Das steinerne Herz
Die Kathedrale von St. Denis in Paris besitzt eine wertvolle königliche Reliquie. In einer Kristallurne wird das mumifizierte Herz eines zehnjährigen Jungen aufbewahrt, der während der Französischen Revolution unter mysteriösen Umständen starb.
Die meisten sind sich einig, dass dieses Herz dem letzten direkten Nachfahren der Bourbonen-Dynastie gehörte, dem Sohn von Ludwig XVI. und Marie Antoinette, und dass mit Louis Charles 1795 die ganze königliche Linie ausstarb.
Einige glauben jedoch, dass das Herz einem untergeschobenen Kind gehört. Der wahre Thronerbe sei entkommen und habe selbst Kinder gezeugt. Deren Nachfahren hätten Anspruch auf den Thron von Frankreich. 200 Jahre wurde darüber heftig spekuliert.
Ist er's oder ist er's nicht?
Um Betrügern das Handwerk zu legen, initiierte Duc de Bauffremont, Vorsitzender einer Organisation zur Pflege der französischen königlichen Grabmäler und Ruhestätten, 1999 eine DNA-Analyse des Herzens.
Der Gen-Wissenschaftlers Jean-Jacques Cassiman von der Universität Leuven in Belgien extrahierte dazu DNS-Moleküle der besonderen Art: Mitochondrien-DNS. Im Gegensatz zur normalen DNS, die wir jeweils zur Hälfte von unseren Eltern erben, wird die DNS der Mitochondrien nur über die mütterliche Linie weitergegeben. Sie kann den Tod des Körpers noch lange überleben.
Im Labor entwickelte der Forscher einen unangreifbaren Test. Und zwar mit Hilfe eines Verfahrens, das die DNS-Analyse revolutioniert hat: der sogenannten Polymerase-Kettenreaktion. Die Vervielfältigung der Probe erlaubt die Sequenzierung selbst eines einzigen DNS-Moleküls. Wissenschaftler nennen das DNS-Amplifizierung.
Das Verfahren revolutionierte die Genforschung und sein Erfinder bekam dafür den Nobelpreis. Dank PCR-Technik reicht schon eine kleine Mitochondrien-DNS-Probe aus, um genügend Material für vergleichende Untersuchungen herzustellen.
Um die Verwandtschaft zu Marie Antoinette zu beweisen, untersuchte Cassiman DNS aus den Haaren ihrer Schwestern. Nach Wochen der Untersuchung konnte der Forscher im April 2000 der Öffentlichkeit endlich seine Ergebnisse präsentieren. Danach gibt es keinen Zweifel, dass der gestorbene Junge mit Marie Antoinette verwandt war.
Man mag einwenden, dass die DNS nicht die Identität des Jungen als Ludwig der XVII. beweist, doch die Wahrscheinlichkeit ist sehr hoch. Damit hat die Genforschung eines der größten Rätsel der französischen Geschichte gelöst – zumindest für den Moment.

Die DNS-Amplifizierung revolutionierte die Genforschung
Das Findelkind
Erbstreitigkeiten, Intrigen und Mord sind auch die brisanten Zutaten in der Geschichte um Kaspar Hauser. War das berühmte Findelkind, das 1828 im Alter von 15 Jahren in Nürnberg aufgelesen wurde, der Erbprinz von Baden oder nicht? Bereits zu Lebzeiten Hausers bewegte diese Frage die Gemüter.
Gerüchte gingen um: Kaspar sei das Opfer der Gräfin Hochberg geworden, der zweiten Frau des Markgrafen Friedrich von Baden. Sie habe dessen Nachwuchs beseitigen lassen, um ihren eigenen Sohn auf den Thron zu hieven. Tatsächlich starben alle Nachfahren der erbberechtigten Linie unter mehr oder weniger mysteriösen Umständen.
Als Kaspar 1833 tödlich niedergestochen wurde, setzte sogar der König von Bayern ein Kopfgeld auf die Ergreifung des Attentäters aus. Doch alle Versuche scheiterten, Licht ins Dunkel seiner Herkunft zu bringen.
Der "Spiegel" initiierte 1996 erstmals eine gentechnische Untersuchung, mit der das Geheimnis Kaspar Hausers endgültig geklärt werden sollte. Dazu wurde ein getrockneter Blutfleck untersucht, den man auf einer Hose Hausers gefunden hatte.
Das Ergebnis schien den Erbprinz-Mythos endgültig zu entzaubern. Doch die Spekulationen verstummten nicht. Mit verfeinerten Analysemethoden begann die Jagd nach der Wahrheit im Jahr 2002 aufs Neue.
Im Auftrag des ZDF untersuchte das Institut für Rechtsmedizin der Universität Münster eine Haarlocke Hausers sowie Körperzellen, die man im Schweißband seines Zylinders fand. Als Vergleichsprobe diente die DNS einer lebenden Nachfahrin des Hauses Baden. Diesmal hieß es, die Proben seien weitgehend identisch – der Blutfleck stamme hingegen gar nicht von Hauser.
Die Spur Kaspars führt also womöglich doch wieder ins Fürstenhaus. Der Fall Kaspar Hauser offenbart ein Problem der Gentechnik, mit dem Kriminalisten auch bei der Aufklärung aktueller Mordfälle zu kämpfen haben: Spuren am Tatort lassen sich zwar genanalytisch identifizieren, aber zur Beweisführung gehört auch die zweifelsfreie Zuordnung zum Täter.

Kaspar Hauser
Der Fall Rohwedder
Im April 1991 wird der Treuhandchef Detlev Karsten Rohwedder im Arbeitszimmer seines Hauses erschossen. Gleich die erste Kugel trifft ihn in den Rücken. Am Tatort findet die Spurensicherung ein blaues Handtuch, leere Patronenhülsen, außerdem ein Bekennerschreiben der Roten Armee Fraktion (RAF).
Als die Ermittler auf dem Handtuch Haare finden, scheint die Lösung des Falls in greifbare Nähe zu rücken. Es könnten die Haare des Täters sein.
Doch es gibt ein Problem: Die DNA ist zerstört. Mit so einem Erbgut-Mosaik können die Forscher nichts anfangen. Die wichtigste Spur im Fall Rohwedder verschwindet in der Asservatenkammer des BKA.
Erst zehn Jahre später nehmen sich die Biologen den haarigen Beweis noch einmal vor, denn RAF-Fälle verjähren nicht. Mittlerweile hat sich die Genanalyse sehr viel weiter entwickelt.
Diesmal ergibt die Untersuchung, dass das Haar eindeutig dem RAF-Terroristen Wolfgang Grams gehört. Doch ist er auch der Mörder Rohwedders? Mit Hilfe der Gentechnik konnte bewiesen werden, dass Grams am Tatort war – aber nicht, ob er auch die tödlichen Schüsse abfeuerte. Der Fall bleibt also weiter ungeklärt.

Wurde von der RAF ermordet: Detlev Karsten Rohwedder
Quelle: SWR | Stand: 24.07.2018, 16:00 Uhr