Was ist Neuromarketing und wie funktioniert es?
Im Neuromarketing verbinden Wissenschaftler Erkenntnisse der Hirnforschung und der Psychologie für das Marketing. Die Forscher beobachten und untersuchen dabei zum Beispiel mithilfe des Kernspintomographen die Reaktionen im Gehirn beim Anblick bestimmter Marken, Logos, Gesichter oder Produkte. Funktionelle Magnetresonanztomographie, kurz fMRT, heißt diese Methode.
Der Kernspintomograph macht die Aktivität der verschiedenen Gehirnareale über magnetische Schwingungen sichtbar. Auf diese Weise können die Hirnforscher festhalten, welche Bereiche im Gehirn wann reagieren.
So können sie die Wirkungsweisen differenzieren. Denn die Neurowissenschaftler wissen mittlerweile über viele Gehirnregionen, in welchen Situationen sie aktiv werden.
Von besonderem Interesse ist der sogenannte "Nucleus accumbens". Die Aktivität dieser Gehirnregion, die auch Belohnungszentrum genannt wird, löst bei uns ein Gefühl des Haben-Wollens aus und sorgt für ein Glücksempfinden.
Andere Areale sind für die Kontrolle zuständig und können impulsives Verhalten unterdrücken, oder sie steuern gedächtnisbezogene Hirnprozesse.

Der Kernspintomograph macht den Blick ins Gehirn möglich
Gründe für den Blick ins Gehirn
Eine der zentralen Fragen der Marketingfachleute lautet: Wie kann ich die Aufmerksamkeit des Konsumenten auf mein Produkt lenken und ihm so in Erinnerung bleiben?
In Zeiten der Reizüberflutung, des Überflusses an Produkten und einer zunehmenden Individualisierung der Konsumenten ist es für Unternehmen schwierig, sich mit ihren Produkten zu positionieren und auf dem Markt durchzusetzen.
Nach Angaben des "Zentralverbands der deutschen Werbewirtschaft" (ZAW) fließen jährlich rund 40 Milliarden Euro in die Werbebranche. Allerdings mit mäßigem Erfolg. Denn viele Produkte, die neu auf den Markt strömen, bleiben weitgehend unbeachtet.
Hier soll Neuromarketing helfen – zum Beispiel um die Frage zu beantworten, warum diverse Marken besser in Erinnerung bleiben als andere.
Von der fMRT erhoffen sich zum Beispiel Unternehmen und Marketingfachleute zuverlässigere Ergebnisse über das Konsumentenverhalten als zum Beispiel durch Fragebögen: Flunkern ist beim Gehirnscan nicht drin. Und zudem macht das fMRT auch unbewusste Abläufe sichtbar – wie zum Beispiel die Gedächtnisprozesse im Gehirn.

Was in den Einkaufstüten landet, ist schwer vorherzusagen
Ergebnisse aus dem Kernspintomographen
Die Werbebranche hat schon längst die Erfahrung gemacht: Rabatte kurbeln den Konsum an. Und genau das belegt auch der Gehirnscan. Forscher haben bei Testpersonen festgestellt, dass Rabattschilder dafür sorgen, dass eine Kontrollregion im Gehirn an Aktivität nachlässt beziehungsweise nicht so stark durchblutet wird.
Auf Touren gebracht wird hingegen das Belohnungssystem. Außerdem hat das "Life & Brain"-Zentrum an der Universität Bonn, eines der Forschungszentren in Sachen Neuromarketing, herausgefunden: Models mit Idealfiguren aktivieren bei vielen Testpersonen ebenfalls das Belohnungszentrum, das für ein "Haben-Wollen" und für ein Glücksgefühl zuständig ist.
Ein anderes Ergebnis der Versuche des "Life & Brain"-Instituts: Gesichter bleiben besser in Erinnerung als Logos. Denn Gesichter aktivieren den Forschern zufolge viel stärker die Gehirnareale, die mit Gefühlen und mit der Gedächtnisbildung in Verbindung gebracht werden.
Und Untersuchungen im Kernspintomographen belegen auch, dass ein Markenname am ehesten in Erinnerung bleibt, wenn er zu Beginn eines Werbespots über den Bildschirm flimmert.
Eine andere Studie, die US-Forscher vor einigen Jahren durchgeführt haben, weist darauf hin, wie wichtig offenbar Marken und Image sind. Die Wissenschaftler gaben Testpersonen einmal den Marktführer Coca-Cola zu trinken und ein anderes Mal das Konkurrenz-Produkt Pepsi. Wussten die Probanden nicht, welches Produkt sie gerade tranken, mundete einem Großteil Pepsi besser.
Als man ihnen die Markennamen jedoch vorstellte, schmeckte plötzlich den meisten – eigenen Angaben zufolge – die Coca-Cola besser. Auf ihrem Computer sahen die Wissenschaftler, dass in diesem Fall die Gehirnregion aktiv war, in der sich auch das Selbstbild eines Menschen entwickelt. Der Geschmack wurde offenbar zweitrangig, das Image hingegen entscheidend.
Ein "Kaufknopf" im Gehirn, da sind sich die Wissenschaftler allerdings einig, wird sich auch mithilfe des Neuromarketings nicht aufspüren lassen. Dafür sind die Abläufe im Gehirn bis zu einer Entscheidung nach derzeitigen Erkenntnissen einfach zu komplex.

Rabatte aktivieren das Belohnungssystem im Gehirn
Die Angst der Verbraucherschützer
Zudem muss man die Ergebnisse des Neuromarketings relativieren: Eine Aktivität, zum Beispiel des Belohnungszentrums, bedeutet noch lange nicht, dass der Kunde im Geschäft auch zugreift. Die Kaufentscheidung gestaltet sich weitaus komplexer.
Trotzdem befürchten Verbraucherschützer, dass das Neuromarketing ein weiterer Schritt in Richtung gläserner Kunde ist. Zu den Kritikern gehört auch Dr. Theo Wolsing von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. Die Kaufbereitschaft könne durch die Forschungen zumindest erhöht werden, meint Wolsing.
Er sieht zudem eine große Gefahr darin, dass die Erkenntnisse des Neuromarketings so wenig bekannt sind: "Wenn der Verbraucher davon wüsste, würde er in der einen oder anderen Situation sicherlich auch anders reagieren." Der Verbraucher müsse sehr viel besser informiert werden, fordert Theo Wolsing.
Im Kaufrausch
Planet Wissen. 03.12.2019. 05:42 Min.. Verfügbar bis 03.12.2024. ARD-alpha.
(Erstveröffentlichung 2009. Letzte Aktualisierung 05.12.2018)
Quelle: WDR