Statue von Robin Hood in Nottingham

Räuber

Edle Schurken

Von den Reichen wegen ihrer brutalen Überfälle gefürchtet, von den Armen als Helden im Kampf gegen das Unrecht verehrt. So wurden sie bekannt, die "edlen Schurken", die gefürchtetsten – und beliebtesten – Banditen der Weltgeschichte.

Von Swen Gummich

Die Rächer

Viele berühmt gewordene Räuber, Mörder und Banditen wollen mit ihren Taten Rache für erlittenes Unrecht üben. Ned Kelly, 1854 in Australien geboren, gehört dort noch heute zu den größten Volkshelden.

Nach dem frühen Tod seines Vaters muss er schon mit 12 Jahren die Rolle des Familienoberhauptes übernehmen. Die Polizei schikaniert die irische Einwandererfamilie, erpresst Schutzgelder und zerstört schließlich das Haus der Kellys.

Im Alter von 15 Jahren steht Ned das erste Mal vor Gericht. Später wird er zum Outlaw aus Überzeugung. Sein Widerstand gegen die englischen Besatzer macht ihn zum Volkshelden.

Der US-Amerikaner Robert Leroy Parker dagegen, besser bekannt als Butch Cassidy, stiehlt als Jugendlicher einen Sattel und wird im Gefängnis misshandelt.

Er schließt sich einer Räuberbande an und gründet 1897 seine eigene Gangsterhorde, genannt "Wild Bunch" ("der wilde Haufen"), die zeitweise aus mehr als 100 Männern besteht. Angeblich achtet Butch bei seinen unzähligen Überfällen darauf, dass möglichst wenige Menschen getötet werden.

Virgulino Ferreira da Silva, genannt "Lampião", lebt Anfang des 20. Jahrhunderts als Cowboy in Brasilien, bis seine Eltern von einem brutalen Landbesitzer ermordet werden. Er schwört ewige Rache. Mit seinen Brüdern schließt er sich einer umherstreifenden Bande an. Seinen Spitznamen, "Lampe", verdankt er dem hellen Aufblitzen seines Gewehres im Kampf mit der Polizei.

In den 15 Jahren seiner Herrschaft im brasilianischen Nordosten wird er wegen seiner unmenschlichen Grausamkeit gefürchtet, 1938 erschießt ihn die Polizei. Dennoch ist er heute der Held zahlreicher Telenovelas, Bücher und Filme.

Ned Kelly, Butch Cassidy, Lampião und viele andere Schurken haben nach ihrem ersten Mord oder Überfall eines gemeinsam: Obwohl sie ihre Tat als moralisch gerecht betrachten, gibt es danach kein Zurück mehr in ein normales Leben.

Die Freiheitskämpfer

Damit aus einem Gauner und Banditen ein Held wird, muss sich sein Schicksal mit dem des Volkes verknüpfen. Der edle Schurke zieht stellvertretend für alle in den Kampf gegen die Unterdrücker. Zum Beispiel in politischen Freiheitskämpfen.

Der legendäre Robin Hood kämpft im 13. Jahrhundert gegen die verhasste Fremdherrschaft der Normannen in Englan. Die deutschen Piraten um die Kapitäne Klaus Störtebeker und Gödeke Michels im 14. Jahrhundert kämpfen gegen die dänischen Könige in der Ostsee. Die andalusischen Banditen im 19. Jahrhundert kämpfen gegen die französischen Eroberer und Salvatore Giuliano im 20. Jahrhundert für die Unabhängigkeit Siziliens von Italien.

Schauspieler Ken Duken als Klaus Störtebeker bei den Dreharbeiten zum ARD-Film "Störtebeker"

Klaus Störtebekers Leben wird bis heute immer wieder nachgestellt

Der "Schinderhannes" Johannes Bückler, geboren 1778, ist dagegen ein eher gewöhnlicher Verbrecher. Berühmt wird er dennoch, weil er in der Zeit der napoleonischen Besatzung mit seinen Taten zugleich die verhasste französische Obrigkeit angreift.

Der "Schinderhannes" wird zum Tod verurteilt (am 20.11.1803)

WDR Zeitzeichen 20.11.2023 13:51 Min. Verfügbar bis 20.11.2099 WDR 5


Download

Die sozialen Rebellen

Auch Banditen, die gegen soziales Unrecht im eigenen Land kämpfen, werden schnell als Helden verehrt. Die meisten sozialen Rebellen kommen aus ärmsten Lebensverhältnissen.

Andalusische Banditen in Spanien – unter anderem "El Tempranillo" María Hinojosa Cobacho, "El Barbudo" Jaime Alfonso und Juan José Mingola Gallardo, genannt "Pasos Largos" – kämpfen im frühen 19. Jahrhundert auch nach dem Sieg über Napoleon noch viele Jahre gegen die brutale Ausbeutung der Kleinbauern durch die Großgrundbesitzer.

Aus demselben Grund werden Virgulino Ferreira "Lampião" und seine Bande zu Helden der ärmsten Schichten im Nordosten Brasiliens. Ned Kelly wird in Australien von denen verehrt, die als Nachfahren deportierter Verbrecher niemals eine echte Chance auf sozialen Aufstieg hatten. Seine Art der Selbstjustiz ist aus ihrer Sicht die logische Antwort darauf.

Die US-Amerikaner Jesse James und Butch Cassidy mit ihren gefürchteten Banden kämpfen bei ihren Raubzügen bewusst gegen die amerikanischen Nordstaaten. Sie ermorden reiche Industrielle und plündern ausbeuterische Banken. Von vielen armen Amerikanern im Süden und Westen werden ihre Taten als gerechte Strafe gesehen, weil die Nordstaaten nach ihrem Sieg im Amerikanischen Bürgerkrieg die Industrialisierung vorantreiben, Farmer enteignen und ländliche Strukturen zerstören.

Der Mythos vom Helden

Die mythischen Banditen und Räuber leben meist in Wäldern, Gebirgen oder unzugänglichen Landschaften, verborgen vor den Augen der Öffentlichkeit.

Schon zu Lebzeiten ist wenig Genaues über sie bekannt. Die Menschen erzählen sich über ihre Überfälle und Morde immer neue gruselige Geschichten. Aber man hört auch, dass Butch Cassidy einer armen Witwe Geld aus einem Banküberfall gibt, Lampião die Familien armer Tagelöhner finanziell unterstützt und Salvatore Giuliano mit geraubten Geldern Medizin und Lebensmittel für die ärmsten Familien seines Dorfes kauft.

Schnell entsteht so der Mythos von einem neuen Robin Hood, der die Reichen beraubt, um die Beute unter den Armen zu verteilen. Die große Brutalität, mit der die Banditen bei ihren Taten vorgehen, wird gerechtfertigt und jede Form von persönlicher Habgier heruntergespielt.

Die meisten Banditen werden nicht alt und sterben bei der Verfolgung durch die Polizei. Meist geraten sie in einen Hinterhalt, nachdem sie von falschen Freunden oder ehemaligen Bandenmitgliedern verraten wurden.

Andere werden lebend gefasst und lassen sich stolz zu ihrer Hinrichtung führen. Sie sterben erhobenen Hauptes. Das steigert nochmals die Verehrung ihrer heimlichen Bewunderer. Sie werden in Balladen, Liedern, Tänzen, Opern und Legenden zu edlen Helden verklärt.

(Erstveröffentlichung 2003. Letzte Aktualisierung 01.05.2021)

Quelle: WDR

Darstellung: