
Steuern
Swiss Leaks, Lux Leaks, Panama Papers
Schätzungsweise 5800 Milliarden Euro gehen den Staaten weltweit durch Steuerhinterziehung verloren. Dank einiger mutiger Whistleblower wird immer klarer, wie der Betrug funktioniert und wer ihn begeht. Eine Chronik der jüngsten großen Steuerskandale.
Von Beate Krol
Juni 2007: Bradley Birkenfeld verrät die UBS
Journalisten stellt sich Bradley Birkenfeld gern mit dem Satz vor: "Ich bin der Mann, der den größten Steuerskandal der Welt aufgedeckt hat." Tatsächlich hat der US-amerikanische Banker und ehemalige Mitarbeiter der Schweizer Großbank UBS seinem Staat viel Geld eingebracht.
15 Milliarden Dollar mussten die von ihm verratenen Steuerhinterzieher zahlen, nachdem er dem US-Justizdepartment im Juni 2007 interne Unterlagen der UBS vorgelegt hatte. Weitere 980 Millionen Dollar brummte das Ministerium der Bank auf.
Bradley Birkenfeld hatte bei der Genfer UBS-Niederlassung einer Elitetruppe angehört, die US-amerikanische Multimillionäre systematisch zum Steuerbetrug anstiftete, indem sie ihnen auf gemeinsamen Luxusreisen beiläufig nahelegte, ihr Vermögen auf einem Nummernkonto der UBS zu deponieren.
Weil die Bank wusste, dass solche Praktiken illegal waren, waren die Mitarbeiter mit speziell verschlüsselten Laptops ausgestattet. Ein Kommando genügte, um die brisanten Daten zu löschen.
Bradley Birkenfeld schien lange keine Probleme mit dieser Arbeit zu haben. Dann jedoch entdeckte er ein internes Papier, aus dem hervorging, dass die UBS alle Schuld auf die Mitarbeiter abwälzen würde, wenn die illegalen Praktiken entdeckt werden sollten. Das, erzählte er später, habe den Ausschlag dafür gegeben, dass er zum "Whistleblower" wurde – also zum Skandalaufdecker.
Bradley Birkenfeld wurde durch die Datenweitergabe selbst zum Multimillionär. 104 Millionen Dollar betrug die Whistleblower-Prämie. Das hinderte ein Gericht allerdings nicht daran, ihn wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung zu vierzig Monaten Haft und 30.000 Dollar Strafe zu verurteilen.

Die Schweizer Großbank UBS hinterzog Steuern
April 2013: Die Welt erfährt von den Offshore-Leaks
Im April 2013 erleben zwei der weltweit größten Gesellschaften für die Gründung und Verwaltung von Trusts und Briefkastenfirmen an Offshore-Finanzplätzen – "Portcullis TrustNet" und "Commonwealth Trust Limited" – eine böse Überraschung.
Eine anonyme Quelle hatte unternehmensinterne Datenbestände diversen Steuerbehörden und dem Internationalen Konsortium Investigativer Journalisten (ICIJ) in Washington zugespielt.
Das 86-köpfige Rechercheteam der ICIJ entdeckte in den 2,5 Millionen Unterlagen 122.000 Trusts und Briefkastenfirmen, die von Politikern, Unternehmern, reichen Erben, Kriminellen und Diktatorenfamilien für Steuerbetrug, Schmiergeldzahlungen und illegale Kunst- und Waffendeals genutzt wurden.
Außerdem zeigte sich, dass die Trust-Gesellschaften die Briefkastenfirmen und Trusts häufig im Auftrag von Banken gegründet hatten. Besonders eifrig war die Deutsche Bank.
Aufsehen erregten die Rechercheure auch mit einer Datenanalyse von Offshore-Kunden aus China und Hongkong, die sie im Januar 2014 veröffentlichten.
Sie zeigte, dass politische Kader bis hinauf zu ehemaligen Premierministern und Staatspräsidenten Briefkastenfirmen und Trusts nutzten, um ihr Vermögen und Schmiergeldzahlungen zu verschleiern. Auch in diesen Fällen spielten Banken eine unrühmliche Rolle.
Aber auch das Verhalten der US-amerikanischen, britischen und australischen Steuerbehörden warf Fragen auf. Ihnen hatte der anonyme Informant die Daten bereits 2010 übergeben. Erst als nichts geschah, wandte er sich an die Journalistenorganisation.

Auch die Deutsche Bank beauftragte Trust-Gesellschaften
November 2014: Luxemburg bekommt Ärger
Es passiert selten, dass Angeklagte mit Beifall im Gerichtssaal begrüßt werden und Politiker einen Solidaritätsaufruf für sie starten. Antoine Deltour und Raphaël Halet haben es erlebt.
Die beiden ehemaligen Angestellten des Wirtschaftsprüfungsunternehmens Pricewaterhouse Coopers (PwC) hatten im April 2014 dem Internationalen Konsortium Investigativer Journalisten (ICIJ) Unterlagen zugespielt, aus denen hervorging, wie internationale Konzerne mithilfe der Luxemburger Steuerbehörde ihren Steuersatz auf nahezu null reduzierten.
Die Ergebnisse der Recherche, die im November und Dezember 2014 unter dem Titel "Lux Leaks" erschienen, lösten weltweite Empörung aus und führten dazu, dass die EU-Kommission im März 2015 ein "Steuertransparenzpaket" vorlegte und Maßnahmen zur faireren Besteuerung von internationalen Konzernen beschloss.
Umso befremdlicher wirkte es, dass die luxemburgische Staatsanwaltschaft im April 2015 Anklage gegen die beiden Whistleblower erhob.
Antoine Deltour, der den größten Teil der fast 28.000 vertraulichen Dokumente kopiert und mitgenommen hatte, drohten eine Geldstrafe und zehn Jahre Gefängnis. Das Gericht reduzierte die Haft zwar auf ein Jahr auf Bewährung, trotzdem sprach es Antoine Deltour schuldig.
Die Verantwortlichen bei Pricewaterhouse Coopers wurden hingegen nicht zur Verantwortung gezogen. Ebenso wenig wie der inzwischen in Rente gegangene Leiter des Luxemburger Steueramts "Sociétés 6", der an manchen Tagen bis zu 54 Steuerabkommen zwischen Konzernen und dem Staat Luxemburg unterschrieben hatte.
Auch die luxemburgischen Politiker kamen ohne Anklage davon. Gegenüber den Medien und der EU beharrten sie darauf, dass die Praktiken legal gewesen seien. EU-Vorstöße zur faireren Besteuerung von Konzernen versuchen sie nach wie vor zu verhindern.

Raphaël Halet und Antoine Deltour deckten die "Lux Leaks" auf
Februar 2015: Hervé Falciani zapft die HSBC an
Er selbst sagt, dass er lediglich eine Regel gebrochen habe, die der Allgemeinheit schade. Der Schweizer Bundesanwalt will den französischen IT-Spezialisten Hervé Falciani hingegen vor Gericht bringen. Der Vorwurf: verbotener wirtschaftlicher Nachrichtendienst.
Hervé Falciani ist der Mann hinter "Swiss Leaks". 2006 entdeckte er eine Sicherheitslücke im Computersystem seines Arbeitgebers, der HSBC in Genf. Er nutzte sie, um Daten von 106.000 Kunden aus 203 Ländern zu kopieren, die zusammen etwa 100 Milliarden US-Dollar auf Konten der HSBC deponiert hatten – das meiste davon schwarz.
Als Falciani 2008 aufflog, setzte er sich mit seiner Familie nach Nizza ab und reichte die Liste mit den HSBC-Daten an die französische Regierung weiter, die wiederum andere EU-Staaten im Rahmen eines Amtshilfeabkommens mit den Daten versorgte.
Trotzdem war der Erfolg der "Swiss Leaks" weniger durchschlagend, als er hätte sein können. Datenschutzbestimmungen und andere Gesetze bremsten die Steuerfahnder über Jahre aus. Diese Zeit nutzten die HSBC-Kunden, um sich selbst anzuzeigen und damit straffrei davonzukommen.
In Großbritannien kam es so bei 8844 Kundennamen lediglich zu einer einzigen Strafverfolgung. Und obwohl die Liste 20,4 Milliarden versteckte Euro für Großbritannien auswies, nahmen die Behörden nur 190 Millionen Euro ein.
In Frankreich kamen von 9187 Kunden fünf vor Gericht. 11,8 Milliarden verborgenen Euro standen Einnahmen von 300 Millionen Euro gegenüber.
In Griechenland wurde die Liste erst gar nicht ausgewertet. Und auch im sonst sehr strengen Spanien kamen die Steuerhinterzieher weitgehend ungeschoren davon, darunter auch der Präsident der Santander Bank, der von seinem mehr als zwei Milliarden Euro schweren Schwarzgeldkonto angeblich nichts wusste.
Hervé Falciani äußerte sich trotzdem zufrieden: Mit seiner Liste habe er die Diskussion um die Steuerhinterziehung vorangetrieben, sagte er in einem Interview. Außerdem ermitteln mittlerweile zahlreiche Staaten gegen die HSBC wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung und Geldwäsche.
Wie die Bilanz für Deutschland ausgefallen ist, bleibt aufgrund des Steuergeheimnisses übrigens im Dunkeln. Falcianis Liste soll mehr als vier Milliarden versteckter Euro ausgewiesen haben. Angeblich wurden zwei Fälle strafrechtlich verfolgt.

Hervé Falciani
April 2016: Die Welt schaut nach Panama
Im April 2016 geht bei Bastian Obermayer von der Süddeutschen Zeitung eine Nachricht ein, die Geschichte schreiben wird. Absender ist eine anonyme Quelle, die sich John Doe nennt und dem Investigativjournalisten Daten der Steuerkanzlei Mossack Fonseca aus Panama City anbietet.
Hinter Mossack Fonseca stecken der Deutsche Jürgen Mossack und sein panamaischer Kompagnon Ramón Fonseca. Die beiden Anwälte machen ihr Geld mit anonymen Briefkastenfirmen.
Bastian Obermayer und sein Kollege Frederik Obermaier kennen die Kanzlei aus früheren Recherchen. Vieles deutet darauf hin, dass sie mit ihren Briefkastenfirmen Steuerhinterziehung, Geldwäsche, Korruption und illegale Geschäfte ermöglicht.
Was die beiden Journalisten zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen: Die "Panama Papers" werden sich zum größten Datenleck entwickeln, das es je gab.
Verträge, Mails und Excel-Tabellen im Umfang von 2,6 Terrabyte landen nahezu in Echtzeit auf eigens angeschafften Super-Laptops der Journalisten. Auch das Rechercheteam wird immer größer. Mehr als 400 Journalisten in aller Welt suchen nach Spuren in den Daten.
Nach einem Jahr Recherche gehen die Journalisten zeitgleich an die Öffentlichkeit. Ein Abgrund tut sich auf. In den Papieren finden sich Spuren zu Staatschefs, Wirtschaftsbossen, Schwerverbrechern und Superreichen.
Manche der Mossack-Fonseca-Kunden hat die EU mit Sanktionen belegt, wie Rami Makhlouf, den verbrecherischen Cousin des syrischen Diktators. Der aserbaidschanische Diktator Aliyev und seine beiden Töchter beuten mithilfe von Briefkastenfirmen aserbaidschanische Goldminen aus, Mafiamitglieder und Bosse von Drogenkartellen waschen ihr dreckiges Geld.
Steuern hinterziehen alle. Ebenso erschütternd ist, wie viele Anwälte, Banker und Steuerberater den Mossack-Fonseca-Kunden bereitwillig zu Diensten sind.
Und welche Konsequenzen hatten die Panama Papers? Etliche Politiker mussten bereits zurücktreten, außerdem haben die Recherchen über 6500 Ermittlungen angestoßen. Dass weitere folgen, gilt als wahrscheinlich, denn die Journalisten durchstöbern auch weiterhin die Dokumente. Und auch die europäische Polizei Europol arbeitet mit den Daten.
Quelle: SWR | Stand: 15.08.2018, 10:17 Uhr