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Wohnen und Gesundheit

Architekturpsychologie in Deutschland

Dr. Rotraut Walden arbeitet seit 2007 als Privatdozentin an der Universität Koblenz. Sie ist eine der führenden Architekturpsychologinnen Deutschlands.

Von Christian Jakob


Frau Walden, was gehört aus Ihrer Sicht alles zur Architekturpsychologie?

Die Architekturpsychologie beschäftigt sich mit dem Einfluss von gebauter Umwelt auf das Erleben und Verhalten von Menschen. Um zu erfassen, was dazu alles gehört, habe ich einen Katalog mit 250 Kriterien erstellt, anhand derer man beurteilen kann, ob ein Gebäude, egal ob Wohnhaus, Krankenhaus, Kindertagesstätte, Schule, Bürogebäude, Museum, Hospiz, Friedhof oder Trauerraum, im Sinne der Architekturpsychologie gestaltet wurde oder nicht.

Wichtige Kriterien sind zum Beispiel: Wie sind die Zimmer angeordnet? Liegt das Schlafzimmer Richtung Osten, sodass man die Morgensonne genießen kann? Oder: Gibt es Rückzugsmöglichkeiten für die Bewohner?

Die Architekturpsychologie beschränkt sich allerdings nicht nur auf das Gebäude selbst, sondern auch auf das Umfeld: Wie ist die Parkplatzsituation? Wie ist die Verkehrslage? Hat das Haus – im Falle eines Wohnhauses – einen Garten und wie kommt man mit den Nachbarn aus? Wichtig ist auch die Einrichtung eines Hauses, zum Beispiel die Farbgestaltung der Wände.

Was sollte man denn bei der Farbgestaltung beachten?

Eine schlechte Farbe ist zum Beispiel Weiß – also genau die am häufigsten verwendete Farbe. Weiß wird bei Dämmerung immer zu Grau. Warme Farben – wie Gelb oder Orange – dagegen bewirken, dass man auch den gesamten Wohnraum als wärmer empfindet – und zwar um bis zu zwei Grad. Sinnvoll ist es, im Schlafzimmer kühlere Farben zu verwenden. Das gilt auch für die Küche, in der es ja tendenziell durch das Kochen von vorneherein eher warm ist.

Das ist ja alles schön und gut, aber was bringt es überhaupt, sein Umfeld architekturpsychologisch zu optimieren?

Nehmen wir mal als Beispiel ein Bürogebäude. Hier kann man sagen, dass die Arbeitnehmer in einem architekturpsychologisch optimierten Umfeld um 15 bis 17 Prozent produktiver sind. Das hat eine amerikanische Studie ergeben.

In Kliniken dient ein besseres Umfeld im Sinne der Architekturpsychologie der schnelleren Genesung, und in Privaträumen könnte möglicherweise Depressionen oder anderen Erkrankungen vorgebeugt werden.

Aber das war noch nicht alles. Die Architekturpsychologie hat noch auf ganz andere Art und Weise Einfluss auf uns: So gibt es zum Beispiel Erkenntnisse darüber, dass kleinere Gerichtsräume bei männlichen Richtern zu härteren Urteilen als bei weiblichen Richtern führen.

Ein anderes Beispiel: Wenn junge Ehepaare in kleinen Wohnungen leben, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sie sich später scheiden lassen. Das alles zeigt, dass es durchaus sinnvoll ist, sein Umfeld architekturpsychologisch zu optimieren. Im Mittelpunkt sollte dabei immer die Frage stehen: Wie können Leistung, Gesundung und Wohlbefinden in Gebäuden beeinflusst und verbessert werden?

Wenn die Architekturpsychologie so großen Einfluss auf uns hat, warum fristet sie dann in Deutschland so ein "Nischen-Dasein"?

In Deutschland gibt es nur rund 20 Wissenschaftler, die sich mit Architekturpsychologie beschäftigen – das ist eine sehr überschaubare Zahl. Das ist mir völlig unverständlich. In den USA ist das komplett anders. Dort wird bei allen größeren Projekten fast immer ein Architekturpsychologe um Rat gefragt.

In Deutschland dagegen werde ich nicht einmal von meinen eigenen Freunden bei der Hausplanung mit eingebunden. Erst Jahre später kommen sie dann und fragen, ob sie vielleicht etwas hätten anders machen sollen. Ich denke, hierzulande ist das Thema einfach kaum präsent, und wenn doch, dann hat man die Befürchtung, dass Architekturpsychologie eine teure Sache ist; dem ist aber nicht so. Bauen unter architekturpsychologischen Gesichtspunkten muss nicht viel teurer sein, als herkömmliches Bauen.

Wenn Sie sich in Deutschland umschauen, wo besteht aus Ihrer architekturpsychologischen Sicht aktuell der größte Handlungsbedarf?

Den größten Investitionsstau gibt es aktuell bei den Schulen, auch wenn da jetzt immerhin schon mehr investiert wird. Zu den schlimmsten Fehlern bei der Schulplanung in der Vergangenheit gehören enge, dunkle Endlosflure oder kleine, enge Klassenzimmer. Aber auch ein Mangel an WLAN-Verbindungen oder der Mangel an Fahrradständern gehören zu architekturpsychologischen Problemen, die oft nicht zufriedenstellend behoben sind.

In optimierten Schulgebäuden müssten zudem umweltfreundliche Baumaterialien verwendet werden, eine flexible Nutzung der Räume müsste möglich sein und es müsste ausreichend Rückzugsmöglichkeiten für Schüler und Lehrer geben. Und das sind nur einige Aspekte.

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Quelle: SWR | Stand: 28.03.2019, 13:00 Uhr

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