team untersucht erneut die Spuren, die am Tatort gefunden wurden. Ihnen helfen dabei Fachleute wie Biologen, Rechtsmediziner und Schusswaffenexperten. Die Fallanalytiker versuchen so genau wie möglich zu rekonstruieren, was geschehen sein könnte. Auch Menschen aus dem Umfeld des Täters oder Opfers können weiterhelfen.

Ob Domina oder Bankräuber – Personen, die für gewöhnlich mit der Polizei wenig am Hut haben, können wichtige Hinweise liefern, um das Täterverhalten zu verstehen. "Habe ich den Ablauf der Tat verstanden, kann ich auch das Motiv bestimmen", sagt Petermann. Je mehr er über den Täter wisse, desto eher könne er dessen Handlungen verstehen.

Die Spuren richtig deuten

Ein Mord hinterm Bahnhof. Die Tat kann nicht lange her sein, die Leiche ist noch warm. Petermann ermittelt in solchen Fällen direkt am Tatort, schaut sich das Opfer und die Umgebung genau an. Er prüft, ob es zuvor zu einer Auseinandersetzung gekommen ist, ob sich das Opfer gewehrt hat. Die Beamten rekonstruieren oft noch am Tatort den Tathergang.

"Die Spuren müssen zueinanderpassen, also einen logischen Ablauf des Verbrechens erklären", sagt Petermann. Auch die Ergebnisse aus der Obduktion müssen die Ermittler berücksichtigen.

Die Rechtsmediziner untersuchen das Blut und den Mageninhalt auf Medikamentenrückstände, Gift und Drogen. Finden sie etwa Spuren eines Schlafmittels, sind das wichtige Informationen für den Fallanalytiker Petermann.

Hat das Opfer das Schlafmittel selbst eingenommen oder wurde es ihm eingeflößt? Um das herauszufinden, schlucken Petermann und seine Kollegen auch schon mal selbst ein Mittel. Schmeckt es sehr bitter, so hätte das Opfer den Geschmack bemerkt. Das Ergebnis eines Selbstversuchs: "Die Tabletten schmeckten fürchterlich. Das Opfer musste die Schlaftabletten also selbst eingenommen haben", sagt Petermann.

Eine Leiche wird obduziert.

Eine Obduktion liefert Hinweise auf die Todesursache

Sich in den Täter hineinversetzen

Axel Petermann versucht sich in den Täter hineinzuversetzen. Er versucht zu verstehen, was der Mörder während der Tat empfunden hat, warum er gerade dieses Opfer wählte. Petermann ist ein Profi, der sich auf die Fakten konzentriert. Doch sich mit der Gewalt auseinanderzusetzen, fällt auch ihm nicht immer leicht.

"Ich habe die Bilder von manchem Tatort und Opfer mit nach Hause genommen", sagt er. Heute versuche er, das Opfer und dessen Empfindungen während der Tat nicht an sich heranzulassen. Ihn interessiere bloß, welche Entscheidungen der Täter getroffen hat – und warum.

Das ist umso schwieriger, je kranker die Fantasien des Mörders seien, wenn dieser etwa seine Opfer foltere und zu Tode quäle. Sich in ein solches Hirn hineinzuversetzen, dürfte den meisten Menschen schwerfallen.

Petermann holt in diesen Fällen den Rat von verurteilten Mördern ein, die im Gefängnis oder in der Forensik ihre Strafe abbüßen. Das mag unüblich erscheinen, bringt die Ermittlungen aber voran. Schon öfter lieferten ihm Häftlinge jene Informationen, die ihm fehlten, um das Verbrechen zu verstehen.

Ein Mann im Gefängnis

Verurteilte Verbrecher können wichtige Hinweise geben

Wie realistisch sind CSI, Tatort und Co.?

Akten wälzen, Berichte schreiben, telefonieren: Mit den Fernsehermittlern hat Petermann nur wenig gemein. Seine Arbeit ist vermutlich unspektakulärer, als es sich viele vorstellen. Was die Filmermittler in Spielfilmlänge schaffen, dauert in Wirklichkeit viele Wochen und Monate.

Und auch die Aufklärungschancen stehen im Krimi deutlich besser als im wahren Leben. Im Krimi klappt's immer. Nach Angaben von Petermann schaffen es die Fallanalytiker in etwa 90 Prozent der Fälle, den Täter zu fassen.

Petermann berät verschiedene Fernsehproduktionen. Es geht vor allem darum, dass sich die TV-Ermittler keine groben Schnitzer erlauben. Petermann prüft, wie realistisch der Fall ist. Und ob Todesursache, Spuren und Motiv zusammenpassen. Einige der Fälle, an denen Petermann gearbeitet hat, dienten bereits als Grundlage für den "Tatort" aus Frankfurt.

Ermittler der Fernsehserie CSI New York bei der Arbeit.

Spannender Alltag der Fernsehermittler

Fallanalytiker in Deutschland

Jedes Bundesland hat eine eigene Dienststelle für "Operative Fallanalyse". Diese Dienststellen gehören den jeweiligen Landeskriminalämtern (LKA) an. Darüber hinaus gibt es im Bundeskriminalamt (BKA) eine eigene Dienststelle, die sich vor allem mit Fällen im Ausland beschäftigt. Nach Angaben von Axel Petermann arbeiten in Deutschland etwa 100 Fallanalytiker.

(Erstveröffentlichung 2013. Letzte Aktualisierung 24.07.2018)

Quelle: WDR

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